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# taz.de -- Anna Joss über Denkmalschutz: Eine Lanze für den Brutalismus
> Anna Joss ist die neue Chefin des Hamburger Denkmalschutzamts. Sie
> wünscht sich, dass mehr brutalistische Bauten erhalten werden.
Bild: Prüft derzeit Bauten von 1975 bis 1995: Anna Joss, Hamburgs neue Chefin …
Hamburg taz | Sie ist eine nette Person, aber man bekommt sie nicht recht
zu fassen. Die Schweizerin Anna Joss, seit April Chefin des Hamburger
Denkmalschutzamts, übt sich in Diplomatie, wenn man sie fragt, was sie
anders machen will als ihr Vorgänger Andreas Kellner, der jetzt in Rente
ging. Und man braucht lange, um aus den stets freundlichen Antworten der
40-Jährigen herauszufiltern, wohin sie will.
Das muss nicht unbedingt an ihrer Person liegen. Es kann auch die Bürde
eines Amtes sein, das sie bislang bloß stellvertretend leitete und dessen
Arbeit einigen Politikern als Innovationsbremse gilt. Dazu trägt die
Gesetzeslage kräftig bei, sind Denkmalschützer doch bloß Berater und werden
im Zweifel von Wirtschafts- und Verkehrspolitikern sowie vom
Oberbaudirektor überstimmt.
Das ist in Hamburg bei der 1982 gebauten Cremon-Fußgängerbrücke über die
Willy-Brandt-Straße so gewesen, auch beim Deutschlandhaus von 1928, einem
der wenigen erhaltenen frühmodernen Backstein-Bürokomplexe am Gänsemarkt.
Jüngstes Beispiel ist die 1925 gebaute Sternbrücke im Schanzenviertel –
Nadelöhr auf der verkehrsreichen Stresemannstraße und den dortigen Klubs
und Anwohnern ans Herz gewachsen. Jetzt soll sie durch eine hohe Brücke
ohne Pfeiler ersetzt werden, die Proportionen und Atmosphäre des Areals
gründlich stört.
## Verkehrsinteressen wogen schwerer
Das bedauere sie sehr, sagt Anna Joss, aber „dass die Brücke hätte
instandgesetzt werden können, wie Gutachten erfreulicherweise zeigten, ist
gegenwärtig nicht mehr relevant.“ Hier seien Verkehrsinteressen höher
gewichtet worden als Denkmalbelange.
Dieses Machtgefälle ließe sich auflösen, erhöbe man das Denkmalschutzamt
von der Kulturbehörden-Abteilung zur Stabsstelle, dem Oberbaudirektor
ebenbürtig. Der ist qua Amt wichtigster Gegenspieler, aber Anna Joss
beteuert, es gebe keine behördeninternen Konflikte. Erstaunlich. Vielleicht
ist der scheinbare Friede aber auch mit dem Kuschen des Denkmalschutzamts
erkauft.
Ein bisschen hellhörig wird man nämlich, wenn Anna Joss betont, dass sie
sich auf die Zusammenarbeit mit dem Denkmalrat freue, einem unabhängigen
Fachbeirat der Behörde. Auch dem – noch freieren – [1][Denkmalverein]
attestiert sie eine „erfreulich laute Stimme“. Die sei wichtig, denn nur
gemeinsam könne man gute Lösungen finden.
Denkmalvereins-Geschäftsführerin Kristina Sassenscheidt war bis 2014
Pressesprecherin des Denkmalschutzamtes. Seit einem halben Jahr ist die
Stelle wieder vakant. Wann sie wieder besetzt wird? „Ich bin guter Dinge,
dass wir dies nach der Neubesetzung der Amtsleitung nun zügig werden machen
können“, orakelt Anna Joss.
Dabei wäre Pressearbeit wichtig, für das in- wie externe Standing, denn
Konfliktstoff gab und gibt es reichlich. Zum Beispiel in puncto
„verrottende Ruinen“. Zwar haben die Eigentümer die Reste des Neuen
Israelitischen Tempels von 1844 – der weltweit ersten Synagoge des
Reformjudentums – jetzt endlich baulich gesichert, sodass man in Ruhe die
Gestaltung dieses Erinnerungsorts überlegen kann.
## Schilleroper verfällt
Bei der am Schanzenviertel gelegenen [2][Schilleroper], dem wohl letzten
festen Zirkusbau des 19. Jahrhunderts, lief das anders: Dessen Eigentümerin
hat die Frist zur Sicherung des Baus jetzt per Gericht bis 30. 12.
verlängert bekommen. Damit geht ein weiteres Halbjahr ins Land, in dem der
Denkmalschutz das Gebäude nicht auf eigene Kosten vor dem Einsturz bewahren
kann.
Angesichts solcher Verläufe wäre es hilfreich, wenn auch für den
Denkmalschutz ein Verbandsklagerecht bestünde, das Naturschutzverbände
längst haben. Denn oft genügt schon die Drohung mit der Klage, um die
Gegenseite zum Einlenken zu bewegen. Ob Anna Joss, die Neue, jetzt
kraftvoll für ein Verbandsklagerecht kämpfen wird? Sie hält sich bedeckt:
„Dazu wird es noch einige Diskussionen geben.“
Diplomatensprech, verständlich bei einer Chefin, die ihr Amt frisch antrat
und nicht gleich Porzellan zerschlagen will. Aber sie zeigt auch wenig
Kontur, und man weiß immer noch nicht, wofür sie brennt? Sind es vielleicht
brutalistische Betonbauten wie Hamburgs Cityhof-Hochhäuser von 1958, die –
gegen Voten von Architekten, Künstlern, Denkmalschutz – kürzlich abgerissen
wurden?
Treffer. „Wie phantastisch wäre es, wenn brutalistische Bauten aus den
1950er- bis 1970er-Jahren ganz selbstverständlich erhalten würden!“, bricht
es aus ihr heraus. „Aber es braucht noch viel Einsatz, bis es genauso
selbstverständlich ist, solche Bauten zu erhalten wie Gründerzeithäuser,
die früher auch einmal flächendeckend abgerissen werden sollten“, sagt sie.
„Wir schauen uns gerade die junge Baugeschichte Hamburgs an und prüfen bei
rund 700 Objekten aus der Zeit von 1975 bis 1995, ob wir Einzelne davon in
die Denkmalliste aufnehmen.“
## Umstrittener Erhalt vom NS-Kunst
Auf den umstrittenen Erhalt um NS-Kunst angesprochen, sagt sie allerdings,
die Suche nach Antworten sei eine gesellschaftliche Aufgabe: „Die
Geschichte zeigt, dass es illusorisch und kurzsichtig ist, die Erinnerung
durch Zerstörung von Gebäuden und Denkmälern aus früher Zeit löschen zu
wollen.“ Ein reflektierter, kommentierender und aktiver Umgang mit NS- und
Kolonialdenkmälern erscheine ihr sinnvoll.
Zugegeben: Sie hat das vor den Demonstrationen gegen Rassismus und
Polizeigewalt gesagt und vor dem Sturm auf Denkmäler führender Militärs und
Politiker, die im 19. Jahrhundert die Südstaaten der USA und deren
Sklaverei protegierten.
Aber selbst wenn man nur auf die NS-Zeit schaut, bleibt die Frage, warum
zum Beispiel das gut kenntliche Hakenkreuz an der [3][Lutherkirche in
Hamburg-Wellingsbüttel] bleiben darf, weil der Denkmalschutz es „hoch
interessant“ fand. Sich da auf politische Neutralität zu berufen, scheint
nicht angebracht. Schließlich ist das Denkmalschutzamt Mitgestalter
öffentlichen Raums, der die gesellschaftspolitisch-ethische Wirkung seiner
Entscheidungen bedenken sollte.
30 Jun 2020
## LINKS
[1] https://www.denkmalverein.de/
[2] /Denkmalgeschuetzte-Schilleroper/!5666352&s=Schilleroper/
[3] /Archiv-Suche/!5051990&s=wellingsb%C3%BCttel+hakenkreuz/
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Denkmalschutz
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