Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bund-Länder-Gipfel zu Coronamaßnahmen: Verbale Kraftmeierei
> Bei ihrem virtuellen Treffen mit der Bundeskanzlerin haben es sich die
> Regierungschefinnen und -chefs der Länder zu einfach gemacht.
Bild: Maskenkontrolle am Kölner Hauptbahnhof
[1][Das Ergebnis der Telefonschaltkonferenz] der Regierungschefinnen und
-chefs der Länder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vom Donnerstag ist
beschämend. Offenkundig hat sich der Vorrat an Gemeinsamkeiten in der
Bekämpfung der Corona-Pandemie erheblich reduziert. Das ist mehr als
bedauerlich.
Die grüne Bundestagsfraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt hat recht,
wenn sie die fehlende Verbindlichkeit und Klarheit der Beschlüsse des
virtuellen Bund-Länder-Treffens als unverantwortlich kritisiert. So richtig
es ist, nach regionalen Betroffenheiten zu differenzieren, so frappierend
ist es, dass es nach wie vor kaum einheitliche Kriterien gibt, wann welche
Maßnahmen gelten. „Je unterschiedlicher die Länder agieren, desto stärker
sinkt die Akzeptanz“, konstatiert Göring-Eckardt. Genau so ist es.
Anschauliches Beispiel dafür ist die Posse um das Bußgeld für
Maskenverweiger:innen. Gerade einmal auf eine Untergrenze von 50 Euro haben
sich die Ministerpräsident:innen nach langer, hitziger Diskussion
verständigen können – und dann nicht einmal alle. Die Folge ist, dass ein
Verstoß gegen die Maskenpflicht in Sachsen-Anhalt weiterhin nichts kostet,
in Bayern jedoch zwischen 250 und 500 Euro. Das ist absurd. Bei einer
Missachtung der Anschnallpflicht im Auto käme niemand auf die Idee
unterschiedlicher Preise je Bundesland.
Noch unerquicklicher sind allerdings die Punkte, bei denen es nicht einmal
möglich war, überhaupt irgend etwas Greifbares zu vereinbaren. Das gilt für
den Umgang mit Zuschauer:innen bei bundesweiten Sportveranstaltungen, wo
den Beteiligten nicht mehr als die Einsetzung einer Arbeitsgruppe
eingefallen ist, aber vor allem für die weiterhin fehlenden einheitlichen
Regelungen für den Schulbetrieb und den Umgang mit Feierlichkeiten im
Familien- oder Freundeskreis. Hier wird jedes Land weiter sein eigenes
Süppchen kochen.
Sicherlich ist es angemessen, die regionalen Infektionszahlen bei der
Festlegung von Obergrenzen für solche Feiern zu berücksichtigen. Aber
geschieht das tatsächlich? Wenn sich im infektionsarmen
Mecklenburg-Vorpommern höchstens 50 Menschen auf einer Familienfeier
treffen dürfen, warum sind es dann in Baden-Württemberg bis zu 100 und
[2][in Berlin mit deutlich mehr Corona-Infizierten sogar bis zu 500]? Das
erscheint willkürlich – und untergräbt daher die Akzeptanz.
## Einig gegen Rückkehrer:innen aus Risikogebieten
Wirklich einig waren sich alle Beteiligten nur in einem Punkt: ihrer
unangenehmen verbalen Kraftmeierei gegen vermeintlich unvernünftige
Menschen, die aus staatlicher Sicht vermeidbare Reisen in sogenannte
Risikogebiete unternehmen. Das ist in gleich mehrfacher Hinsicht
problematisch.
Erstens: Wenn Ministerpräsident:innen schon solchen Wert auf möglichst
unbeschränke Zusammentreffen von Familien in ihren Bundesländern legen,
dann sollten sie vielleicht nicht unberücksichtigt lassen, dass in
Deutschland auch Millionen von Menschen leben, deren Familienangehörige in
einem so genannten Risikogebiet leben, beispielsweise in der Türkei.
Wer seine Verwandten in Anatolien besucht und sich dabei an die Abstand-
und Hygieneregeln hält, handelt keineswegs unvernünftiger als jemand, der
mit bis zu 150 Angehörigen und Kumpels seinen runden Geburtstag in einem
geschlossenen Raum ohne Abstandsgebot und Maskenpflicht feiert, wie das in
Nordrhein-Westfalen zulässig ist. Im Gegenteil.
Zweitens ist bei der Definition der „Risikogebiete“ ebenfalls eine
bedenkliche Willkürlichkeit augenfällig. Auf der [3][Liste des
Robert-Koch-Instituts (RKI)] befinden sich derzeit mehr als 130 der 193
Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Darüber entschieden haben das
Bundesgesundheits- und das Innenministerium gemeinsam mit dem Auswärtigen
Amt.
Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn die Liste denn ausschließlich auf dem
realen Infektionsgeschehen basieren würde. Dem ist aber nur zum Teil so.
Bei der Bewertung von EU-Ländern wird tatsächlich ziemlich genau
hingeschaut und sogar noch sehr akribisch nach einzelnen Regionen
differenziert. Deswegen sind auch nur Teile Frankreichs, Belgiens,
Kroatiens oder Rumäniens als Risikogebiete eingestuft.
Doch für andere Gegenden auf dieser Welt gilt das nicht. Da bleiben die
Zahlen schlichtweg unberücksichtigt. Bei etlichen Ländern jenseits der EU
gibt es keine nachvollziehbare Erklärung dafür, warum sie auf der RKI-Liste
stehen – mit irgendeinem Infektionsgeschehen kann das jedenfalls nichts zu
tun haben. Barbados oder Grenada mögen weit weg sein, aber wer dorthin
fliegt, handelt keineswegs unvernünftiger als jene, die ihren Urlaub in
Bayern verbringen. Aber er oder sie muss in Quarantäne.
Es ist dringend erforderlich, dass die RKI-Liste endlich ihren
willkürlichen Charakter verliert. Ein „Risikogebiet“ sollte auch
tatsächlich ein Risikogebiet sein. Doch dazu findet sich in dem gestrigen
Bund-Länder-Beschluss leider nichts.
## Fragwürdiges Rollback
Drittens ist die nun vereinbarte Änderung im Umgang mit den
Rückkehrer:innen aus „Risikogebieten“ ein fragwürdiges Rollback. Denn es
hatte einen guten Grund, warum Anfang August eine Alternative zur
zweiwöchigen häuslichen Quarantäne geschaffen wurde: Die in den
[4][Corona-Verordnungen der Länder] festgeschriebene bußgeldbewehrte
Verpflichtung zur Quarantäne war das Papier nicht wert, auf dem sie stand.
Kaum jemand hat sich dran gehalten, kaum jemand hat es kontrolliert.
Dass sich daran etwas ändern wird, ist nicht zu erwarten. Zwar haben die
Länder zugesagt, dafür Sorge zu tragen, dass die Kontrolle der
Quarantänepflichten „vor Ort intensiv wahrgenommen wird“. Aber das ist
Augenwischerei. Systematische Kontrollen würden die Behörden völlig
überfordern. Was resolut klingt, dürfte in den praktischen Konsequenzen
weitgehend folgenlos bleiben.
Fatal ist zudem die geplante Rechtsänderung, mit der bundeseinheitlich eine
Entschädigung für Einkommensausfall ausgeschlossen werden soll. Das ist
geradezu eine Aufforderung an diejenigen, die nicht im Homeoffice arbeiten
können, die Quarantäne zu umgehen. Dass man sich nach fünf Tagen
„freitesten“ kann, wird daran nicht viel ändern. Das macht die Lage
unsicherer, nicht sicherer.
Es bleibt dabei: Gesetze und Verordnungen geben nur Sinn, wenn sie zum
einen einhaltbar sind, zum anderen ihre Einhaltung auch kontrolliert werden
kann und wird. Die Ministerpräsident:innen haben es sich zu einfach
gemacht.
28 Aug 2020
## LINKS
[1] /Bund-Laender-Gipfel-zu-Coronamassnahmen/!5710349
[2] /Sondersitzung-des-Senats-zu-Corona/!5710463
[3] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete_…
[4] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/corona-bundeslaen…
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Bundesländer
Schwerpunkt Angela Merkel
Katrin Göring-Eckardt
Schwerpunkt Coronavirus
Spanien
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Bundesländer
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte um Corona-Maßnahmen: Mehr Wissenslücken als Wissen
Es ist unklar, warum wir in der Coronakrise bislang glimpflich
davongekommen sind. Die Politik ist überfordert, Forscher pflegen derweil
Lagerbildung.
Corona und Jakobsweg: Neustart im Rückwärtsgang
Die Reisewarnung zu Spanien hat die Pilgerzahlen stark reduziert. Herbergen
sind geschlossen und Deutsche wagen sich bislang kaum auf den Jakobsweg.
Wettrennen um Covid-19-Impfstoff: Gemeinsam statt einsam
Warum Europa dringend eine gemeinschaftlich orientierte Alternative zum
internationalen Wettrennen in der Impfstoffentwicklung braucht.
Corona in Deutschland: Warnung vor der zweiten Welle
Der Kanzleramtschef verteidigt die Maßnahmen gegen die Pandemie. Ämter
melden wieder mehr als 1.500 Fälle pro Tag. Und die Konsumlaune sinkt.
Bund-Länder-Gipfel zu Coronamaßnahmen: Verbrauchte Gemeinsamkeiten
Stundenlang ringen die Regierungschefs der Länder mit der Kanzlerin über
gemeinsame Wege in der Coronakrise. Es ist kompliziert geworden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.