# taz.de -- Birgit Jürgenssen in Bremens Weserburg: Gegen den misogynen Angste… | |
> „Ich bin.“ zeigt Fotografien und Zeichnungen der österreichischen | |
> Künstlerin. Die Retrospektive ist eine Ode an die feministische | |
> Selbstermächtigung. | |
Bild: Den Gatten plätten: Birgit Jürgenssen, Hausfrauenarbeit, 1973 | |
Es ist interessant, auf welche Weise die eigenen Erwartungen an eine | |
Ausstellung der österreichischen Künstlerin Birgit Jürgenssen enttäuscht | |
werden. Denn das Werk ist anders, als es die mit dem Namen assoziierten | |
Attribute zunächst erwarten lassen. Die Künstlerin wurde 1949 in Wien | |
geboren. Ihr Frühwerk fällt in die 70er Jahre – für die bildende Kunst eine | |
Hochzeit von Konzeptualismus und Abstraktion. | |
Als explizit feministische Künstlerin dieser Zeit muss Jürgenssen | |
performativ gearbeitet haben. Bestimmt arbeitete sie hauptsächlich mit den | |
neueren künstlerischen Medien Film und Fotografie, die noch nicht so stark | |
männlich determiniert waren wie Bronzeguss und Öl auf Leinwand. Die | |
ikonisch gewordenen Werke der Künstlerin sind dann tatsächlich auch | |
fotografisch: ein Selbstporträt mit einer Maske aus Fuchsfell oder das Bild | |
eines Vogelnestes mit kleinen Eiern auf ihrem Schoß. | |
Die Bremer Weserburg zeigt nun in enger Zusammenarbeit mit ihrer Estate | |
eine sehr schöne und breit ausgelegte Werkschau der bereits 2003 | |
verstorbenen Künstlerin. Auffällig ist entgegen aller Erwartung die große | |
Anzahl figürlicher Zeichnungen – mit Bunt- und Filzstift oder Aquarell auf | |
handlichen und riesengroßen Papierbögen. Diese Zeichnungen sind | |
durchsichtig zart, leicht expressiv und surrealistisch. Dass in den 70er | |
Jahren recht wichtige Debatten um die Figur stattfanden, ist heute | |
verdrängt. | |
Dieses Interesse hatte sicherlich mit dem Betonen der menschlichen Figur zu | |
tun, die sich aus sozialistischen Traditionen speiste und in politischen | |
Kämpfen virulent wurde. In den Schriften des linken | |
Literaturtheoretikerpaares Christa und Peter Bürger kommt die Dimension des | |
Erzählbaren hinzu. Gesellschaftliche Antagonismen, Leid und Kampf können | |
nur gegenständlich verhandelt werden, so ihre Behauptung. | |
## Weibliche Körper können nie individuell sein | |
In Jürgenssens Bildern geht es um Körper, meist um den weiblichen, der mit | |
ihrem eigenen in Verbindung steht. Dennoch sind ihre Arbeiten ausdrücklich | |
nicht autobiografisch. Es ist wie in der Freud’schen Psychoanalyse, auf die | |
sie sich bewusst bezieht: Ausgangspunkt aller Überlegung ist das | |
Persönliche, das nie bloß individuell sein kann. Mit jeder Phobie landet | |
man früher oder später bei menschlicher Gattungsgeschichte, schließlich | |
also bei Gesellschaft. Selbst jedes „Ich“ bleibt also allgemein. | |
„Ich weiß nicht“ hieß ihre letzte Ausstellung, bevor sie starb, „Ich bi… | |
hatte sie mal auf eine kleine Schultafel geschrieben, es ist nun der Titel | |
der Bremer Retrospektive. Möglicherweise wird an diesen Titeln ein | |
Widerspruch sichtbar, der Jürgenssens gesamtes Werk durchzieht: zwischen | |
materieller Existenz und dem Bewusstsein eines Selbst auf der einen und der | |
Unsicherheit über dessen Beständigkeit, Perspektive und Sinn auf der | |
anderen Seite. Die Erfahrung eines solchen Clashs ist natürlich trotz aller | |
Ichs sehr allgemein. | |
In der Bremer Ausstellung fällt insbesondere Jürgenssens selbstbewusste | |
Unsicherheit bezüglich des Verhältnisses von Mensch und Tier ins Auge. Wie | |
schon bei den bereits erwähnten Fotografien fallen auch in ihren | |
Zeichnungen menschliche und tierische Körper zusammen. Oftmals verwendet | |
sie Tiere, denen etwas Unangenehmes anhaftet, wie etwa Mäuse oder Spinnen. | |
1978 fertigte sie das großformatige Buntstiftporträt einer jungen Frau an, | |
über deren zufriedenem Gesicht ragt, aufgerichtet wie zu einem | |
schmerzerfüllten Schrei, ein Mäusekopf. Die Maus scheint dabei mehr als nur | |
das Alter Ego der Frau zu sein. Denn beide entfalten im selben Moment ihre | |
Wirkung, sie sind im selben Augenblick geschieden und doch eins. Jürgenssen | |
spitzt den Konflikt in einer Reihe von Buntstiftzeichnungen aus den späten | |
70er Jahren weiter zu, indem sie die Maus gleichzeitig unter und über der | |
Haut platziert. | |
## Mischform aus Maus und Vagina | |
Von 1979 schließlich ist eine Zeichnung, auf der ein weiß bezogenes Bett zu | |
sehen ist, in das eine Mischform aus Maus und Vagina eingezeichnet ist. Die | |
Maus befindet sich unter der Decke, andererseits zeigt sich ein ovaler | |
Fellrand, der eine rosa Fläche einschließt, oberhalb. Die Künstlerin | |
evoziert hier offenbar sehr bewusst einen männlichen und misogynen | |
Angstekel. Der Gedanke an sexualisierte Verwendung von Pelztieren oder | |
Insekten bei Meret Oppenheim oder [1][Louise Bourgeois], die Jürgenssen | |
sehr schätzte, ist naheliegend. | |
Neben der Zeichnung ist Fotografie natürlich ein wichtiges Medium innerhalb | |
ihres Werks. Sie experimentierte mit Cyanotypien und Rayogrammen, arbeitete | |
seit den 70er Jahren mit Polaroid und begann 1982 an der Akademie der | |
bildenden Künste in Wien Fotografie zu unterrichten. Polaroids verwendete | |
sie für ihre Selbstporträtreihen. Die selbstentwickelten Fotos ermöglichten | |
ihr, die Kontrolle über die Abbilder ihres (nackten) Körpers nicht an ein | |
Farbfotolabor abgeben zu müssen. | |
In der Weserburg sind an einer vielteiligen Wandfotocollage kleinere | |
Gruppen von Polaroids zu sehen, die nackte unzusammenhängende Partien ihres | |
Körpers zeigen. Den erwähnten Titeln folgend, ist ihr „Ich bin.“ gesicher… | |
im selben Moment aber weiß man nicht. | |
15 Jun 2020 | |
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[1] /Kuratorin-ueber-Louise-Bourgeois/!5505232 | |
## AUTOREN | |
Radek Krolczyk | |
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