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# taz.de -- Neue StVO außer Kraft: Freibrief zum Rasen
> Verkehrsminister Scheuer nutzt einen Formfehler, damit Raser weniger
> bestraft werden. Dieser Mann müsste längst strafversetzt sein.
Bild: Steht lieber im Rampenlicht: Verkehrsminister Andreas Scheuer beim Spaten…
Fast ist man geneigt, Andreas Scheuer mal zu loben. Denn der ebenso
umstrittene, wie standhafte Verkehrsminister möchte tatsächlich mal einen
Fehler korrigieren. Zugeben, dass er auf seine Kappe ging? Nein, soweit
würde Scheuer natürlich nicht gehen. Aber korrigieren, das eben schon.
Worum es geht? Die verbaselte Reform der Straßenverkehrsordnung. Mit der
hatte der CSU-Politiker im vergangenen April tatsächlich mal ein paar
leichte [1][Verbesserungen für Radfahrer] angeschoben, damit nicht ganz so
offensichtlich ist, dass er sich nur für Menschen auf PS-getriebenen
Fahrersitzen engagiert. Weil er dafür die Zustimmung des nicht von der
Union dominierten Bundesrates brauchte, hatte er sogar eine leichte
Verschärfung für Autofahrer akzeptiert. Denen droht nun schon der
Führerscheinentzug, wenn sie 21 Stundenkilometer zu schnell fahren. Bisher
waren auch 10 km/h mehr kein Problem.
Dann kam heraus, [2][dass Scheuers Ministerium ein Formfehler unterlaufen
war.] Den will er nun aber nur beheben, wenn gleichzeitig auch die
zusätzlichen Sanktionen für Raser wieder zurückgenommen werden. Dem
verweigert sich aber die Mehrheit im Bundesrat. Wegen fehlender
Rechtssicherheit steht die komplette Reform infrage. Und Scheuer kann auf
die bösen, grün mitregierten Bundesländer verweisen, die sich dem Willen
des Autofahrervolkes verweigern.
Fast könnte man den Verdacht hegen, der Fehler sei absichtlich eingehegt
worden, um die Gesetzesnovelle nach dem erwartbaren Shitstorm der
bundesdeutschen Gaspedalritter wieder aushebeln zu können. Aber soviel
bösartige Klugheit möchte man Andreas Scheuer dann doch nicht unterstellen.
## Beide Augen zugedrückt
Der Skandal dahinter sitzt eh viel tiefer. Es ist ja nicht nur zweifelhaft,
dass Scheuer der Autolobby den Freibrief zum Rasen so großzügig wie möglich
belassen möchte, sondern dass er ob mit oder ohne Reform quasi als gesetzt
gilt. Wozu gibt es eigentlich Verkehrsregeln, wenn sie nicht eingehalten
werden müssen?
Das nun heiß diskutierte Reförmchen erlaubt ja zum Beispiel immer noch,
dass man mit 70 Sachen durch geschlossene Ortschaften brettert, ohne den
Führerschein riskieren zu müssen. Und der Autominister Scheuer hält selbst
das für nicht verhältnismäßig. Zwar weiß jedes Kleinkind, dass die Gefahr
für schwere [3][oder gar tödliche Verletzungen] mit jedem Stundenkilometer
exponentiell anwächst. Aber Scheuer will weiter beide Augen auch dann noch
zudrücken, wenn jemand erst bei 80 Stundenkilometern nicht mehr aufs
Gaspedal drückt.
Das ist ja so, als wenn es okay wäre, wenn Autos „nur“ ein paar Stündchen
auf Radwegen geparkt werden. Oder wenn nur freundlichst getadelt würde,
wenn man mit der U-Bahn „nur“ ein paar Stationen ohne Ticket führe. Oder
wenn ein Minister problemlos im Amt bleiben könnte, wenn er mit seiner
obskuren Vergabe von Maut-Verträgen „nur“ eine halbe Milliarde Euro
öffentlicher Gelder in den Sand setzt.
## Formfehler in Person
Ach, letzteres hat Scheuer [4][genau so geschafft]? Ja, er ist halt der
Formfehler in Person, in sofern versteht sich von selbst, dass er jeden
Blick zurück auf eigene Verantwortung vermeiden will und stattdessen sein
Rechtsgefühl so dehnt, wie es ihm gerade passt.
Eigentlich müsste diese Mann längst strafversetzt sein. Er könnte sich zum
Beispiel um die schnieke Modelleisenbahn im Keller von Horst Seehofer
kümmern. Aber die CSU-Granden wissen schon, warum sie Scheuer nicht zum
Lokomotivchenführer degradieren.
Zum einen müsste Seehofer ernsthaft um sein Spieleparadies fürchten. Zum
anderen – und das ist wirklich ernst gemeint – macht Scheuer ja seinen Job
gut. Er ist genau das, was er sein soll: der oberste Lobbyist der
Autorepublik Deutschland, getarnt mit einem Ministeramt. Und deshalb wird
er auch bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben.
Was helfen könnte? Ein Blick in die Geschichte. Vor vielen, vielen Jahren
hatte Renate Künast die ebenfalls als Behörde getarnte Lobbyorganisation
namens Landwirtschaftsministerium übernommen und sie in ein Ministerium für
Verbraucherschutz umgewandelt. Ein ähnlich demonstrativer Perspektivwechsel
beim Autoministerium sollte schon jetzt als Ziel für die Zeit nach der
nächsten Bundestagswahl festgeschrieben werden. Wenn – nur mal als Beispiel
– die Grünen bei dann anstehenden Koalitionsverhandlungen kein Ministerium
für verantwortungsvolle Mobilität durchsetzen würden, könnten sie den
Eintritt in eine Regierung auch gleich ganz sein lassen.
11 Jul 2020
## LINKS
[1] /Fahrrad-Boom-in-Corona-Pandemie/!5694408
[2] /Scheuers-Formfehler-in-der-StVO/!5698197
[3] https://twitter.com/fietsprofessor/status/1281216319044624384
[4] /Untersuchungsausschuss-zum-Mautdesaster/!5685361
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
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Reform
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