# taz.de -- Arbeitsbedingungen für Erntehelfer: Tod einer Saisonarbeiterin | |
> Ein Landwirt beutete in Bayern Arbeiter aus. 2018 starb eine Ukrainerin, | |
> nachdem sie über Schmerzen geklagt hatte und nicht behandelt wurde. | |
Bild: Harte Arbeit als Enterhelfer_in auf Deutschlands Feldern (Symbolbild) | |
BERLIN taz | Nein, es war kein faires Arbeitsverhältnis zwischen Marianna | |
J. und Alois Wagner, dem Chef des bayerischen Gemüsehofs, auf dem sich Ende | |
Juli 250 ErntehelferInnen mit dem Coronavirus angesteckt haben: Die | |
Arbeiterin aus der Ukraine sprach kein Wort Deutsch und schon gar nicht das | |
breite niederbayerische Idiom Wagners, sie kannte ihre Rechte nicht, nach | |
wenigen Monaten wollte sie wieder zurück in ihre Heimat. | |
Das sind beste Bedingungen für Gurkenbauer Wagner, um osteuropäische | |
Beschäftige auf seinem Großbetrieb in Mamming auszubeuten, ihnen weniger zu | |
zahlen, als er müsste, sie einzuschüchtern, sie anzuschreien. J. kostete | |
Wagners Rücksichtslosigkeit aber nicht nur Geld und Respekt: Sein | |
fahrlässiger Umgang mit der Gesundheit von Beschäftigten kostete die | |
Ukrainerin im Jahr 2018 möglicherweise sogar ihr Leben. | |
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Lage der in normalen Jahren rund | |
300.000 Saisonarbeitskräfte etwa aus Rumänien, Polen oder Bulgarien in der | |
deutschen Landwirtschaft. Gewerkschafter kritisieren schon lange, dass | |
viele ErntehelferInnen ausgebeutet würden. Auch dem Gemüsebau Wagner mit in | |
der Regel etwa 500 Aushilfen hat die Beratungsstelle des Deutschen | |
Gewerkschaftsbunds für osteuropäische Arbeitnehmer vorgeworfen, [1][er habe | |
weniger als den gesetzlichen Mindestlohn gezahlt, den Arbeitern ihre | |
Personalausweise vorenthalten und die Menschen ohne | |
Coronasicherheitsabstand untergebracht.] | |
Was sich aber Anfang Juli 2018 auf Wagners Hof ereignet hat, dürfte alle | |
bisherigen Beschuldigungen übertreffen. „J. meldete Wagner über den | |
Vorarbeiter mehrmals, dass es ihr schlecht ging, sie Schmerzen in der Brust | |
und am Herzen hatte“, sagte der taz ein Insider, der aus Angst vor | |
Repressalien hier nicht genannt werden möchte. „Um sechs Uhr morgens musste | |
sie trotz massiver Beschwerden auf das Feld zum Arbeiten.“ | |
Die KollegInnen hätten Angst gehabt, einen Krankenwagen zu rufen. „Herr und | |
Frau Wagner sagten immer, dass ein Krankenwagen 1.500 Euro kostet und die | |
Saisonarbeiter das aus der eigenen Tasche zahlen müssen.“ Erst nach ein | |
paar Stunden Arbeit habe Alois Wagner die erkrankte Ukrainerin von einem | |
Mitarbeiter in die Unterkunft fahren lassen. „Sie starb auf der Fahrt, die | |
nur wenige Minuten dauerte.“ Auf der Sterbeurkunde, die der taz vorliegt, | |
ist 8.30 Uhr als Zeitpunkt des Todes angegeben. Marianna J. wurde nur 34 | |
Jahre alt. | |
## Krankenwagen? Zu teuer | |
Ein weiterer Informant sagte der taz über den Fall: „Wagner hat das früh | |
gewusst. Weil sie auf dem Feld sofort sagte, dass sie nach Hause fahren | |
muss, weil sie nicht auf dem Flieger auf der Brust liegen konnte.“ | |
Gurkenflieger sind Fahrzeuge mit zwei Auslegern einige Zentimeter über dem | |
Boden, auf denen die Arbeiter bäuchlings die Gurken ernten. „Sie hat | |
gesagt: Sie braucht Hilfe, sie braucht einen Krankenwagen, weil sie sich so | |
schlecht fühlt.“ Man habe ihr aber dann geantwortet, sie müsse zu Fuß nach | |
Hause kommen, obwohl das Feld einige Kilometer vom Hof entfernt lag. Und: | |
„Wenn sie sich schlecht fühlt, dann muss sie heute oder morgen in ihre | |
Heimat fahren. So war das immer.“ Denn ein Krankenwageneinsatz koste zu | |
viel. | |
„Wenn jemand krank ist, schicken die nicht sofort ein Auto zum Feld, | |
sondern sagen: Du musst sitzen und warten. Das dauert 3 oder 4 Stunden. Die | |
Leute sitzen und warten oder gehen allein zu Fuß nach Hause.“ Wer krank | |
war, bekam oft keine Hilfe, sondern Misstrauen: „Sie haben immer gesagt, | |
wenn jemand krank war: Er hat letzten Tag zu viel Alkohol getrunken, lügt | |
oder ist faul. Wagner ist kein guter Mensch“, sagt der Insider. Ein Grund | |
sei die unzureichende Krankenversicherung der Arbeiter gewesen, sagt der | |
andere Informant. | |
Später habe sich herausgestellt, dass J. schon länger Herzprobleme gehabt | |
habe. „Wäre sie früher in das Krankenhaus gekommen, dann hätte man ihr | |
helfen können“, kritisiert einer der Informanten. | |
## „Diese Leute haben kein Herz“ | |
Sogar nach ihrem Tod hätten die Wagners J. ausgebeutet. Der Witwer sei aus | |
der Ukraine gekommen, um die Leiche seiner Frau zu überführen. „Er hat so | |
wenig Geld bekommen“, berichtet einer der Informanten. Von ihrem ohnehin | |
niedrigen Lohn für zwei Monate Arbeit habe der Betrieb Hunderte Euro | |
abgezogen unter anderem für „Dokumente“. „Die Wagners waren so unnett zu | |
ihm. Diese Leute haben kein Herz.“ | |
Wie respektlos und unfair Wagner mit seinen Erntehelfern umgeht, zeigt auch | |
eine Audioaufnahme, die der taz zugespielt wurde. Darin brüllen er und | |
seine Frau eine osteuropäische Vermittlerin extrem laut an, weil ihre | |
Gruppe Arbeiter bestimmte Papiere nicht übergeben habe. Mit diesen | |
Dokumenten können Wagners die Arbeiter so beim Sozialversicherungsträger | |
melden, dass sie wenig oder gar keine Beiträge zahlen müssen. | |
„Sage denen, dann kriegen’s ihr Geld und dann sollen sie verschwinden. Und | |
ich will keinen mehr sehen!“, schreit Ursula Wagner die Vermittlerin an, | |
die auf die Brülltiraden immer wieder nur leise antwortet: „Ja, Chefin.“ | |
Wenn die Papiere nicht kämen, so Wagner weiter, werde sie alle entlassen. | |
Als dann Alois Wagner dazu kommt, wird es noch lauter: „Nein! Nein! Nein! | |
Nein!“, brüllt er die Vermittlerin an, als sie einen Kompromiss vorschlägt. | |
Doch für Wagner kommt nur eine Lösung in Frage: „200 Euro minus bei jedem �… | |
und fertig. Das ist dein Problem.“ Jedem Arbeiter der Gruppe sollten also | |
200 Euro vom Lohn abgezogen werden. | |
## Immer Minusstunden | |
Das Audio belegt, dass die Wagners Schreie als Mittel einsetzen, um die | |
Arbeiter einzuschüchtern. Denn sie brüllen nicht, weil sie sich so stark | |
aufregen, dass sie kurzzeitig die Kontrolle verlieren. Stattdessen schreien | |
sie ihre Untergebenen sofort zusammen. Wagner ist ein sehr stämmiger Mann | |
mit mächtigem Bauch. Er redet schnell und mit breitem Dialekt. Sogar die | |
wenigen Erntehelfer, die ein bisschen Deutsch können, dürften ihn kaum | |
verstehen. Er hat die Macht auf dem Hof. Selbst wenn die Mitarbeiter die | |
Polizei riefen, könnten sie sich wegen fehlender Deutschkenntnisse kaum | |
verständlich machen. | |
Wagner habe regelmäßig den Arbeiter*Innen den Lohn gekürzt, sagen beide | |
Insider. „Immer 6 Euro und immer Minusstunden. Sie haben immer irgendwelche | |
Gründe für Minusstunden“, sagt einer der Informanten. Besonders wenn | |
Wagners „schlechte Laune“ hätten. Denen, die sich beschwert hätten, habe … | |
gedroht, noch mehr abzuziehen. | |
Um die Leute davon abzuhalten zu gehen, habe Wagner die Personalausweise | |
einbehalten. „Die Leute haben gesagt: Wann bekommen wir die Pässe? Aber sie | |
bekamen nie Antwort“, erzählt einer der Insider. | |
Der Coronausbruch auf dem Hof ist derzeit laut Robert Koch-Institut einer | |
der größten in Deutschland. Das zuständige Landratsamt Dingolfing-Landau | |
geht nach eigenen Angaben davon aus, dass der Betrieb gegen das | |
Hygienekonzept verstoßen hat, das Ansteckungen verhindern sollte. | |
Zwischenzeitlich mussten drei infizierte Erntehelfer des Gemüsehofs | |
stationär im Krankenhaus behandelt werden. Am Montag war es noch eine | |
Person, teilte das Amt der taz mit. Die ersten Fälle wurden Ende Juli | |
diagnostiziert. | |
Eine 39-jährige Ukrainerin ist so schwer erkrankt, dass sie seit Ende Juli | |
auf der Intensivstation liegt, wie aus dem Umfeld des Hofs zu hören ist. Ob | |
sie überlebt, ist offen. | |
Alois Wagner war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Zuvor hatte er | |
jedoch die Vorwürfe zurückgewiesen, dass die Arbeiter nicht den Mindestlohn | |
bekommen hätten. Die Ausweise habe er zur behördlichen Anmeldung | |
eingesammelt und auf Wunsch wieder herausgegeben. Ob die Coronaregeln | |
eingehalten wurden, wollte Wagner nicht sagen. | |
24 Aug 2020 | |
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[1] /Vorwuerfe-gegen-Gemuesehof-in-Bayern/!5707029 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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