| # taz.de -- Wettrennen um Covid-19-Impfstoff: Gemeinsam statt einsam | |
| > Warum Europa dringend eine gemeinschaftlich orientierte Alternative zum | |
| > internationalen Wettrennen in der Impfstoffentwicklung braucht. | |
| Bild: Russische Impfung gegen Corona? Imfpstoff im Gamaleja-Institut in Moskau | |
| Regierungen haben die Aufgabe, ihre Bürger*innen zu schützen. Was wir in | |
| der aktuellen Debatte über einen [1][Impfstoff gegen Covid-19] jedoch | |
| beobachten, beschreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Recht als | |
| „Impfstoff-Nationalismus“. Viele Länder wetteifern in einem | |
| Kopf-an-Kopf-Rennen um einen Impfstoff und investieren vorrangig, um die | |
| eigene Bevölkerung möglichst schnell versorgen zu können. In diesem | |
| Wettbewerb dürfte es viele Verlierer*innen geben. Denn obwohl die | |
| Entwicklung noch nie so schnell verlief und es allen Grund zum Optimismus | |
| gibt: Es ist unklar, welche [2][Impfstoffkandidaten] sich tatsächlich als | |
| wirksam erweisen – allzu viele werden es womöglich nicht sein. Gerade | |
| deshalb ist es wichtig, dass es mehrere vielversprechende Projekte gibt. | |
| Einige Länder haben bereits signalisiert, erfolgreiche Impfstoffe global | |
| zur Verfügung zu stellen. So ist die von Italien, Frankreich, Deutschland | |
| und den Niederlanden gestartete [3][Impfallianz] inzwischen ein EU-weites | |
| Projekt geworden. Das ist ein gutes Zeichen; ungeklärt ist aber, wie eine | |
| globale, bedarfsorientierte Verteilung dann konkret aussehen soll. | |
| Unterdessen heizen Unklarheiten der Impfstoffdeals das Wettrennen weiter | |
| an. Hier braucht es ein Europa, dass deutlich macht: Bei der kostspieligen | |
| Impfstoffentwicklung geht es um ein gemeinsames Ziel, das durch intensive | |
| Zusammenarbeit nicht nur besser, sondern mit erheblich weniger Risiko | |
| erreicht werden kann. | |
| Konzentriert sich die Verfügbarkeit künftiger Impfstoffe zu stark auf | |
| reiche Staaten, werden ärmere Länder darunter leiden. Vor allem jene, die | |
| sich teure Impfstoffprojekte ohnehin nicht leisten können. Nicht jedes Land | |
| hat das Privileg, auf Deals mit mehreren Pharmaunternehmen zurückgreifen zu | |
| können. Was wohlhabende Staaten schnell vergessen: Auch ihre Bevölkerung | |
| ist nicht sicher, solange die Impfstoffe nicht gerecht verteilt werden. In | |
| unserer globalisierten Welt ist der allgemeine Gesundheitszustand nur so | |
| gut wie in den schwächsten Regionen. Die Pandemie hat es uns mehr als | |
| deutlich gezeigt. | |
| Um einen Impfstoff so schnell wie möglich für die verfügbar zu machen, die | |
| ihn am dringendsten benötigen, wäre es effektiver, wenn die europäischen | |
| Staaten das finanzielle Risiko auf alle Schultern verteilen würden. | |
| Gemeinsam wären sie in der Lage, finanziell risikoarme Investitionen | |
| abzuschließen – allein deshalb, weil sie zusammen über eine viel höhere | |
| Kaufkraft verfügen und den Markt mitgestalten können. Wir kennen dieses | |
| Prinzip aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Gesundheit jedes | |
| Versicherten kann wirksam verbessert werden, wenn das finanzielle Risiko | |
| geteilt wird und nicht nur diejenigen gesund bleiben, die es sich leisten | |
| können. Eine solche Risikostreuung würde ermöglichen, dass ein Überangebot | |
| an Impfstoffdosen aus einzelnen Ländern in einen zentralen Pool fließen | |
| könnte. | |
| Dabei fangen internationale Kooperationen nicht bei null an: Mit der | |
| Beteiligung an Initiativen wie der Coalition for Epidemic Preparedness | |
| Innovations (Cepi) und der Impfallianz Gavi haben zahlreiche Staaten, | |
| darunter auch Deutschland, bereits bewiesen, dass sie für einen starken | |
| multilateralen Ansatz stehen. Diese Organisationen entwickeln Lösungen, um | |
| bei drohenden Epidemien und Impfstoffengpässen schnell handlungsfähig zu | |
| sein. Vor Kurzem hat die WHO zusammen mit Partner*innen den ACT-Accelerator | |
| (Access to Covid-19 Tools) ins Leben gerufen; eine globale Plattform, die | |
| alle relevanten Akteur*innen zusammenbringt, um die Entwicklung und | |
| Bereitstellung neuer Impfstoffe, Medikamente und Testkapazitäten | |
| voranzubringen. Ein zentrales Merkmal der Initiative: Alle Partner*innen | |
| teilen sich die Kosten, alle profitieren. Es sollte deshalb das Ziel sein, | |
| dass alle Länder sich an diesem Programm beteiligen. Wohlhabendere Länder | |
| sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen und zügig einen finanziellen | |
| Beitrag zum Impfstoffprogramm des ACT-Accelerators leisten. | |
| Der Pooling-Ansatz führt allerdings zu einer weiteren kritischen Frage: Wer | |
| wird zuerst geimpft? Das Bundesgesundheitsministerium entwickelt derzeit | |
| gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut und dem Paul-Ehrlich-Institut Pläne | |
| zur Beantwortung dieser zentralen Frage für Deutschland – ein wichtiger | |
| erster Schritt. Auf globaler Ebene liegt diese Expertise bei der WHO. Es | |
| ist derzeit weder möglich noch notwendig, dass jedes Land jede*n Bürger*in | |
| sofort impft. Verfügbare Impfstoffe sollten weltweit zunächst an die | |
| Beschäftigten im Gesundheitswesen und an Risikogruppen verteilt werden. | |
| Ein europaweites Pooling wäre in der Lage, den schutzbedürftigsten Gruppen | |
| den Vortritt zu lassen. Indem Länder, die über ausreichende Impfstoffdosen | |
| zum Schutz der eigenen Risikogruppen verfügen, überschüssige Kapazitäten an | |
| andere Länder weitergeben, können diese ihrerseits die am stärksten | |
| gefährdeten Menschen schützen. Vor allem in den ersten sechs bis neun | |
| Monaten nach Verfügbarkeit eines Impfstoffs ist dieser Ansatz dringend | |
| notwendig, denn die Produktionskapazitäten werden vorerst voraussichtlich | |
| nicht dem gesamten Bedarf entsprechen. | |
| Europa hat jetzt die Gelegenheit, mit dieser Pooling-Initiative weltweit | |
| ein Zeichen zu setzen, das Impfstoffnationalismus entgegentritt und das | |
| globale Wettrennen durch Kooperation ersetzt. Diese Initiative braucht | |
| einen starken Motor. Die aktuelle EU-Ratspräsidentschaft versetzt die | |
| Bundesregierung in die ideale Ausgangsposition, um hier Impulsgeberin und | |
| Macherin zugleich zu sein – im besten Fall im Schulterschluss mit weiteren | |
| wirtschaftlich starken Ländern. Dazu zählt neben Pooling auch ein hoher | |
| Beitrag Deutschlands in das Impfstoffprogramm Covax. Ohne derlei | |
| Initiativen wird es weitere Einzeldeals geben, die reiche Länder | |
| überversorgen. In dieser außergewöhnlichen Zeit ist die Entwicklung eines | |
| Impfstoffs schlicht zu wichtig, als dass es nur eine*n Sieger*in geben | |
| darf. | |
| 28 Aug 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Caroline Schmutte | |
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