# taz.de -- Anschlagsserie in Sachsen: Ein Verdacht liegt in der Luft | |
> Über Monate verübten wohl Autonome Anschläge in Sachsen, nun konnte die | |
> Polizei zwei Männer festnehmen. Doch die Beweise sind überaus dünn. | |
Bild: Zu früh über die Festnahmen gefreut? Sachsens Innenminister Roland Wöl… | |
DRESDEN taz | Roland Wöller ließ es nach einem Durchbruch klingen. Seit | |
Monaten verübten mutmaßlich Autonome [1][Brandanschläge auf Baukräne und | |
Polizeiautos in Leipzig], attackierten eine Immobilienmaklerin, setzten in | |
Bautzen und Rodewisch Baufahrzeuge in Brand. Verhaftungen aber? | |
Fehlanzeige. Bis Sachsens Innenminister vor einer Woche stolz die Festnahme | |
zweier Linksextremisten einige Tage zuvor vermeldete: Sie sollen | |
verantwortlich sein für den Anschlag in Rodewisch. [2][Ein großer | |
Ermittlungserfolg, freute sich Wöller.] | |
Das LKA und die Generalstaatsanwaltschaft Dresden aber bleiben bis heute | |
seltsam gebremst: Zu den Festnahmen wird dort geschwiegen, „aus | |
ermittlungstaktischen Gründen“. Nicht mal das Geschlecht oder Alter der | |
Beschuldigten wird genannt. Die Zurückhaltung könnte einen Grund haben: | |
Denn die Haftbefehle stehen nach taz-Informationen auf durchaus wackligen | |
Füßen. | |
In der Nacht zum 5. November 2019 hatten Unbekannte [3][in Rodewisch auf | |
dem Gelände einer Baufirma vier Baufahrzeuge mit Brandsätzen angezündet] | |
und vollständig zerstört. Der Schaden betrug 400.000 Euro. Parallel | |
erfolgte ein Brandanschlag auf eine Baufirma in Bautzen, mit ähnlich hohem | |
Sachschaden. | |
## „Feuerzellen gegen Knäste“ | |
In einem Bekennerschreiben auf Indymedia wurden die Taten als Vergeltung | |
dafür begründet, dass sich die Firmen am Bau der neuen JVA Zwickau | |
beteiligten. Die Unternehmen dürften sich „nicht an dem grausamen Geschäft | |
des Knastsystems beteiligen“. Unterzeichnet wurde mit: „Militante | |
Feuerzellen gegen Knäste“. | |
Zu den Anschlägen übernahm die [4][kurz danach gegründete Soko Linx des LKA | |
Sachsen die Ermittlungen]. Je 30.000 Euro Belohnung für Hinweise wurden | |
ausgelobt. Und die Ermittler betrieben einigen Aufwand, um die Täter zu | |
finden, wie Ermittlungsunterlagen zeigen. Zum einen durchforsteten sie das | |
Internet, zum anderen hefteten sie sich an eine konkrete Spur: einen nicht | |
gezündeten Brandsatz. Zwar fanden sie daran offenbar keine DNA-Spuren, aber | |
sie entnahmen Geruchsproben. | |
Vor einigen Wochen schien es, als seien die Ermittler schließlich fündig | |
geworden. Sie stießen auf ein Facebookprofil eines 22-Jährigen, der sich | |
kritisch über Hentschke Bau, die angegriffene Bautzener Baufirma, äußerte. | |
[5][Linke werfen dem Inhaber eine frühere Großspende an die AfD vor]. Mit | |
einem Polizeihund, der zuvor die Geruchsspuren des Brandsatzes aufgenommen | |
hatte, rückten die Ermittler dann Anfang September bei der WG des Mannes in | |
Dresden an – und der Hund schlug an. Auch ein zweiter Hund bestätigte laut | |
Ermittlungsunterlagen, dass der Geruch des Brandsatzes in der Wohnung | |
wahrnehmbar war. | |
Für die Ermittler war dies Beweis genug, dass sich der Beschuldigte am | |
Tatort befand. Der Mann wurde, zusammen mit seinem 23-jährigen Mitbewohner, | |
festgenommen. Der Vorwurf: besonders schwere Brandstiftung. | |
## „Völlig haltlose Beweisführung“ | |
Mehr als die Hunde scheinen die Ermittler aber nicht in der Hand zu haben. | |
Und schon die werfen Fragen auf: Konnte ein Hund wirklich noch zehn Monate | |
nach der Tat den Geruch des Brandsatzes in der Wohnung nachweisen? Jürgen | |
Kasek, Anwalt des festgenommenen 22-Jährigen, hält das für ausgeschlossen. | |
„Das erscheint mir nach so langer Zeit unmöglich und ist eine völlig | |
haltlose Beweisführung. Auf dieser Grundlage hätte es nie einen Haftbefehl | |
geben dürfen.“ | |
Laut Kasek bestreitet sein Mandant vehement, etwas mit der Tat zu tun zu | |
haben. Auch habe er sich im Tatzeitraum in einer Berufsschule nahe Dresden | |
befunden, ohne Fehlzeiten. In der Tatnacht sei er in seiner früheren | |
Wohnung bei Dresden gewesen, was sein damaliger Mitbewohner bezeugen könne. | |
Laut Kasek befinden sich auch auf beschlagnahmten Datenträgern des | |
22-Jährigen keine Hinweise auf die Tat. Es gebe nicht mal einen Nachweis, | |
dass sein Mandant überhaupt zur autonomen Szene gehöre. Jedenfalls hätte er | |
sich mit seiner Facebook-Kritik an Hentschke Bau reichlich unkonspirativ | |
verhalten, so der Anwalt. „Ich bin mir sehr sicher, dass hier die Falschen | |
festgenommen wurden.“ | |
## Prüfung des Haftbefehls beantragt | |
Kasek beantragte inzwischen einen Haftprüfungstermin beim Amtsgericht | |
Dresden, um den Haftbefehl des Festgenommenen aufheben zu lassen. Das | |
Gericht und die Generalstaatsanwaltschaft äußerten sich dazu und zum | |
Ermittlungsstand nicht. Auch der Anwalt des zweiten Festgenommenen wollte | |
vorerst nichts zu dem Fall sagen. | |
Innenminister Wöller dürfte nun sehr genau schauen, wie sich der Fall | |
weiterentwickelt. Denn hat Anwalt Kasek Erfolg und würden die | |
Festgenommenen wieder freigelassen, wäre die Erfolgsbilanz der Ermittler zu | |
der Anschlagsserie in Sachsen wieder bei null. | |
18 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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