# taz.de -- Frauenbeauftragte über Corona-Hilfen: „Wo erzielt dieses Geld Wi… | |
> Der Bremen-Fonds könnte die Gleichberechtigung stärken. Aber bisher, so | |
> Bremens Frauenbeauftragte Bettina Wilhelm, wird die Chance kaum genutzt. | |
Bild: Corona könnte Chancen für Frauen bieten. Aber allein durch Homeoffice w… | |
taz: Frau Wilhelm, welche Chancen bietet Corona für Frauen? | |
Bettina Wilhelm: Wenn man jetzt Webfehler im System anpacken würde, die | |
während Corona sichtbar und besonders spürbar geworden sind – dann würde | |
Corona Chancen für Frauen bieten. Zum Beispiel dieses unsägliche | |
Ehegattensplitting. Gerade jetzt zeigen sich die negativen Auswirkungen auf | |
Frauen. | |
Inwiefern? | |
Das Kurzarbeitergeld, das viele in den vergangenen Monaten beantragen | |
mussten, wird nach dem Nettoeinkommen gezahlt. Und weil Frauen meistens | |
weniger verdienen als ihre Partner, sind sie wegen des Splittings fast | |
immer in der schlechteren Steuerklasse, haben also ein sehr niedriges | |
Nettoeinkommen. | |
Haben Sie noch ein Beispiel? | |
Natürlich die unbezahlte Care-Arbeit, die jetzt besonders den Frauen auf | |
die Füße fällt, weil sie die überwiegend leisten. Statistisch sind es | |
täglich 87 Minuten mehr als bei Männern. Und als jetzt Schule, Kitas und | |
Pflegedienste wegbrachen, waren Frauen [1][plötzlich so was von allein | |
gelassen]. Hätten wir diese tradierte Rollenaufteilung nicht, dann hätte | |
sich das auf beide Geschlechter gleichermaßen ausgewirkt. Hier bestehen | |
also auch Chancen zur Veränderung. | |
Die hat nach einer [2][Untersuchung des sozio-ökonomischen Panels] bereits | |
stattgefunden. Männer haben danach ihren Anteil an Kinderbetreuung und | |
Hausarbeit um 120 Prozent gesteigert, Frauen um 45 Prozent. | |
Die Untersuchung kenne ich nicht, aber ich glaube sofort, dass Männer | |
aufgeholt haben, anders wäre es ja auch gar nicht zu leisten gewesen. Aber | |
belegt ist auch, dass Frauen nach wie vor mehr unbezahlte Care-Arbeit | |
verrichten. | |
Aber der Unterschied ist offenbar geschrumpft. Das hat wohl auch damit zu | |
tun, dass so viele Väter von zu Hause aus gearbeitet haben. | |
Na ja, nur weil ein Mann im Homeoffice ist, heißt das ja nicht, dass er | |
automatisch derjenige ist, der die Care-Arbeit übernimmt. Wir wissen, dass | |
Männer besser ausgestattet werden am digitalen Arbeitsplatz als Frauen. Das | |
hat damit zu tun, dass Frauen so viel in Teilzeit arbeiten und sich die | |
Investition in Teilzeitkräfte kaum lohnt. Das heißt, dass eine Frau zu | |
Hause dann wenig oder gar nicht arbeiten kann, während ihr Partner seine | |
Karriere weiter vorantreibt. Da ist doch klar, wer dann die Hausarbeit | |
macht. | |
Aber es macht doch etwas mit Vätern, wenn sie zu Hause sind und sehen, was | |
zu tun ist, und ihnen die Kinder durchs Büro springen. | |
Ja, jetzt wird sichtbar, was in Familien geleistet wird. Die Familien mit | |
kleinen Kindern, bei denen beide voll arbeiten, sind derzeit die am | |
stärksten gebeutelte Gruppe neben den Alleinerziehenden. Die drehen am Rad. | |
Und ihnen fehlt die Perspektive, wie es weitergeht, nachdem Urlaube | |
genommen und Überstunden abgebaut wurden oder der Arbeitgeber für ein paar | |
Monate kulant war. Wo sind die Konzepte, wenn die nächste Welle kommt? | |
Außerdem muss der Staat Maßnahmen ergreifen, die die Folgen von Corona | |
auffangen. | |
Dafür gibt es den Bremen-Fonds. | |
Ja, [3][der soll Corona-bedingte Nachteile] für bestimmte Zielgruppen | |
ausgleichen, aber auch auf dem Arbeitsmarkt Strukturen ausbessern. Hierfür | |
sind 1,2 Milliarden Euro vorgesehen, was sehr viel Geld ist, auch im | |
Pro-Kopf-Vergleich mit anderen Bundesländern. Was machen wir mit dem Geld, | |
das nicht für Sofortprogramme ausgegeben wird, sondern mittel- und | |
langfristig wirken soll? Ich fürchte ein reflexhaftes Verhalten, das Geld | |
in große Unternehmen zu stecken. | |
Was wäre besser? | |
Wir sollten uns fragen, wo erzielt dieses Geld welche Wirkung und wie lösen | |
wir die Probleme, die uns Corona mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt | |
hat. Anstatt alte Strukturen zu retten und fortzuführen. | |
Haben Sie ein Beispiel? | |
Da komme ich noch einmal auf die Care-Arbeit zurück. Ein [4][Modellprojekt | |
in Baden-Württemberg] förderte haushaltsnahe Dienstleistungen mit acht Euro | |
pro Stunde, geknüpft an die Bedingung, dass Eltern sich entweder beruflich | |
qualifizieren oder nicht in Teilzeit gegangen sind. Das heißt, wenn Sie | |
jetzt [5][jemand im Haushalt] anstellen würden, bekämen sie vom Staat acht | |
Euro und könnten das aufstocken. Das hilft denen, die sonst ohne gesicherte | |
Arbeitsverhältnisse putzen gehen, und verhindert, dass Frauen noch weiter | |
ihre Stellen reduzieren. Das ist gerade in Bremen wichtig. Wir haben hier | |
die geringste Berufstätigkeit von Frauen, die höchste Teilzeitquote von | |
Frauen und die höchste Minijobquote. | |
Aber was ist daran zukunftsweisend, Frauen in die Vollbeschäftigung zu | |
schicken? Warum Arbeit nicht so organisieren, dass alle weniger arbeiten | |
müssen? | |
Klar, das wäre super. Aber in der Realität können sich das viele Eltern | |
nicht leisten. Schon gar nicht die Friseurin oder die Verkäuferin. | |
Den Bremen-Fonds haben Sie in einer Pressemitteilung gelobt, weil er | |
„bundesweit einmalig der unterschiedlichen Betroffenheit der Geschlechter | |
durch die Coronafolgen systematisch Rechnung trägt“. | |
Ja, wir konnten die Geschlechterperspektive platzieren, das ist ein echter | |
Erfolg. Aber noch besser wäre die Festlegung auf Gender-Budgeting, also auf | |
eine geschlechtergerechte Verteilung der Mittel – auf die Wirkung bezogen. | |
Es reicht nicht, Köpfe zu zählen, wie viele Männer, wie viele Frauen | |
profitieren davon. Es geht darum, was jeder eingesetzte Euro bewirken kann. | |
Das ist im Vorfeld natürlich schwerer zu berechnen, aber es geht. | |
Was heißt Geschlechterperspektive? | |
Es wird jetzt ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Maßnahmenfelder | |
auch in Hinblick auf Geschlechter untersucht. Mittel- und langfristige | |
Maßnahmen müssen darlegen, wie sie der unterschiedlichen Betroffenheit der | |
Geschlechter gerecht werden. Frauen in Bremen haben aus verschiedenen | |
Gründen schlechte Zugänge zum Arbeitsmarkt, [6][Corona verschärft diese | |
seit Jahren nur wenig veränderte Situation deutlich] – hier sei als ein | |
Beispiel nur das Aus von Kaufhof in Bremen und Karstadt in Bremerhaven | |
genannt. Wir brauchen also mehr denn je Beschäftigungs- und | |
Qualifizierungsprogramme für Frauen. | |
In einem [7][Gastkommentar im Handelsblatt] schrieb ein | |
Politikwissenschaftler, Frauen würden langfristig als Gewinnerinnen aus der | |
Krise gehen, weil sie sich dem sich wandelnden Arbeitsmarkt besser anpassen | |
können: „Frauen beherrschen die Fähigkeit zur Selbstdisziplin und | |
Selbstorganisation, den selbstbewussten Umgang mit Unsicherheit und | |
Komplexität besser als Männer. Darum sind sie auch die besseren | |
Digitalisierer.“ | |
Das ist schön gesagt, übergeht aber den Befund, dass Frauen bisher eher im | |
Bereich der Anwendung und weniger in der Programmierung vertreten sind. | |
Hier hilft alle Huldigung vermeintlich spezifisch weiblichen Könnens | |
nichts, denn solange das reine Fachwissen höher bewertet wird als solche | |
übergeordneten Fähigkeiten, wird sich wenig ändern. Hier brauchen wir eine | |
neue Denke. | |
20 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Unbezahlte-Carearbeit-in-Deutschland/!5683200/ | |
[2] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.792058.de/diw_sp1089… | |
[3] https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-bremenfonds-mit-au… | |
[4] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/projektstart--gutsche… | |
[5] /Care-Arbeit-im-Kapitalismus/!5666757/ | |
[6] /Gleichstellungsbeauftragte-ueber-Corona/!5676638/ | |
[7] https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-frauen-sin… | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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