# taz.de -- Berliner Landesparlament tagt wieder: Auf in den Kampf | |
> Zurück aus dem Urlaub: Abgeordnetenhaus kann jetzt dank Umbaus trotz | |
> Corona vollzählig tagen. Die Sitzung ist der Auftakt zu einem Jahr | |
> Wahlkampf. | |
Bild: Da waren sie noch keine Konkurrenten: Müller und Chebli 2017 im Plenarsa… | |
Dasselbe Parlament, dieselben Menschen. Und doch anders – sehr anders. Wenn | |
an diesem Donnerstag das Abgeordnetenhaus erstmals nach der Sommerpause | |
tagt, so ist das nicht nur die erste tatsächliche Plenarsitzung – also eine | |
Sitzung des kompletten Parlaments mit 160 Abgeordneten – seit dem Frühjahr. | |
Es ist zugleich auch der Auftakt eines Wahlkampfjahres bis zu den | |
Abstimmungen über Abgeordnetenhaus und Bundestag im September 2021. Dass so | |
viel anders ist, hat drei Gründe: ein Umbau des Plenarsaals, ein Sommer | |
ohne Loch – und eine beispiellose Kandidaturkonkurrenz zwischen Chef und | |
enger Mitarbeiterin. | |
Plenarsitzung kommt vom lateinischen plenus, was voll heißt – und das war | |
es im Landesparlament seit März nicht mehr. Gerade mal die Hälfte der | |
Abgeordneten konnte teilnehmen, mehr war bei coronagemäßen Abständen nicht | |
zu erfüllen. Zwischenzeitlich war sogar ein noch kleineres Notparlament im | |
Gespräch. Nun aber sind die Tischreihen der Fraktionen aufgelöst, es gibt | |
nur noch 160 einzelne Plätze, weit unter die Tribüne und bis zur Rückwand | |
des Saals gezogen. Die Lüftung wirbelt zudem die Luft im Raum nicht mehr | |
um, sondern saugt verbrauchte ab. | |
Allein auf den Bänken der Landesregierung bleibt es eher leer: Nur die elf | |
Senatsmitglieder sollen teilnehmen, heißt es von der Pressestelle des | |
Parlaments, ihre Staatssekretäre vorwiegend nicht. Was die Abgeordneten und | |
Journalisten auf der Pressetribüne am Donnerstag um das Bild bringt, das | |
das spannendste des Tages wäre: Regierungschef Michael Müller nur ein paar | |
Meter vor Staatssekretärin Sawsan Chebli. | |
Seiner Staatssekretärin: Müller hat sie Ende 2016 ins Amt und zu sich in | |
die Machtzentrale im Roten Rathaus geholt, zuständig für | |
Bundesangelegenheiten, Internationales und bürgerschaftliches Engagement. | |
Jetzt sind sie zwei Menschen, die in den kommenden Wochen alles daran | |
setzen werden, sich gegenseitig die SPD-Bundestagskandidatur im Wahlkreis | |
Charlottenburg-Wilmersdorf streitig zu machen. | |
## Ein Sommer ohne Sommerloch | |
Die Kandidaturankündigungen der vergangenen beiden Wochen sind das eine, | |
das die sonst oft lähmend-ereignislosen Parlamentsferien zu einem Sommer | |
ohne Loch gemacht haben. Rücktritte – im Großen wie im Kleinen – waren das | |
andere. Als sich das Parlament am Abend des 4. Juni in die Ferien | |
verabschiedete, nachdem es noch schnell einen coronabedingt mit sechs | |
Milliarden neuen Schulden belasteten Haushalt beschlossen hatte, stand an | |
der Spitze der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung noch Katrin Lompscher. | |
Ihre Linkspartei führt das Ressort auch weiterhin, als neuer Senator aber | |
soll zu Sitzungsbeginn Sebastian Scheel vereidigt werden, bisher | |
Staatssekretär. | |
Lompscher war zurückgetreten, nachdem bekannt wurde, dass sie nicht nur der | |
Landeskasse Aufsichtsratsbezüge schuldig geblieben war, sondern diese | |
Gelder teils auch nicht versteuert hatte. Angesichts dieses ersten Wechsels | |
im Senat nach über dreieinhalb Jahren rot-rot-grüner Koalition fiel es fast | |
nicht auf, dass bei der AfD-Fraktion wenige Tage später deren auffälligste | |
Politikerin als Vize-Fraktionschefin zurücktrat. | |
Wenn es nach Müller geht, dann sitzen die Abgeordneten an diesem Donnerstag | |
einem künftigen Bundesminister gegenüber: Per Bild-Zeitung hat Müller | |
jüngst mitgeteilt, dass er nicht nur Bundestagsabgeordneter werden will, | |
sondern auch gerne das Bau- oder das Wissenschaftsministerium übernehmen | |
möchte. Womit er dabei einfach mal unterstellt, dass seine derzeit auf | |
Bundesebene noch mehr als in Berlin schwächelnde SPD nach dem Herbst 2021 | |
weiter mitregiert. Müller wäre das erste Berliner SPD-Mitglied im Kabinett | |
seit Christine Bergmann, die dort von 1998 bis 2002 für Familien, Senioren, | |
Frauen und Jugend zuständig war – unvergesslich geworden durch die Wortwahl | |
„Familie und Gedöns“ des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder. | |
Historisch gesehen stehen Müllers Chancen auf den Wechsel in den Bundestag | |
gut: Auch drei andere Berliner SPD-Regierungschefs konnten in den Bundestag | |
wechseln beziehungsweise zurückkehren: Willy Brandt 1969 sowie Dietrich | |
Stobbe und Hans-Jochen Vogel 1983. Bei der CDU hingegen scheiterte der | |
jüngste Versuch schmählich: Eberhard Diepgen, 15 Jahre Regierender | |
Bürgermeister, hatte trotz Bankenskandal und katastrophalem CDU-Absturz bei | |
der Abgeordnetenhauswahl 2001 für die Bundestagswahl im folgenden Jahr die | |
Spitzenkandidatur für sich beansprucht, fiel aber beim Parteitag durch. | |
## Eine Art Cohabitation | |
Der Wettstreit Müller – Chebli wird die Abgeordneten allerdings nicht das | |
ganze nächste Jahr begleiten: Die umstrittene SPD-Kandidatur könnte sich | |
bereits bei einem Kreisparteitag Ende September klären, endgültig bei der | |
offiziellen Kandidatenwahl im November. Bis dahin müssen die beiden | |
Kontrahenten unter einem Dach klarkommen – dem des Roten Rathauses. In | |
Frankreich hat man einen Begriff aus dem Eherecht auf eine solche | |
politische Situation übertragen und nennt das wohlklingend Cohabitation. In | |
Berlin dürfte die Opposition dafür am Donnerstag Begriffe finden, die sich | |
weit weniger elegant anhören. | |
19 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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