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# taz.de -- Reisebeschränkungen in der EU: Alarm ohne Plan
> Die EU warnt vor steigenden Coronazahlen. Doch eine gemeinsame Strategie
> bei Reisebeschränkungen fehlt. Jedes Land macht seins. Fünf Beispiele.
Bild: Salto immortale: In Italien sind Strände, wie Mondello, trotz Corona vol…
Brüssel taz | Europa droht eine neue Coronakrise. Nach Spanien und
Frankreich verzeichnet nun auch [1][Deutschland einen massiven Anstieg der
Neuinfektionen]. Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter am
Donnerstag 1.707 neue Ansteckungen, den höchsten Wert seit Ende April. Auch
in anderen EU-Ländern gehen die Zahlen steil nach oben.
In Berlin und Brüssel schrillen nun die Alarmglocken, dabei hat es an
Warnungen nicht gefehlt. Schon am 10. August hat die europäische
[2][Präventionsbehörde ECDC vor einer zweiten Welle gewarnt] und
entschiedenes Gegensteuern gefordert. Die Gefahr einer „Eskalation“ sei
„sehr hoch“, wenn keine geeigneten Maßnahmen eingeleitet würden, so die
EU-Experten.
Doch von einer entschlossenen und koordinierten Reaktion kann keine Rede
sein. Jedes EU-Land macht, was es will. Auch Deutschland kümmert sich nicht
um Abstimmung. Obwohl Berlin seit dem 1. Juli den EU-Vorsitz innehat,
wurden Reisewarnungen im nationalen Alleingang erlassen. Zuletzt traf es
Spanien und Kroatien; [3][das Auswärtige Amt rät von Urlaubsreisen in diese
Länder ab.]
Dabei gehören Reisewarnungen nicht zum Arsenal der Waffen, die die
EU-Experten empfehlen. Viel wichtiger seien Coronatests und die
Nachverfolgung von Kontakten, heißt es bei der ECDC. Doch es sind nur
Empfehlungen, keine verbindlichen Regeln. Die EU ist machtlos – wieder
einmal.
Die Gesundheitspolitik sei eine nationale Kompetenz, über Reisewarnungen
werde in den Hauptstädten entschieden, erklärt die EU-Kommission der taz.
Man sei zwar in ständigem Kontakt, könne aber nicht eingreifen. Dabei hatte
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen etwas anderes versprochen.
Bereits im Mai stimmte sie die Bürger*innen auf die Urlaubssaison ein.
[4][Eine eigens aufgesetzte Website „Reopen EU“] suggerierte eine
schrittweise Öffnung der Grenzen und die Rücknahme der Beschränkungen.
Doch davon ist nicht viel übrig. „Die Kommission hat es nicht geschafft,
einheitliche Kriterien zu entwickeln“, kritisiert der
CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. „Sie hat sich sehr weit rausgehängt
und nichts gemacht.“
Im Herbst könnte es deshalb sogar wieder zu Grenzschließungen kommen,
fürchtet die grüne Europaabgeordnete Anna Cavazzini. „Könnten wir diese
ganzen Einzelaktionen bitte europäisch koordinieren?“, fragt sie. Von der
Antwort hängt viel ab – auch für Deutschland. Eric Bonse, Brüssel
## Schwedisches „Hemester“
Stockholm taz | Einerseits ist es ganz einfach. Wenn es nach ihrer
Regierung geht, dürfen die SchwedInnen in diesem Sommer überall hinreisen.
Und niemand muss nach der Rückkehr in Quarantäne oder einen Coronatest
machen. Zwar gibt es Reisewarnungen, derzeit beispielsweise für
Großbritannien oder die baltischen Staaten. Allerdings nicht wegen der
dortigen Coronasituation, sondern weil diese Länder Quarantäne-, Ein-
oder Ausreisebestimmungen haben, die „sicheres und freies Reisen nicht
vorhersehbar“ machen.
Andererseits war es in diesem Sommer nahezu unmöglich für schwedische
TouristInnen, einen Auslandsurlaub auch nur zu planen. Nimmt man allein die
Nachbarländer, so hatte Finnland ganz dicht gemacht, es sei denn, man
besitzt dort ein Ferienhaus.
Ab kommenden Montag hat Helsinki nun Ausnahmen für den „kleinen
Grenzverkehr“ in Nordschweden angekündigt: AnwohnerInnen dürfen dann zum
Einkaufen oder für andere Alltagsangelegenheiten die Grenze queren.
Norwegen öffnet und schließt ständig die Grenze für quarantänefreie
Einreise, je nachdem, ob die aktuellen Infektionszahlen in der
Herkunftsregion der Reisenden über oder unter 20 Neuinfektionen pro 100.000
liegen.
Dänemark hatte bis zum 1. August eine ähnlich chaotische und
unvorhersehbare Regelung. Nun ist die Grenze zwar ganz offen, aber die
Tourismusbranche klagt: Die Schweden kommen nicht!
Kein Wunder. Angesichts dieses „Än si än så, än hit än dit“, wie „Ri…
die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln“ auf Schwedisch heißt, entschlossen
sich die meisten SchwedInnen gleich für ein „Hemester“, einen Heimaturlaub.
Zum Glück spielt das Wetter mit. 45.000 Menschen drängten sich am
Wochenende bei Temperaturen um die 30 Grad allein am Strand des
westschwedischen Tylösand. Reinhard Wolff, Stockholm
## UK: Ab in den Süden – nach Cornwall
London taz | Großbritannien erwägt eine Quarantäne für Einreisende, wenn in
ihrem Herkunftsland über 20 von 100.000 Menschen mit dem Coronavirus
infiziert sind. So sind auch hier Spanien, Belgien Frankreich und die
Niederlande auf der Liste der Staaten, für die 14 Tage Selbstisolation
notwendig sind.
Auch können Brit*innen nicht ohne Weiteres über den Ärmelkanal, höchstens
nach Irland. Wer weiter weg will, kann in „sichere“ Länder wie etwa
Österreich, Zypern, Griechenland, Finnland oder die Slowakei fliegen. Auch
Reisen in die meisten Karibikstaaten, Vietnam, Malaysia oder die Seychellen
sind möglich. Kroatien, die Türkei, Dänemark, die Schweiz und Griechenland
nähern sich derzeit dem britischen Grenzwert für eine Quarantäne,
wohingegen für Portugal die Auflage bald entfallen könnte.
Brit*innen besuchen deshalb die südlichsten Teile der eigenen Insel, etwa
Devon und Cornwall, aber auch London, der Lake Distrikt und Schottland sind
populär. Als Spanien und Frankreich auf die Quarantäneliste gesetzt wurden,
stiegen die Buchungen innerhalb des Landes immens.
Awaze, einer der größten Vermittler von Urlaubsunterkünften, hatte bald von
fast 20.000 Angeboten, weniger als 60 übrig, meist unerschwingliche
Luxusschuppen. Für viele bedeutete das am Ende Urlaub zu Hause bei
wechselhaften und teils nassen Wettervorhersagen. Daniel Zylbersztajn,
London
## Belgien und die „zweite Welle“
Brüssel taz | Den Belgiern ist der Spaß an der Urlaubssaison gründlich
vergangen. Erst durften sie nicht nach Griechenland, Malta oder Finnland
reisen, weil diese Länder sich vor Coronaviren aus Antwerpen oder Brüssel
fürchten. Dann verhängte die belgische Regierung auch noch Reisewarnungen
für die Schweiz und Teile von Frankreich, ohne ihre Landsleute vorzuwarnen.
Dies führte zu Ärger bei allen Beteiligten – bei den belgischen Touristen
ebenso wie bei ihren Gastländern.
Rund eine Woche vor dem Ende der Sommerferien am 1. September hat sich die
Lage nicht entspannt, im Gegenteil. Nun steht auch noch Deutschland auf der
Warnliste des Außenministeriums. Zwar sind Reisen noch nicht verboten –
doch auch das ist nicht mehr auszuschließen.
Denn Belgien hat die „zweite Welle“ nicht im Griff, nach Antwerpen meldet
nun auch Brüssel einen steilen Anstieg der Infektionszahlen. Die Regierung
versucht zwar, mit rigoroser Maskenpflicht und einer Einschränkung der
Sozialkontakte – maximal fünf pro Person – gegenzusteuern. Doch bisher
zeichnet sich keine Entwarnung ab.
Premierministerin Sophie Wilmès berief am Donnerstag sogar ihren Krisenstab
ein. Neue Maßnahmen wurden zwar nicht beschlossen, aber auch die erhoffte
Lockerung ist nicht in Sicht. Wenn sich die Coronakrise weiter zuspitzt,
könnte dies auch zum Problem für die EU-Kommission und das Europaparlament
werden. Beide haben ihren Sitz in Brüssel, vor allem die Europaabgeordneten
sind viel auf Reisen.
Was passiert, wenn andere EU-Länder die Region Brüssel auf ihre Warnliste
setzen, weiß niemand. „Wir stehen zu Brüssel, ein Umzug kommt nicht
infrage“, erklärte eine Sprecherin der EU-Kommission auf Nachfrage der taz.
Es klang wie das Pfeifen im dunklen Wald. Eric Bonse, Brüssel
## Italiener*innen unter sich
Rom taz | In diesem Sommer bleiben die Italiener*innen im Urlaub weitgehend
unter sich, an den heimischen Stränden oder in den Bergen des Apennin und
der Alpen. Die Reiselust ins Ausland ist ihnen gründlich vergangen: Nur um
die 7 Prozent statt der im Vorjahr gemeldeten 32 Prozent haben Reiseziele
jenseits der Grenzen gewählt.
Die Wahl leuchtet ein. Italien liegt – mit hier schon als alarmierend
empfundenen gut 600 Neuinfektionen zum Beispiel am letzten Mittwoch – beim
Infektionsgeschehen weit hinten in Europa. Reisen dürften die Bürger*innen
des Landes ohne weitere Einschränkungen, vorneweg einer 14-tägigen
Quarantäne nach der Rückkehr, sowieso nur in die Schengenstaaten und nach
Großbritannien.
Seit letzter Woche schnurrt die Zahl der Staaten aber weiter zusammen: Wer
aus Griechenland, Spanien, Malta und Kroatien zurückkommt, muss einen
Pflichtabstrich vornehmen lassen, direkt am Flughafen oder bei der
heimischen Gesundheitsbehörde; die Kosten trägt der Staat.
So sind die Strände von Nord bis Süd zwar wie im August üblich überfüllt,
doch der Anteil der Ausländer*innen ist geschrumpft. Die Buchungszahlen
liegen bei einem Viertel gegenüber 2019. Schlimmer noch: Reisende aus den
USA, Russland, China oder Japan fehlen komplett – sie aber sind diejenigen,
die traditionell am meisten Geld ausgeben. Vor allem in Florenz oder
Venedig fällt ihre Abwesenheit schmerzlich auf, und in Rom etwa sind 80
Prozent der Hotels weiter zugesperrt, zugleich klagen die geöffneten Häuser
über eine miserable Auslastung. Michael Braun, Rom
## Kroatien: Vom Musterland auf die rote Liste
Split taz | Die Zeiten sind jetzt vorbei, in denen sich Kroatien als
coronasicheres Land präsentieren durfte. Bei 1.653 Tests, die am Mittwoch
vorgenommen wurden, waren 219 positiv. Im Land gibt es jetzt insgesamt
1.520 aktive Fälle, von denen 122 in den Krankenhäusern behandelt werden.
168 Menschen sind bisher im Zusammenhang mit dem Virus gestorben. Slowenien
und Österreich haben Kroatien jetzt auf die rote Liste gesetzt.
Kroatiens Ruf als sichereres Reiseland hat deshalb zwar etwas gelitten.
Doch ist es dem Land wegen seiner günstigen Lage gelungen, Touristen aus
Deutschland, Polen, Ungarn und der Schweiz anzulocken. Kroatien ist per
Auto gut erreichbar und verfügt über viele Ferienwohnungen.
Das haben die Kroaten aus dem Norden in diesem Jahr selbst bemerkt, und
viele sind im Land geblieben. Natürlich kennt man sich aus, die
Mittelschicht aus Zagreb kennt die schönsten Spots auf den Inseln,
irgendein Verwandter hat ja irgendwo ein Boot, jeder einen Geheimtipp.
Dagegen sind Auslandsreisen wie nach Italien, dem eigentlich beliebten
Nachbarland, wie auch nach Mitteleuropa oder Reisen nach Übersee dieses
Jahr beträchtlich eingeschränkt.
So kann der Tourismusminister zufrieden sein. Hotels, Ferienwohnungen und
Restaurants machen ihr Geschäft. Die Auslastung beträgt immerhin 70 Prozent
des Rekordjahrs 2019. Kroatiens Tourismusindustrie ist bisher mit einem
blauen Auge davongekommen. Doch die Entwicklung der letzten Tage gibt zu
denken. Vor allem in den großen Städten, aber auch an der dalmatinischen
Küste häufen sich jetzt die Ansteckungen.
Schuld daran ist der legere Umgang mit Coronapartys, Familienfesten und
einer Jugendkultur, in der die Auflagen wie Mundschutz und Abstand halten
umgangen werden. Zwar herrscht in öffentlichen Gebäuden Maskenpflicht, doch
viele Touristen fühlen sich auf öffentlichen Plätzen und in den Cafés, die
in den engen Gassen der Spliter Altstadt gelegen sind, offenbar so sicher,
dass sie alle Regeln zu vergessen scheinen.
Einen Lichtblick für Spätbucher bilden die Inseln in der Adria. Hier ist
die Ansteckungsrate bisher sehr gering geblieben. Erich Rathfelder, Split
20 Aug 2020
## LINKS
[1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberi…
[2] https://www.ecdc.europa.eu/en/early-warning-and-response-system-ewrs
[3] https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/covid-19/2296762
[4] https://reopen.europa.eu/de
## AUTOREN
Eric Bonse
Reinhard Wolff
Daniel Zylbersztajn
Michael Braun
Erich Rathfelder
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