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# taz.de -- Streit bei Rot-Rot-Grün in Berlin: Aufbrechen oder aussitzen?
> Ein Jahr vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zum Bundestag ist die
> Stimmung angespannt. Eine Analyse, woran Rot-Rot-Grün jetzt zerbrechen
> könnte.
Bild: Ob Rot-Rot-Grün noch ein Jahr durchhält, hängt auch stark von Michael …
Berlin taz | Ende Oktober könnte es soweit sein, oder am 19. Dezember. Es
könnte nach Neujahr passieren, nach einem Urteil in einem Gerichtssaal in
Karlsruhe. Oder es könnte an einem beliebigen Dienstag mit Senatssitzung
sein: Jeder dieser Tage könnte der sein, an dem es vorbei ist mit der
rot-rot-grünen Koalition. Es könnte aber genauso sein, dass das erst
nächsten September passiert, am regulären Abgeordnetenhaus-Wahltermin, und
das zerstrittene Bündnis aus SPD, Linkspartei und Grünen sich noch ein Jahr
mehr schlecht als recht hält.
Tief, sehr tief waren gerade in den vergangenen 14 Tagen die Verwerfungen.
Erst der Streit ums Neutralitätsgesetz nach dem Kopftuchurteil, dann
vergangene Woche der brüskierende Stopp des grünen Klimagesetzes durch die
SPD im Senat. Dass sich an dieser Stimmung etwas ändern könnte, ist nicht
erkennbar – zumal es nicht nur in der Koalition, sondern allein schon in
der SPD zu viele Unwägbarkeiten gibt.
Da ist schon bald jener Tag Ende Oktober, mutmaßlich der 28., an dem die
SPD in Charlottenburg-Wilmersdorf das Ergebnis ihrer Mitgliederbefragung
über die Bundestagskandidatur bekannt gibt. Entscheidet sich die Sozi-Basis
nicht für ihren Noch-Regierungschef Michael Müller, der auf Bundesebene
sogar Minister werden will, sondern für [1][seine Staatssekretärin Sawsan
Chebli] – dann wäre es vorstellbar, dass Müller tief enttäuscht die Brocken
hinwirft und als Regierender Bürgermeister zurücktritt. Falls dann
Linkspartei und Grüne die noch inoffizielle SPD-Spitzenkandidatin Franziska
Giffey nicht als Nachfolgerin mittragen wollen, bleibt nur eine Neuwahl.
Solch eine frühere Parlamentswahl erwägen manche SPD-Strategen durchaus, im
Landesverband genauso wie angeblich auch auf Bundesebene. Ihr Kalkül: Wenn
über das Landesparlament anders als geplant nicht am selben Tag entschieden
wird wie über den Bundestag, leidet die SPD weniger unter dem anhaltenden
Boom der CDU auf Bundesebene. Dann läge der Fokus im Wahllokal nur auf
Berlin – und aus SPD-Sicht auf ihrer Hoffnungsträgerin Giffey.
## Wirft Müller spontan hin?
Ähnlich ist die Konstellation für den SPD-Parteitag am 19. Dezember. Der
soll beschließen, wer die Kandidatenliste für die Bundestagswahl anführt,
und Giffey zur offiziellen Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl
küren. Wenn die Delegierten dort nicht Müller zur Nummer eins für den
Bundestag machen, könnte der Regierungschef, tief getroffen durch die
Zurückweisung nach so vielen Jahren im Dienst der SPD, ebenfalls spontan
hinwerfen.
Eigentlich wäre es nicht Müllers Art, so radikal zu reagieren. Denn
Neuwahlen hätten immense Folgen. Auch wenn die jüngsten Winter so mild
waren, dass ein Straßenwahlkampf auch im Januar denkbar ist und auch viel
digital geht: Es wäre nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Coronapandemie
infektionstechnisch eine Zumutung.
Müller hat ein Abwatschen schon mal erlebt und trotzdem nicht als damaliger
Stadtentwicklungssenator hingeworfen, als ihn seine Partei 2012
zwischenzeitlich nicht mehr als SPD-Landeschef haben wollte. Jetzt aber ist
der Stress auch wegen Corona größer, als dass man eine emotionale „Ihr
könnt mich mal“-Reaktion ausschließen kann.
Dass Linkspartei und Grüne einen Wechsel an der Regierungsspitze nach
jetzigem Stand blockieren würden, liegt darin begründet, dass sie Giffey
nicht vorzeitig eine Bühne auf Landesebene und einen Amtsbonus zugestehen
zu wollen. Wobei es auch Stimmen gibt, die sagen: Lasst sie doch ruhig früh
zeigen, dass sie es auch nicht besser kann.
Zu diesen Bruchstellen bei der SPD kommen inhaltliche Unwägbarkeiten. Da
wäre die Linkspartei im Fokus, wenn in den ersten Monate des Jahres 2021 in
jenem besagten Karlsruher Gerichtssaal, nämlich dem des
Bundesverfassungsgerichts, die Worte „nicht zulässig“ oder
„verfassungswidrig“ fallen sollten. Dann wäre [2][der Mietendeckel
gescheitert], das zentrale Projekt von Rot-Rot-Grün. Die Entscheidung hat
das Gericht nach taz-Informationen für die erste Jahreshälfte angekündigt.
Ein solches Scheitern würde vor allem die Linkspartei treffen, weil die am
meisten mit dem Mietendeckel verbunden wird, auch wenn die Idee von der SPD
kam.
## Die Linke ist nervös
Die Stimmung ist ohnehin aufgeheizt, weil das von der Linkspartei stark
unterstützte parallele Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. enteignen, über
das ebenfalls am Wahltag 2021 entschieden werden könnte, in der
Warteschleife hängt: Die SPD-geführte Innenverwaltung hat es noch immer
nicht offiziell für zulässig erklärt. Von Verschleppen ist die Rede, und
dass die SPD verhindern wolle, dass eine Enteignungsdebatte die Wahl prägt.
Bei den Grünen wiederum lägen die Nerven blank, wenn ein rechtskräftiger
Gerichtsbeschluss das jüngste Urteil gegen die [3][Pop-up-Radwege]
bestätigte. Geschützte Radwege, ob dauerhaft oder aufgepoppt, wären damit
gekippt, die Partei eines zentralen Projekts beraubt. Klatscht dann ein
führender SPD-ler Beifall, weil nun arme sozialdemokratische Autofahrer
doch keiner teuren grünen Radler-Herrschaft ausgesetzt würden, so könnten
auch die Grünen versucht sein, ein Bündnis mit einem solchen Partner zu
beenden.
Und Bruchstellen sind auch jene Scharmützel im Senat, die in einer
x-beliebigen der dienstäglichen Sitzungen plötzlich unreparabel ausufern
könnten. „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen“, lautet zwar ein alter
Politik-Grundsatz – was heißen soll, sich immer wieder mit der anderen
Seite zusammensetzen zu müssen. Zwingend aber ist das nicht.
Wer auch immer die Koalition aufkündigte, müsste diesen Bruch den Wählern
überzeugend erklären und mehr sagen als: Es ging nicht mehr. Klappt das
nicht, würde eine vorgezogene Neuwahl zu einem Desaster für die dafür
verantwortliche Partei. Die Angst davor könnte das Argument für alle sein,
doch bis zum regulären Wahltag weiterzumachen. Irgendwie.
17 Sep 2020
## LINKS
[1] /Sawsan-Chebli-vs-Michael-Mueller/!5703284&s=sawsan+chebli/
[2] /Rechtsstreits-um-Mietendeckel/!5700096&s=mietendeckel/
[3] /Corona-Radwege-in-Berlin/!5708072&s=pop+up+radwege/
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Michael Müller
Franziska Giffey
Mietendeckel
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Michael Müller
Wochenkommentar
Lesestück Recherche und Reportage
Michael Müller
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