# taz.de -- Reisewarnung für Katalonien: Angst vor dem Herbst | |
> Was Covid-19 mit katalanischen Ferienorten macht – Innenansichten aus dem | |
> Mikrokosmos Cadaqués. | |
Bild: Cadaquès an der Costa Brava | |
Ein Sommertag in Cadaqués, einem Bilderbuchdorf an der nördlichen Costa | |
Brava. Die Strände rund um die weiße Bucht sind gut gefüllt, auf dem Wasser | |
schaukeln Yachten, auf den Terrassen sitzen jede Menge Leute, die bei einem | |
kühlen Bier und ein paar Tapas den Blick aufs Mittelmeer genießen. Auf den | |
ersten Blick sieht alles so aus wie immer. Nur, dass statt Speisekarten | |
QR-Codes auf den Tischen kleben, Salz, Pfeffer, Essig und Öl in individuell | |
abgepackten Portionen gereicht werden und überall Spender mit | |
Desinfektionsmittel stehen. Außerdem müssen auf den Straßen alle einen | |
Mund-Nasen-Schutz tragen. Auch die Statue von Salvador Dalí, dem | |
exzentrischen Künstler, der hier lebte, darf keine Ausnahme machen: Der | |
Galionsfigur des Surrealismus am Strand wurde eine Maske verpasst. | |
Nach Monaten der Abstinenz können die Menschen endlich wieder im Meer | |
baden, in der Sonne liegen, sich frischen Fisch, Meeresfrüchte und die | |
guten Weine aus dem Empordà schmecken lassen. Man will es sich gut gehen | |
lassen. Wer weiß, wie lange das möglich ist. | |
Das fragen sich auch Gastronomen und Hoteliers im Ort. Selbst wenn sie gute | |
Miene zum Sommertheater machen – ihre Laune ist es nicht. Nachdem | |
monatelang die Möwen Strände und Buchten in Beschlag genommen hatten und | |
eine Wildschweinfamilie sich am Campingplatz eingerichtet hatte, waren sie | |
erleichtert, als sie Ende Juni wieder die ersten Gäste begrüßen konnten. | |
„Zeitweise hatte es schon Überlegungen gegeben, die Saison komplett | |
abzusagen“, sagt Xavier Abad, der in Cadaqués für Tourismus verantwortlich | |
ist. „Doch das wurde wieder verworfen.“ Im Juli soll die Belegung in | |
Cadaqués immerhin über fünfzig Prozent gelegen haben, was wesentlich mehr | |
ist als in anderen Küstenorten. Während dort hauptsächlich ausländische | |
Touristen die Bettenburgen füllen, dominieren hier kleine Hotels, außerdem | |
besitzen viele Katalanen Ferienhäuser oder -wohnungen. | |
## Überall Stornierungen | |
Aber dann stiegen Ende Juli in Katalonien die Fallzahlen wieder. Einzelne | |
Orte im Landesinneren wurden abgeriegelt. Cadaqués, das bis Mitte August 53 | |
Infizierte, etwa 260 Verdachts- und ein oder zwei noch nicht bestätigte | |
Todesfälle zählte, war davon nicht betroffen. Doch gab es Reisewarnungen | |
für Katalonien und später ganz Spanien. Frankreich drohte sogar, seine | |
Grenze zum Nachbarland zu schließen. | |
Die Warnungen schlug in Cadaqués ein wie eine Bombe. „Es gab laufend | |
Stornierungen“, berichtet Eleonor Schummer aus der Touristinformation. „Und | |
auch wenn jetzt viele Spanier da sind, uns fehlen die Franzosen, die einen | |
Großteil der ausländischen Besucher stellen und mehr Geld ausgeben.“ | |
„Hacer el agosto“, wörtlich übersetzt „den August machen“, bedeutet in | |
Spanien so viel wie „das große Geschäft machen“. Im Hochsommer wird in der | |
Tourismuswirtschaft das meiste Geld verdient, das in vielen Fällen auch für | |
den Winter reichen muss. Nun spricht die Zeitung Punt Avui von einem | |
„schwarzen August für den Tourismus“ in Katalonien. Die Universität von | |
Barcelona hat für die Branche einen Umsatzverlust von etwa 15 Milliarden | |
Euro errechnet, auf dem Spiel stehen 80.000 Arbeitsplätze. Unter der | |
touristischen Achterbahnfahrt leiden nicht allein Hotels, Restaurants, Bars | |
und Geschäfte, sondern auch der Kulturbereich, der in Cadaqués eine große | |
Rolle spielt. Das renommierte Musikfestival, Konzerte, Feste, Kunstmärkte | |
und Ausstellungen wurden abgesagt. | |
„In den ersten Monaten habe ich die Ruhe hier total genossen und zum | |
Arbeiten genutzt“, erinnert sich der deutsche Künstler Daniel Zerbst, der | |
zur Zeit in Cadaqués ausstellt und der in seinen surrealistisch | |
angehauchten Bildern auch schon mal ein augenzwinkerndes „stay home“ | |
versteckt hat. Aber dann wurde ein Projekt nach dem anderen gecancelt. Bis | |
weit ins Jahr 2021 hinein. „Die Aussichten für uns Künstler sind düster“, | |
klagt der Deutsche, der sich weit über Cadaqués hinaus einen Namen gemacht | |
hat. „Aber viel schlimmer ist es für die Saisonkräfte, die jetzt oft nur | |
einen Arbeitsvertrag für zwei Monate bekommen und dann noch nicht mal | |
Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.“ | |
## Die Bedürftigkeit steigt | |
Wobei paradoxerweise hier und da auch wieder Arbeitskräfte fehlen. Einige | |
sind wegen der Coronakrise gar nicht erst aus Andalusien gekommen, viele | |
der Immigranten aus Bolivien, Ecuador, Marokko oder Rumänien haben sich | |
anderswo nach einer Beschäftigung umgesehen. Auch Christine Hörtreiter, | |
die eine Eisdiele am Passeig betreibt, muss nun selbst bis spät abends eine | |
Kugel nach der anderen in Becher und Waffeln portionieren, weil eine ihrer | |
Mitarbeiterinnen nicht wie gewohnt aus Marokko kommen konnte. Dabei ist sie | |
froh, dass sie überhaupt so viele Kunden hat. „Ich hoffe, dass es so | |
bleibt“, meint sie. Wenigstens müsse sie sich keine Sorgen um die Existenz | |
ihrer Familie machen. | |
Andere dagegen schon. „Viele Familien hier leben den Winter über von dem, | |
was sie im Sommer verdienen“, gibt Bürgermeisterin Pia Seriñana zu | |
bedenken. Normalerweise hat sie im Hochsommer, wenn der Ort von 2.800 auf | |
30.000 Menschen anwächst, mit Verkehrsproblemen oder der Stromversorgung zu | |
kämpfen, die manchmal zusammenbricht. Zu normalen Zeiten würde sie die | |
vielen Autos aus dem Ort verbannen. Jetzt hat sie ganz andere Sorgen. | |
„Wenn es vor der Pandemie zwei oder drei bedürftige Familien gab, ist deren | |
Zahl schon Mitte Mai auf fünfzig gestiegen“, klagt sie. Inzwischen sollen | |
es sogar weit über hundert sein, die die Caritas Cadaqués mit Lebensmitteln | |
und anderem versorgen muss. Die 200.000 Euro, die die Gemeinde zur | |
Abfederung sozialer Nöte bereitgestellt hat, dürften da bei weitem nicht | |
ausreichen. Dabei befindet sich die Stadtobere, die selbst ein Hotel | |
managt, in einer Zwickmühle: Einerseits will sie die Wirtschaft am Laufen | |
halten, andererseits Bevölkerung und Touristen vor Ansteckungen schützen. | |
Deshalb wurden Bars und Diskotheken geschlossen und die Polizei angewiesen, | |
bei den Feierwütigen auf den nächtlichen Straßen die Abstandsregeln | |
durchzusetzen. Die versuchen dennoch, sich so gut wie möglich zu amüsieren, | |
bevor die zweite Welle über die Küsten schwappt. Gemäß dem Motto: Nach mir | |
die Sintflut … | |
29 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Wiebrecht | |
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