Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- AfD-Beobachtung durch Verfassungsschutz: Der sächsische Sonderweg
> Bisher hat der sächsische Verfassungsschutz öffentlich zugängliche Infos
> über AfD-Abgeordnete gesammelt. Der neue Chef macht damit Schluss.
Bild: Neuer Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz in Sachsen, Dirk-M…
Dresden taz | Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hat Medienberichte
darüber bestätigt, dass Differenzen über die Beobachtung von sächsischen
AfD-Abgeordneten in Land- und Bundestag sowie im EU-Parlament Anlass für
die Entlassung von Gordian Meyer-Plath als Präsident des Landesamtes für
Verfassungsschutz waren. Seine Ablösung sei aber schon länger geplant
gewesen. Das sächsische Regierungskabinett hatte ihn am Dienstag [1][durch
den Juristen Dirk-Martin Christian ersetzt], der seit 2019 im
Innenministerium die Fachaufsicht über den Landesverfassungsschutz führte.
„Das Landesamt hat widerrechtlich Daten über frei gewählte Abgeordnete
gespeichert“, erklärte Wöller am Donnerstag. Nicht etwa Ergebnisse einer
Observierung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, sondern öffentliche
Aussagen und Medienberichte. „Das ist die wichtigste Quelle des
Verfassungsschutzes“, meinte Präsidenten-Nachfolger Christian zum Erstaunen
mancher Journalisten. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen gegen
Abgeordnete nur eingesetzt werden, wenn der Landtagspräsident zustimmt.
Aber schon das Anlegen einer solchen Sammlung allseits zugänglicher
Berichte und Aussagen verstößt nach Auffassung des Innenministers und des
neuen VS-Präsidenten gegen geltendes Recht. Hierüber hat es offenbar
Kontroversen zwischen Meyer-Plath und seiner Aufsichtsperson Christian im
Ministerium gegeben, wie aus einem der Sächsischen Zeitung zugespielten
Briefwechsel hervorgeht.
Seit etwa einem Jahr stellte das sächsische Landesamt Dossiers mit
Medienberichten und öffentlichen Aussagen zusammen und legte sie von sich
aus der Aufsicht vor. Innenminister Wöller war seit April informiert, Ende
Juni wurde die Löschung dieser Aufzeichnungen angewiesen, die bis zur
Stunde noch nicht erfolgt ist. „Jeder Prozess, den die AfD gewinnt, ist
eine Adelung ihrer Vorgehensweise“, formulierte Innenminister Wöller die
besondere sächsische Vorsicht, die Beobachtung möglicher
verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht in ihr Gegenteil zu verkehren.
Datensammlung durch Rechtslage nicht ausgeschlossen
Doch die vielfach beschworene Rechtsgrundlage, die eine Datensammlung
angeblich ausschließt, erweist sich bei näherer Betrachtung als schmal.
Weder die sächsische Landesverfassung noch das Verfassungsschutzgesetz noch
das Abgeordnetengesetz schließen eine solche Beobachtung ausdrücklich aus.
Maßgeblich für das sächsische Innenministerium ist allein das vielfach
erwähnte so genannte Ramelow-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2013.
Darin wurde die VS-Beobachtung des heutigen Thüringer Ministerpräsidenten
Bodo Ramelow aufgehoben.
Die Karlsruher Richter korrigierten im Ramelow-Urteil unter anderem ein
Gutachten des Juristischen Dienstes des Bundestages von 2006, das eine
Beobachtung einzelner Abgeordneter nicht zwangsläufig im Widerspruch zur
freien Mandatsausübung sah: Bei nachweislichen Aktivitäten gegen die
Freiheitlich-Demokratische Grundordnung sei eine Beobachtung ausnahmsweise
zulässig.
Die damals benannten Ausnahmen werden heute aber leicht vergessen. So ist
eine VS-Beobachtung vorübergehend zulässig, um extremistische Bestrebungen
nachzuweisen. Gewählte Abgeordnete dürfen ebenfalls beobachtet werden, wenn
sie als Nichtextremisten in einer Partei tätig sind, in der Extremisten die
Mehrheit ausmachen.
Bei der Beurteilung des bisherigen Vorgehens im sächsischen Landesamt
handelt es sich also um eine Ermessensfrage. Die Linken-Landtagsabgeordnete
Kerstin Köditz attackierte prompt das Landesamt: Es sei „zu dämlich,
gegenüber dem Innenministerium zu begründen, weshalb es die Daten von
AfD-Abgeordneten speichern muss“. Ohnehin stümpere es im Kampf gegen
Rechtsextremismus herum, wie ihm ja auch das Ministerium mangelnde
Analysefähigkeit bescheinige.
Verfassungsschutzämter anderer Länder besorgt
Dasselbe Innenministerium war es jedoch, das am Donnerstag einmal mehr
sächsischen Trotz und das Recht auf einen Sonderweg demonstrierte –
ungeachtet der in Bund und den übrigen Ländern verbreiteten Tendenz [2][zur
genaueren Beobachtung von AfD-„Flügel“ und der „Jungen Alternative“]. …
verwendet der Bundesverfassungsschutz nicht nur frei zugängliche Quellen.
Sachsen aber ignoriert erklärtermaßen dessen Handreichungen für den Umgang
mit Abgeordneten und setzt die Beobachtungsschwelle sehr hoch an.
„Prüfungs- und Verdachtsfälle dürfen in Sachsen nicht beobachtet werden“,
erklärte der „Neue“ Dirk-Martin Christian. Er und Innenminister Roland
Wöller beeilten sich indessen, die rechtsextreme Gefahr in allgemeinen
Worten zu beschwören. Man wolle dagegen weiter „dicke Bretter bohren“.
Andere Verfassungsschutzämter blicken inzwischen sehr genau nach Sachsen.
Er beobachte die Vorgänge um den sächsischen Verfassungsschutz „mit Sorge�…
sagte der Thüringer Präsident Stephan Kramer zur taz. Denn: „Wie jeder
weiß, sind eine ganze Reihe der genannten Beobachtungsfälle
länderübergreifend relevant.“
Demonstranten vor dem Innenministerium sowie Grünen-Jugend, Linksjugend und
Jusos sehen in den Vorgängen eine indirekte Sabotage des Kampfs gegen
Rechts und forderten den Rücktritt des Innenministers und die Abschaffung
des Verfassungsschutzes. Die AfD hingegen lobte den neuen VS-Chef Christian
und wittert die Chance, mit einer Klage weiter ihren Opfermythos zu
pflegen. Am Montag wird sich die Parlamentarische Kontrollkommission mit
dem Fall beschäftigen.
3 Jul 2020
## LINKS
[1] /Sachsens-Verfassungsschutzchef/!5697813
[2] /Geheimdienst-und-Rechtsextremismus/!5697551
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
AfD Sachsen
Verfassungsschutz
Der Flügel
Bundesamt für Verfassungsschutz
Geheimdienst
Verfassungsschutz
Schwerpunkt AfD in Berlin
Prepper
Rechtsextremismus
Der Flügel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Dienste beobachten Journalist*innen: Kein Einzelfall
Tim Mönch ist professioneller Fotojournalist. Sächsische Staatsschützer
sammeln trotzdem Daten über ihn – weil sie ihn als Linksextremisten sehen.
Verfassungsschutz in Sachsen: Huch, hier gibt's ja Nazis
Der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes vermutet in
Ostdeutschland rechtsextreme Strukturen. Ob dieser Erkenntnis Taten folgen?
AfD Berlin rebelliert gegen Pazderski: Da hilft keine Supervision
Nach der Kandidatur von Georg Pazderski entzweit sich die AfD-Fraktion. In
einem Brandbrief stellt sich fast die halbe Fraktion gegen ihren Vorstand.
taz-Recherche zu rechtsextreme Preppern: Rechte Reserve im Bundestag
Ein Mitglied der „Zuflucht“-Preppergruppe arbeitet für die AfD im
Bundestag. Der Mann hat sich auch in der Partei engagiert.
Rechtsextreme im KSK: Letzte Chance für Elitetruppe
Wegen Rechtsextremismus-Problemen soll das Kommando Spezialkräfte umfassend
reformiert werden – laut Verteidigungsministerin „eine Bewährungschance“.
Verfassungsschutz beobachtet „Ein Prozent“: Rechtsextreme Netzwerker
Der Verfassungsschutz stuft das neurechte „Ein Prozent“ als Verdachtsfall
ein. Die Gruppe fördert Pegida, Asylfeinde und die „Identitären“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.