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# taz.de -- Der Hausbesuch: Aus der Erde herauswachsen
> Was tun, wenn der Krebs unheilbar ist? Wilm Weppelmann macht weiter
> Kunstprojekte in seinem Kleingarten. Und er will ans Meer.
Bild: Wim Weppelmann in seiner Gartenlaube
Mit dem Sterben hat sich Wilm Weppelmann schon früher auseinandergesetzt.
Seit der Krebs nicht mehr aufzuhalten ist, ist es konkret – und das Sterben
Teil seiner Kunst.
Drinnen: Das Treffen findet coronabedingt in einer erdig duftenden
Gartenlaube statt; nur wenige Quadratmeter ist sie groß und voller
Gartenutensilien, Bücher, Kochgeräte. Dazu Schreibtisch und Lesesessel.
Draußen: Ein üppiger Kleingarten mitten in Münster mit hohem Süßkirschbaum,
Gewächshaus und Stangenbohnen, Johannisbeeren, Kartoffeln, Auberginen,
Gurken und dazwischen geradezu aufdringlich purpurne Lichtnelken, gelbe
Calendula, roter Mohn.
Die Kolonie: Die Nachbargärten sind einer schöner als der andere, einer
prangt voller Rosen, während daneben wilde Nachtkerzen, Malven, Borretsch
und beim übernächsten Mangold, Kürbis und Mais wachsen. Einer geriert sich
als Bienenweide, und dann gibt’s da auch noch einen voller Plastikspielzeug
für Kinder. Wilm Weppelmann, schmal, groß und mitteilsam, ist der
Vereinsvorsitzende der Kolonie. „Ein ganz Lieber“, sagt die Gärtnerin mit
der Rosenpracht. Seit er Krebs habe, spende ihm der Garten Trost.
Krebs: Vor drei Jahren bekam er die Diagnose: Speiseröhrenkrebs. Der gilt
als nahezu unheilbar. Die Ärzte trauten sich dennoch zu operieren. Er war
auf dem Weg der Besserung, als es hieß: Der Krebs ist zurück. Es hat
gedauert, bevor die Ärzte sich entschlossen, es noch einmal mit einer OP zu
versuchen. Die sei mit allem Drum und Dran die Hölle gewesen. „Erst jetzt
wurde mir klar, dass ich mein Leben würde umstellen müssen.“ Seine Freunde
legten zusammen und kauften ihm ein E-Bike. Damit er weiter in seinen
Garten radeln kann. „Darüber habe ich mich riesig gefreut.“
Rückschlag: Erst ging es aufwärts, aber bald schon war der Krebs wieder da.
„Da waren meine Liebste und ich am Boden zerstört. Damit waren all unsere
Pläne zerstoben.“ Jetzt kam die Chemotherapie dran. Zudem meldete er sich
beim ambulanten Hospizdienst, dem [1][Palliativnetz Münster] an. Die
helfen, beraten, rufen an, um zu fragen, wie es geht. „Jetzt geht es um die
Devise: Genieße den Tag! Aber natürlich plane ich auch, bis 2022.“ Es geht
darum, zu haushalten: „Was ist mir wichtig? Was schaffe ich noch?“
Das Leben aufräumen: Nachsorge müsse er auch treffen, sagt er, „meinen
Hausrat und meine Verhältnisse ordnen. Dazu ist man seiner Liebsten, seinen
Nächsten verpflichtet.“ Zwar sei er als Künstler eine Art Lokalmatador,
aber „pekuniär habe ich keinen Marktwert, es gibt nichts zu vererben.“
Trotzdem muss er mit Rücksicht auf die anderen klären: Was hinterlasse ich
an immateriellem Erbe? Was soll mit den Büchern passieren? Und vieles mehr.
Freunde: Dabei müsse man sich aber Hilfe suchen und alles mit guten
Freunden besprechen, die einen Blick auf die Dinge werfen, sagt er. Auch
wichtig zu klären sei: „Wie komme ich finanziell hin?“
Zu Hause: Natürlich gebe es welche, überlegt Weppelmann, die geben in so
einer Situation alles auf, kündigen die Wohnung, verkaufen den Hausrat und
wandern aus, etwa nach Gomera. Aber er fühle sich wohl in seiner
Häuslichkeit, zusammen mit der Liebsten. Und zwischen seinen Büchern. Denn
bereits als er noch im Verlagswesen arbeitete, sammelte er Gartenbücher.
Bei den Messen wussten alle Kollegen: Bei ihm konnten sie Kinderbücher
gegen Gartenbücher eintauschen.
Herkunft: Wilm Weppelmann stammt vom Dorf. Sein Vater war Malermeister. Die
Lehrlinge wohnten mit im Haus, außerdem des Vaters Mutter und Schwestern.
Wilms Mutter stammte von einem Kötterhof fünf Kilometer weiter. Sie machte
die Buchführung und verkaufte Farben und Pinsel. Und zusammen mit ihrer
Schwiegermutter baute sie im Garten Gemüse an. Das empfand Weppelmann, als
er noch Kind war, als gemütlich. Der Garten stand für Familienzusammenhalt.
Zum Winter hin schlachteten die Männer eins der beiden Schweine und nahmen
es aus. Die Frauen machten die Würste. Es gab einen Krämerladen, und kaum
jemand kam je aus dem Dorf raus.
Ausbildung: Wilm aber wollte weg, machte in Münster Abi. Und studierte dort
Germanistik. Er arbeitete erst an einem Theater und wurde dann
Verlagsleiter in einem Kinderbuchverlag, danach Vertriebsleiter in einem
anderen großen Verlag. Als er aufgrund von Stress zusammenklappte und ins
Krankenhaus kam, wäre er infolge eines Arztfehlers fast gestorben.
Kunst: Weppelmann nutzte die Zeit seiner Genesung, um seine künstlerische
Arbeit zu entwickeln; er kombinierte Text mit Fotografie. Sogar einen
Ausstellungsraum fand er. „Ich war damals wohl auch sehr frech.“ Seine
Ausstellung zum Thema „Sehen“ kam gut an. Die daran anschließende
Ausstellung zum Thema „Zukunft“ ebenfalls. Bald danach wurde er mit der
Leitung einer Ausstellung zum Thema „Sterben“ betraut, „am [2][Museum für
Sepulkralkultur] in Kassel, das sich ausschließlich dem Umgang mit dem Tod
widmet“.
Nachtschreck: In der Ausstellung ging es ums Sterben, nicht um den Tod. Wie
umgehen mit dem Dahinscheiden, wie gehen die anderen damit um? Überhaupt
hat ihn das Thema Sterben vielleicht immer schon begleitet. Als Kleinkind
hatte er den Pavor nocturnus – „Nachtschreck“. Der kleine Wilm schrie
unvermittelt gellend laut auf, als sei da Todesangst, und schlief
anschließend – im Gegensatz zu seinen erschrockenen Eltern – ruhig weiter.
Eine Fügung: Zum Garten kam er vor 20 Jahren auf merkwürdige Weise. Ein
halbes Jahr radelte er an einem Aushang mit einer einprägsamen
Telefonnummer vorbei „2717 … Garten abzugeben“. Eigentlich war er damals
mit 45 Jahren an so etwas Piefigem wie einem Kleingarten nicht
interessiert. Aber dann rief er doch dort an und war schon nach 14 Tagen
Pächter eines vom Gestrüpp völlig überwucherten Kleingartens. Wilm legte
sofort los. „Ich rackerte im ersten Jahr sicher 1.000 Stunden.“
Kopfstand: Und dann merkte er, was in so einem Garten alles steckt: Er
machte einen Kopfstand, um die Welt von unten zu betrachten, und kam zu
philosophischen, sozialkritischen und künstlerischen Themen. Schon im
zweiten Jahr als Kleingärtner öffnete Wilm seinen Garten für die Gäste zu
seiner allsommerlichen [3][„Freien Gartenakademie“]. Es kommen meistens so
viele Leute, wie eben in den Garten passen. Wenn es dann bei den Konzerten
doch mal mehr waren, sah sein winziger Rasenfleck ganz schön demoliert aus,
erzählt er. Auch andere Projekte sind aus diesem Münsteraner Kleingarten
hervorgegangen; etwa seine 30-tägige Performance „Was ich zum Leben
brauche“ auf einem schwimmenden Gartenfloß oder seine Installation „The
Hunger Garden“, wo nur Steckrüben und Mais wachsen.
Förderung: Die Stadt Münster, der Landesverband der Kleingärtner und
Sponsoren helfen Weppelmann dabei, ReferentInnen zu finanzieren. Den Preis
der UN-Dekade „Biologische Vielfalt“ für 2017 erhielt er auch – von der
Grünen-Politikerin Bärbel Höhn auf einer Bühne über dem Gartenteich
überreicht.
Corona: Trotz Corona kommen die Leute zur Gartenakademie. Das Programm
stand bereits fest, als Distanzregeln es nötig machten, alles neu
„auszuhecken“: Die Besucher sitzen jetzt auf dem Weg vor dem Garten, und
Weppelmann und sein jeweiliger Gast sehen nur die Köpfe oberhalb der Hecke.
Ein bisschen wie ehedem die Kasperlepuppen in den Händen der kleinsten
Spieler mit den noch zu kurzen Ärmchen.
Gartenkunst: Die künstlerische Arbeit mit dem Thema Garten will Weppelmann
keinesfalls aufgeben. Trotz Krebs. Sowieso hat er ein neues Projekt in
einem weiteren, verwilderten Garten, wo er und seine Liebste
Mitmachmöglichkeiten für Schulkinder anbieten.
Ferien: Zunächst aber fahren die beiden eine Woche auf eine Insel. Sie wird
ins Wasser springen und er sich einer neuen Fotoarbeit widmen. Sie haben
eine Ferienwohnung und nehmen sich einen Strandkorb. Da kann man alles
drinlassen, sogar bei Wind und Regen. Es gibt das Meer, den Strand und
keine Autos.
5 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.palliativnetz-muenster.de/
[2] https://www.sepulkralmuseum.de/
[3] http://www.gartenakademie.org/
## AUTOREN
Elisabeth Meyer-Renschhausen
## TAGS
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