# taz.de -- Schulstart nach den Sommerferien: Es geht wieder los | |
> In Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern beginnt diese Woche das neue | |
> Schuljahr mit Unterricht im Regelbetrieb. Kann das gut gehen? | |
Bild: Frisch eingeschult und motiviert: Schüler:innen der Grundschule Lankow i… | |
BERLIN taz | So viel bundesweite Aufmerksamkeit ist Bettina Martin nicht | |
gewohnt. Die ganze Woche über hat die Bildungsministerin von | |
Mecklenburg-Vorpommern die Fragen der überregionalen Medien beantwortet: Ob | |
Schüler:innen im neuen Schuljahr Maske tragen müssen. Wie ihre | |
Teststrategie für Urlaubsrückkehrer und Lehrkräfte aussieht. Und ob – falls | |
die zweite Corona-Welle tatsächlich kommt – die Internetverbindung auf dem | |
Land gut genug ist für ein erneutes Homeschooling. | |
Auf den ersten Blick mag das Interesse am dünn besiedelten Nordosten | |
überraschen: In „Meck-Pomm“ gibt es gerade mal 563 Schulen, gut 150.000 | |
Schüler:innen werden hier unterrichtet – das sind nur etwas über 1 Prozent | |
der gesamtdeutschen Schülerschaft. Doch für Politiker:innen, Virolog:innen | |
und Eltern in ganz Deutschland ist mitunter entscheidend, was dort in den | |
kommenden Wochen passiert. | |
„Wir sind halt die Ersten“, sagt Martin am Telefon und lacht. „Die anderen | |
Länder beobachten uns sehr genau.“ Diesen Montag startet in | |
Mecklenburg-Vorpommern das neue Schuljahr, so früh wie in keinem anderen | |
Bundesland. Geht es nach der SPD-Politikerin, soll an den Schulen nun | |
endlich Normalität einkehren. „Wir haben schrittweise alle | |
gesellschaftlichen Bereiche wieder geöffnet. Auch den Tourismus haben wir | |
wieder zugelassen“, sagt Martin. „Nun stellen wir die Schüler und Eltern in | |
den Mittelpunkt.“ In keinem Bundesland seien die Infektionszahlen | |
niedriger. Vor den Sommerferien musste nach Kenntnis ihres Ministeriums nur | |
eine Schule vorübergehend geschlossen werden. | |
Für das neue Schuljahr bedeutet das: ein gelockertes Hygienekonzept. Die | |
Schülerinnen und Schüler haben wieder Unterricht in regulärer Klassenstärke | |
und in allen Fächern, selbst Sport und Musik sind unter Auflagen erlaubt. | |
Einen Mund-Nasen-Schutz muss in der Schule niemand tragen, in den | |
Klassenzimmern ist die Abstandsregel aufgehoben. „Die Schülerinnen und | |
Schüler haben ein Recht auf Bildung“, sagt Martin. Sie sei froh, dass | |
dieses Recht wieder eingelöst werden könne. | |
## Flächendeckende Schulschließungen nur im Notfall | |
So ähnlich wie Schwerin stellen sich auch die anderen Landesregierungen den | |
Schulstart vor. Bei Martins 15 Amtskolleg:innen ist die Erleichterung zu | |
spüren, [1][nach den Erfahrungen im Homeschooling und im Schichtbetrieb] | |
endlich wieder zum Regelunterricht zurückzukehren: „Eltern sind auf einen | |
zuverlässigen Schulbetrieb angewiesen“, sagte die Bildungsministerin von | |
Schleswig-Holstein, Karin Prien (CDU), das sei wesentlich für die | |
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ihr sächsischer Amtskollege Christian | |
Piwarz (ebenfalls CDU) stellte schon vor Wochen klar, dass der | |
Pflichtunterricht im kommenden Schuljahr „höchste Priorität“ habe. Das | |
Recht der Kinder und Jugendlichen auf Bildung und Teilhabe dürfe nicht | |
leichtfertig unter die Räder geraten. | |
Und Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) freute sich kurz vor dem | |
Schulstart am Donnerstag auf einen „Unterricht mit allem Drum und Dran“. | |
Einer, der dem Schulalltag vor Corona insgesamt schon „sehr nahe“ kommen | |
würde. Auch wenn sich die Regeln von Bundesland zu Bundesland | |
unterscheiden, in einem sind sich die Kultusminister:innen einig: | |
Flächendeckende Schulschließungen soll es nur im Notfall geben. „Wir wollen | |
möglichst nicht in den Lockdown zurück“, sagt Bettina Martin gegenüber der | |
taz. Ausschließen will ihn aber niemand mehr. | |
Das Robert-Koch-Institut jedenfalls hält eine zweite Welle angesichts der | |
[2][steigenden Corona-Infektionen] für möglich – auch wegen der | |
Urlauber:innen, die sich möglicherweise im Ausland mit Sars-CoV-2 | |
angesteckt haben und deren Kinder das Virus vielleicht in die Schulen | |
tragen könnten. Mehrere Bundesländer haben auf taz-Anfrage angekündigt, | |
keine Nachsicht mit Familien zu zeigen, die den Urlaub in ein Risikogebiet | |
ohne die 14-tägige Quarantänezeit planen – und ihre Kinder dann zum | |
Schulbeginn zu Hause lassen. Der Verstoß werde wie Schulschwänzen geahndet, | |
auch Bußgelder drohten, hieß es etwa aus Hamburg. Problematisch wird es | |
nur, wenn die Urlauber die Quarantänepflicht ignorieren, denn überprüft | |
wird das nicht. In dem Fall könnten die ersten beiden Schulwochen schon | |
frühe Schulschließungen nach sich ziehen. | |
Vor allem Lehrkräfte und Eltern sorgen sich, dass der Regelunterricht ohne | |
Abstandsregeln im Unterricht möglicherweise zu früh kommt. Lehrerverbände | |
warnen schon seit Monaten, der Wunsch nach Normalität dürfe nicht zulasten | |
des Gesundheitsschutzes gehen. Auch fehlt es an vielen Schulen im Land an | |
ausreichend Toiletten, um die Hygienepläne aus den Ministerien zu erfüllen. | |
Im Netz häufen sich unter dem Hashtag #BildungAberSicher Kommentare, die | |
die Schulöffnungen in der geplanten Form als verantwortungslos bezeichnen. | |
## Regelmäßige Coronatests sind Teil der Strategie | |
Tatsächlich befinden sich die Kultusminister:innen in einer Zwickmühle: | |
Schon im Juni haben sie verkündet, nach den Sommerferien zum | |
Regelunterricht zurückzukehren. Mitte Juli erklärten sie dann die | |
Abstandsregeln im Unterricht für überflüssig. Wie eine Umfrage der taz | |
unter den 16 Ländern zeigt, hat sich daran auch durch das höhere | |
Infektionsgeschehen nichts geändert. Die Länder haben mehrere Szenarien | |
vorbereitet, abhängig vom Infektionsgeschehen. Überall gilt aber: Außerhalb | |
der Klassenzimmer soll der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten | |
werden. Die Schulen sollen verhindern, dass sich bestimmte Gruppen – in der | |
Regel Klassen oder ganze Jahrgangsstufen – durchmischen. In Berlin, Bayern, | |
Baden-Württemberg, Thüringen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz müssen | |
Schüler:innen im Schulgebäude neuerdings einen Mund-Nasen-Schutz tragen. | |
Auch regelmäßige Coronatests sind Bestandteil der Strategie, zum Teil | |
dürfen sich Lehrkräfte mehrfach testen lassen, auch ohne Symptome. | |
Hamburg, Bremen und Thüringen stellt ihnen darüber hinaus auch | |
FFP2-Schutzmasken zur Verfügung. Vom uneingeschränkten Regelbetrieb spricht | |
niemand mehr. Allein deshalb, weil der Krankheitsstand an einigen Schulen | |
seit Corona stark angestiegen ist und die Personalsituation verschärft. In | |
NRW etwa hat er sich auf derzeit 15 Prozent verdoppelt. Die neue | |
Zauberformel lautet: Regelunterricht unter Pandemiebedingungen. Doch kann | |
der wirklich klappen? | |
Die Mecklenburger Lehrerin Martina Frey ist da skeptisch. Die 53-Jährige | |
unterrichtete bis zu den Sommerferien an der Fritz-Reuter-Grundschule in | |
Ludwigslust. Den heutigen Schulstart verpasst Frey zwar, weil sie sich | |
gerade in einem Sabbatical befindet, dennoch fragt sie sich, ob die | |
Vorgaben aus dem Kultusministerium in Schwerin – dem Ressort von Ministerin | |
Martin – den Praxistest bestehen. Zwar verzeichnete das Bundesland in den | |
vergangenen Wochen geringe Infektionszahlen, was den Unterricht in voller | |
Klassenstärke und ohne Abstandsregeln möglich erscheinen ließ. „Aber | |
aktuell meldet der Landkreis neue Fälle“, sagt sie. | |
„Das Grundgefühl ist Unsicherheit.“ Vor allem, weil die Regeln einige | |
Fragen offen lassen: Das Ministerium hat empfohlen, Singen und Sport ins | |
Freien zu verlagern – doch wie soll das im Winter klappen? Als „absurd“ | |
bezeichnet Frey die Umsetzung der Nachmittagsbetreuung, zumindest an der | |
Fritz-Reuter-Grundschule. „Da gibt es nur einen großen Raum für alle | |
Kinder“, berichtet Frey. „Kaum vorstellbar, dass sich die Klassenstufen da | |
nicht mischen.“ | |
## Viel weniger Schüler:innen als erwartet hatten Covid-19 | |
Doch möglicherweise wäre das weniger fatal als angenommen. Zumindest legt | |
eine Studie von der TU Dresden und dem Dresdner Universitätsklinikum nahe, | |
dass Schulen bei der Verbreitung des Virus eine untergeordnete Rolle | |
spielen könnten. Schon im Mai, als Sachsen als erstes Bundesland zum | |
Regelunterricht zurückkehrte, nahmen die Forscher:innen erste Proben. Ihr | |
Zwischenergebnis nach mehr als 2.000 getesteten Personen an 13 Schulen: Der | |
Immunisierungsgrad ist deutlich geringer als angenommen. Oder mit anderen | |
Worten: Viel weniger Schüler:innen als erwartet hatten das Virus. „Die | |
Schulen haben sich auch im Regelbetrieb nicht zu Hotspots entwickelt“, sagt | |
der Co-Leiter der Studie, Jakob Armann, zur taz. | |
Ob das auch im Herbst so bleibt, wenn das Lüften der Räume schwieriger wird | |
und vermeht Atemwegsinfektionen auftretenund die Grippesaison beginnt? | |
„Schwer zu sagen“, sagt Infektiologe Armann. Durchlüften sei auf jeden Fall | |
sehr sinnvoll. Unter welchen Bedingungen jedoch ein Durchlüften alle 45 | |
Minuten ausreicht, um Ansteckungen zu vermeiden, und wann die | |
Infektionsgefahr steigt, sei nicht genügend erforscht. | |
Womit Armann aber stark rechnet: Dass wegen der saisonalen Grippewelle | |
Verteilungen von Atemwegsinfektionen im Herbst deutlich mehr Schulkinder | |
vorsorglich krank geschrieben werden dürften, wegen deraufgrund klinisch | |
von ähnlichen Symptome zu Covid-19 nicht zu unterscheidbaren Symptomen. Bis | |
dahin wäre es ratsam, schnelle und umfangreiche Testskapazitäten für die | |
Schulen und Kindergärten vorzubereiten. Andernfalls drohen wieder | |
mehrwöchige Homeschooling-Phasenwird ein Regelbetrieb in den Schulen schwer | |
umsetzbar sein. | |
## Insgesamt besser auf den Lockdown vorbereitet | |
Um dieses Mal dafür besser gerüstet zu sein, haben die Bundesländer in den | |
letzten Monaten digitale Geräte angeschafft, Serverkapazitäten ausgebaut | |
und Lehrkräfte für den Fernunterricht fortgebildet. Die Hamburger | |
Schulbehörde beispielsweise hat in den Sommerferien nach eigenen Angaben | |
knapp 39.000 zusätzliche Laptops und Tablets verteilt. Somit steht einem | |
Viertel der Hamburger Schülerschaft ein Leihgerät zur Verfügung. | |
Schulleiterin Yvonne Dannenberg hat die neuen Geräte bereits erhalten. | |
Besonders glücklich ist sie damit aber nicht, erzählt sie. Und das liegt an | |
ihrer Schülerschaft an der Ganztagsschule Vizelinstraße. „Einige der | |
Familien, gerade die eher bildungsfernen und mit knappen Budget, haben zu | |
Hause kein Internet“, sagt Dannenberg. „Da hilft das Gerät wenig.“ | |
Insgesamt fühlt sie sich aber besser auf einen Lockdown vorbereitet. | |
Auch Mecklenburg-Vorpommern hat sich auf einen erneuten Lockdown | |
vorbereitet. Bildungsministerin Bettina Martin hat die Schulen an die | |
interaktive Lernplattform „itslearning“ angebunden, auf die viele digital | |
erfahrene Lehrkräfte schwören. Auch sollen demnächst digitale Leihgeräte | |
für Schüler:innen angeschafft werden. Und auch der Netzausbau auf dem Land, | |
verspricht Martin, werde sich bald verbessern. | |
2 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schulen-in-der-Coronakrise/!5691074&s=Schichtbetrieb/ | |
[2] http://Kurven%20im%20Anstieg | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
Esther Geißlinger | |
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