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# taz.de -- 100 Jahre Denkmalschutzgesetz: Der Hamburger Weg
> Originalgetreu bewahrt hat Hamburg seinen Ruf als Abrissstadt – dem vor
> 100 Jahren verkündeten Denkmalschutzgesetz zum Trotz.
Bild: So schützt Hamburg: Abriss der als Denkmale anerkannten City-Hochhäuser…
Was macht ein Baudenkmal aus? In den Jahren um 1900 wurde darum gestritten,
zumindest einige Wesensmerkmale und Erhaltungsvorstellungen zu definieren
und eine Theorie der Denkmalpflege zu begründen. Es war dies eine Reaktion
auf das 19. Jahrhundert, das mit dem Anspruch, „stilrein“ zu bauen,
besonders: weiter zu bauen, recht unbekümmert Denkmalfälschungen gotischer
Kathedralen, mittelalterlicher Ritterburgen oder ganzer Kaiserpfalzen
hinterlassen hatte.
Als Nestor der Denkmalpflege in Deutschland gilt Georg Dehio (1850–1932),
ab 1892 Professor für Kunstgeschichte an der „Reichsuniversität“ Straßbu…
Neben den dokumentarischen Charakter eines alten Gebäudes stellte er eine
weitere, psychologisch zu erfassende Kategorie, nämlich dessen Wirkungs-
und Erlebnisdimension, die er nur im originalen, authentischen Werk als
gegeben sah.
Seinem Primat „konservieren, nicht restaurieren“ – wobei er unterem
letzterem die stilistisch purifizierende Bereinigung wie fiktiv
historisierende Ergänzung eines überlieferten Gebäudes verstand – folgte er
aber nicht widerspruchsfrei: Nach dem Brand der Hamburger Hauptkirche St.
Michaelis im Jahr 1906, dem Michel, setzte er sich für den zumindest
optisch dem barocken Vorgängerbau verpflichteten Wiederaufbau ein, der 1912
abgeschlossen wurde. Fortschrittlichere Denker wie Hamburgs Oberbaudirektor
Fritz Schumacher oder der aus Hamburg gebürtige Berliner Architekt Peter
Behrens hatten sich für einen zeitgemäßen Neubau stark gemacht.
Diese Diskussion erscheint wie tagesaktuell, seit in Hamburg der
Wiederaufbau der in den Pogromen des 9. November 1938 geschändeten und 1939
abgetragenen Synagoge am Bornplatz, heute Joseph-Carlebach-Platz,
diskutiert wird, am liebsten dem eklektizistischen Bau von 1906 so ähnlich
wie möglich.
Aber: Derartiges Ansinnen hätte, trotz des prominenten, historischen
Fürsprechers Dehio, nichts mit Denkmalpflege zu tun. Man wünschte sich hier
neuerlich mutige Fürsprecher einer modernen Haltung, wie sie etwa Hamburgs
Partnerstadt Dresden bereits 2001 demonstrierte: zwei bipolar gesetzte,
reduzierte Steinkuben am historischen Ort der Alten Synagoge von Gottfried
Semper.
Solch definitorischer Exkurs sei nur am Rande geführt, wenn Hamburg nun das
100-jährige Jubiläum seines Denkmalschutzgesetzes begehen kann, das am 1.
Januar 1921 in Kraft trat. Es verdankte sich langer Vorarbeit engagierter
Bürger:innen und Wissenschaftler:innen Hamburgs, so Alfred
Lichtwark, Kunsthistoriker, Pädagoge und Direktor der Kunsthalle, oder
Justus Brinckmann, Gründungsdirektor des Museums für Kunst und Gewerbe, die
sich für den Erhalt alter Bauten einsetzten. Ihre Motivation entsprang
keineswegs kunstsinniger Empfindsamkeit, sondern purer Not: Die Stadt hatte
sich einen Ruf als „Freie und Abrissstadt Hamburg“ erarbeitet, so ein
Bonmot, das Lichtwark zugeschrieben wird.
Wen wundert’s, dass Hamburg dann auch Nachzügler war mit seinem
Denkmalschutzgesetz. Das erste war bereits 1902 in Hessen in Kraft
getreten. Auch das praxisfreundliche „ipsa-lege-Prinzip“, das als „Gesetz
für sich selbst“ ein Werk der Bau- oder Gartenkunst, so es die rechtlichen
Voraussetzungen eines Denkmals erfüllt, automatisch unter Schutz stellt,
wurde erst 2013 eingeführt – rund sieben Jahre nachdem es in den meisten
Bundesländern Anwendung fand. Gleichwohl vermeldet Hamburg jetzt, dass
seine Denkmalliste rund 12.300 Objekt-, 3.000 Boden- und eine nicht
spezifizierte Zahl an Gartendenkmälern umfasse. Dazu gehört seit 2015
[1][auch Unesco-Welterbe]: die Speicherstadt sowie das Kontorhausviertel um
sein Flaggschiff, das Chilehaus von Fritz Höger.
Dass die benachbarten, 1958 fertiggestellten vier Hochhäuser des City-Hofs
– Architekt übrigens jener Rudolf Klophaus (1885–1957), der in den
Zwischenkriegsjahren für so manches Kontorhaus der Welterbestätte
verantwortlich zeichnete – trotz Denkmalstatus 2019 der Abrissbirne zum
Opfer fielen, trübt wohl so wenig der Hanseaten Selbstvergewisserung wie
der Verlust des (nicht geschützten) Deutschlandhauses am Valentinskamp.
Diese Bauten wichen höher bewerteten „öffentlichen Interessen“. Ersetzt
werden sie durch servile Neubauten, die gern mit rotem Sichtmauerwerk an
einer klischeehaften Hamburger Bautradition werkeln.
So ein persönlicher Blick von außen ist natürlich verkürzt und zugespitzt,
verkennt die vielen Begehrlichkeiten, Zwänge und Erfordernisse, die bei
jedem Bauen im historischen Kontext einer Stadt abzuwägen wären.
Allerdings, so scheint es, haben derzeit besonders Bauten der Moderne und
einer als Brutalismus subsumierten Nachkriegsmoderne einen schweren Stand
in Hamburg. Wann immer sich ihre durch mangelnden oder unqualifizierten
Bauunterhalt gezeichnete traurige Gestalt zum verlotterten „Schandfleck“
erklären lässt, den es zu beseitigen gälte, wird nicht lang gefackelt.
Aber immerhin: Anna Joss, seit April 2020 Leiterin des Denkmalschutzamts,
will sich verstärkt diesem Erbe widmen: „Hamburg kann stolz sein auf seine
vielfältigen Denkmäler“, teilt sie anlässlich des Gesetzes-Jubiläums mit.
„Die herausragenden Gebäude und Anlagen aus der Zeit des 20. Jahrhunderts
prägen die Freie und Hansestadt im besonderen Maße. Gerade ihnen müssen wir
unser besonderes Augenmerk schenken, stehen sie doch unter hohem
Erneuerungsdruck.“
Aber wie beurteilen die Akteur:innen der Hamburger Baukultur, die
Architektenkammer, der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten,
bürgerschaftliche Initiativen, Prominente aus Architektur und
Kulturjournalismus den Denkmalschutz ihrer Stadt? Leider wagt sich auf
Nachfrage offenbar kaum eine:r aus der Deckung. Ist da ein repressives
Klima in Hamburg zu befürchten?
Immerhin, Kristina Sassenscheidt vom Denkmalverein Hamburg äußert sich
schnell und differenziert: „Das Denkmalschutzgesetz ist das wichtigste und
schlagkräftigste Instrument zu Bewahrung des baulichen Erbes der Freien und
Hansestadt Hamburg“, stellt sie klar.
Es formuliere „das Interesse der Stadtöffentlichkeit an der Erhaltung
historisch wichtiger und das Stadtbild prägender Gebäude, Parks und
Grünanlagen ebenso wie Boden- und beweglicher Denkmäler“, so Sassenscheidt.
„Die Stadt verpflichtet sich im ersten Paragraphen des Gesetzes dazu, eine
Vorbildfunktion im Umgang mit Kulturdenkmälern zu übernehmen, der sie
leider nicht immer gerecht wurde“, kritisiert sie: „Allzu oft wurde das
Denkmalschutzgesetz vom Senat ausgehebelt, bis in die jüngste
Vergangenheit.“ Trotzdem habe das Gesetz dazu beigetragen, Bauwerke vor dem
Abbruch oder zu starker Veränderung zu schützen.
Keinen Anlass zu feiern sieht jedenfalls der streitbare Volkwin Marg vom
Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner. Sein Entwurf für die
denkmalgerechte Ertüchtigung des City-Hofs war von Hamburgs Finanzbehörde
juristisch ausgehebelt worden, und zu 100 Jahren Landes-Denkmalschutzgesetz
fällt ihm vor allem ein, dass Recht zu haben in Hamburg nicht bedeute, das
Recht auch zu achten.
„Denkmalschutz ist und bleibt seit 100 Jahren eine Machtfrage. Wer das so
will, kann das als Jubiläum feiern“, lautet sein sarkastisches Resümee.
Alfred Lichtwarks Protest nach der Jahrhundertwende 1900 gegen die „Freie
und Abrissstadt Hamburg“ gelte auch nach der Jahrhundertwende 2000 noch.
„Wenn Hamburg abreißen will, geschieht das nach wir vor gegen öffentliche
Proteste von Bürgern, Vereinen und Verbänden“ und mit dem Verweis allein
auf politisch verabredete „öffentliche Interessen“ als Alibi.
24 Jan 2021
## LINKS
[1] https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-deutschland/speich…
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
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