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# taz.de -- Streit über Nord Stream 2: Klimakiller aus der Röhre
> Beim Streit über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 wird gern mit dem
> Klimaschutz argumentiert. Dabei ist Gas alles andere als ein Klimaretter.
Bild: Da wurde noch gebaut – gerade ist Stop bei Nord Stream 2
Berlin taz | Für die Betreiberfirma Nord Stream 2 ist alles klar: Ihre
Pipeline „leistet einen kostengünstigen Beitrag zur Erreichung der
Klimaschutzziele der Europäischen Union“, heißt es in einer [1][offiziellen
Broschüre]. Gas setze nur halb so viel CO2 wie Kohle bei der Stromerzeugung
frei. Wenn Transport und Förderung eingerechnet würden, „fällt die
CO2-Einsparung sogar noch höher aus“.
Auch die Lobbygruppe VNG fordert: [2][„Gas geben für den Klimaschutz]“. Und
das Bundeswirtschaftsministerium erklärt, bei der Versorgung von Gebäuden,
im Verkehr und der Industrie könne Erdgas „ein wichtiger Zwischenschritt
auf dem Weg zur Dekarbonisierung sein“.
Das klingt, als wäre ein mögliches Scheitern der Ostsee-Pipeline Nord
Stream 2 vom russischen Wyborg ins deutsche Lubmin ein Rückschlag für den
Klimaschutz. Das 9,5-Milliarden-Euro-Projekt liegt auf Eis, seit die USA
die Erbauer und die deutschen Hafenbehörden mit Wirtschaftssanktionen
bedrohen.
Und nach dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexei
Nawalny wackelt in der Bundesregierung die Unterstützung für die Gasröhre,
die vom russischen Staatskonzern Gazprom vorangetrieben wird: Sanktionen
der EU könnten das Megaprojekt, an dem nur noch 150 Kilometer Röhre fehlen,
versenken.
Darauf hoffen heimlich Umwelt- und Klimaschützer, die nach der Kohle nun
die Gasversorgung als nächsten Klimakiller ausmachen. Erst am vergangenen
Montag klebten sich DemonstrantInnen in Hannover an der Staatskanzlei fest
– aus Protest gegen Pläne für Gasterminals an der Nordsee.
## Blockaden geplant
Für Ende September kündigt die Umweltgruppe Ende Gelände Blockadeaktionen
gegen „kritische Gasinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen“ an, weil hier
einem „fossilen Energieträger ein grüner Anstrich verpasst wird“, wie eine
Sprecherin erklärt. KlimapolitikerInnen von Linken und Grünen kritisieren
Nord Stream 2 seit Langem. Und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt gegen
Nord Stream 2, weil [3][„die Pipeline nicht zu den Klimaschutzzielen der EU
passt“.]
Denn die angeblich so grüne Weste des saubersten fossilen Brennstoffs hat
schwarze Flecken. Je nach Rechenmethode belastet die Nutzung von Erdgas das
Klima deutlich höher als bislang vermutet. Und neue Studien zeigen, dass
die Gefahr aus Pipeline-Lecks bisher massiv unterschätzt wurde.
Erdgas besteht aus Methan, einem Treibhausgas, das wegen seiner geringen
Lebenszeit kurzfristig die Atmosphäre etwa 80 Mal so stark aufheizt wie
Kohlendioxid. Über hundert Jahre ist der Einfluss etwa 25-mal so stark. Ein
Drittel der gesamten bisherigen Erderhitzung geht auf das Konto des
flüchtigen Gases. Dessen Konzentration in der Atmosphäre – vor allem aus
natürlichen Quellen, Reisfeldern, Rindermägen und der Öl- und Gasindustrie
– ist in den vergangenen Jahren rapide gestiegen. Warum genau, ist vielen
Forschern ein Rätsel. Klar ist nur: Um die Klimaziele zu erreichen, müsste
nach Berechnungen des UN-Klimarats IPCC der Methangehalt bis 2050 um 35
Prozent sinken.
## Problem: Lecks
Da stört jedes weitere Molekül, das in die Luft gelangt. Inzwischen zeigen
viele Studien, dass die Gefährlichkeit des Klimakillers Methan unterschätzt
wird: 2018 fanden Forscher nach genauen Messungen heraus, dass der
[4][Methanausstoß der US-Öl- und Gasindustrie um 60 Prozent höher lag als
von der US-Umweltbehörde EPA] errechnet. Jüngst zeigten [5][Satellitendaten
aus Texas], dass die Frackingfelder dort mit 3,7 Prozent ihrer Produktion
doppelt so viel Methan verloren wie bisher angenommen. Eine aktuelle
Untersuchung fand in amerikanischen Gasverteilnetzen Methanlecks, die
„fünfmal so hoch waren, wie es die EPA annimmt“, schreiben die Experten.
Dabei wäre Klimaschutz hier billig zu haben. Die Industrie könnte „[6][die
Hälfte dieser Emissionen ohne höhere Kosten einsparen“], sagt der Chef der
Internationalen Energieagentur, Fatih Birol – schließlich könnte das Gas,
das derzeit durch Lecks entweicht, dann verkauft werden. Langfristig sei
das so gut fürs Klima, wie „die Hälfte aller derzeit weltweit fahrenden
Autos von Abgasen zu befreien“.
In den USA ist das Thema besonders virulent: Der jahrelange Frackingboom
hat den Markt mit billigem Gas überschwemmt, die Kohle verdrängt und damit
die CO2-Emissionen seit 2005 um 14 Prozent gesenkt. Gleichzeitig hat die
Regierung Trump die Regulierungen für die Gasindustrie gelockert. Seitdem
die Frackingindustrie ab Frühjahr im Niedergang ist, sind Tausende von
Bohrlöchern verlassen, viele sind wahrscheinlich nicht korrekt gegen das
Ausgasen von Methan gesichert.
Gegen das Methandesaster kämpft einer der größten US-Umweltverbände, EDF,
unter anderem mit neuen Messmethoden und einem eigenen Satelliten: Ab 2022
soll „MethaneSAT“ aus dem All weltweit nach dem Klimakiller schnüffeln.
Dann wird es auch mehr Klarheit über die Emissionen in Russland geben. Auf
Anfrage verweist die Nord-Stream-Gesellschaft auf Daten von Gazprom.
Demnach senkt der Transport durch die Ostsee die CO2-Emissionen um 43
Prozent gegenüber der Lieferung durch die Ukraine und um 37 Prozent
gegenüber der Pipeline durch Belarus – weil das Gas aus dem Norden mit
höherem natürlichem Druck durch die Leitung fließt.
Zu den Verlusten an Methan gibt es keine Informationen, erst recht keine
unabhängigen Messungen. Auch eine [7][Studie des Fraunhofer Instituts für
das Umweltbundesamt] im letzten Jahr, die dem russischen Gas weniger
Klimabelastung als der Kohle (aber etwa so viel wie Öl) attestierte, musste
sich mit offiziellen Durchschnittsdaten zufrieden geben.
## Konkurrenz für die Erneuerbaren
Schon lange ist in der Fachwelt klar, dass Gas kein Klimaretter ist.
Bereits 2014 untersuchten Forscher, was eine weltweite Ausweitung des
billigen Frackinggases für Folgen hätte. Das Resultat: Gas würde
CO2-intensive Kohle verdrängen, aber auch CO2-freie Alternativen wie
Atomkraft und Erneuerbare in Bedrängnis bringen und durch niedrige Preise
zur Verschwendung anregen. Im günstigsten Fall, so die Forscher, ergäbe
sich eine CO2-Ersparnis von 2 Prozent – viel wahrscheinlicher seien aber
mehr CO2-Emissionen: um bis zu 11 Prozent.
Schon früher hatten Forscher befürchtet, über einhundert Jahre gerechnet
sei Frackingas genauso klimaschädlich wie die Kohlenutzung. Und der
Öko-Thinktank Global Energy Monitor schrieb, der geplante
500-Milliarden-Dollar-Ausbau der weltweiten Infrastruktur für Flüssiggas
berge eine Gefahr für das Klima, „so groß wie der Kohleausbau“.
Ohnehin ist in der „Klimaneutralität“, zu der sich die EU und Deutschland
bekennen, mittelfristig kein Platz für fossile Brennstoffe. Schon 2013
wurde errechnet, dass nur etwa die Hälfte aller bekannten Gasvorräte
verbrannt werden können, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen – der
Rest muss als [8][„unverbrennbarer Kohlenstoff“, wie die wegweisende
Studie] hieß, im Boden bleiben.
Für die Nord-Stream-2-Röhre gäbe es allerdings in einem
Klimaschutz-Szenario in etwa einem Jahrzehnt möglicherweise noch eine
Verwendung: als Transportroute für Wasserstoff, den die Industrie in Europa
dringend brauchen wird. Dafür müsste er in Russland mit erneuerbaren
Energien hergestellt werden. Pläne dafür kennt man von Gazprom bislang aber
nicht.
13 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.nord-stream2.com/media/documents/pdf/de/2017/03/nsp2_nord-strea…
[2] https://vng.de/de/presse/news/gas-geben-fuer-den-klimaschutz
[3] /Naturschutzexperte-ueber-Nord-Stream-2/!5713367/
[4] https://science.sciencemag.org/content/361/6398/186
[5] https://www.sciencenews.org/article/permian-basin-oil-region-leaking-twice-…
[6] https://twitter.com/ieabirol/status/1151121582531776514?lang=de
[7] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/wie-klimafreundlich-ist-lng
[8] https://carbontracker.org/terms/unburnable-carbon/
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Energie
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