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# taz.de -- Kontroverse dänische Kinderserie: Verdinglichung des Penis
> Die dänische TV-Serie „John Dillermand“ erregt die Gemüter. Dabei ist s…
> ein differenziertes Plädoyer für kleine Helden.
Bild: Hängt am seidenen Faden: John Dillemands Pillermann
Als mir mein Mann von einer Figur aus dem dänischen Kinderfernsehen
erzählte, die auf ihrem riesigen Penis wie auf einem Springstock
herumspringt, vermutete ich zunächst, er hätte sich den Kopf etwas zu
heftig gestoßen. So unglaublich, so bizarr klingt die ziemlich akkurate
Zusammenfassung einer Episode der Serie „John Dillermand“ („Pillermann“…
dem inzwischen berühmt-berüchtigten Kinderhelden.
Pillermanns Name ist Programm: Im Namen verschmelzen Geschlechtsteil und
Träger zur untrennbaren Einheit. Der Penisträger ist von seiner phallischen
Potenz nicht zu trennen – der Knete-gewordene Albtraum [1][jeder
Feministin], könnte man meinen. Hatte man als Frau bis dato noch keinen
Penisneid, bekommt man ihn beim Anblick dieses Pillermanns: Denn was ist
eine Vagina, die Kinder aus sich herausquetschen kann und im Anschluss
wieder in ihren Ausgangszustand zurückschnipst wie ein Gummiband, gegen
einen Zehn-Meter-Penis-Springstock (glauben Sie mir, ich hätte auch nicht
gedacht, dass ich diesen Satz jemals tippen würde)?
Genau wegen der mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten des
Dillermand-Pillermanns und der im Verhältnis dazu auffällig geringen Zahl
an Einsatzmöglichkeiten des realen Dings ist die Zeichentrickserie so
witzig: Eigentlich führt sie die ziemliche Nutzlosigkeit des Gegenstands
vor, dessen wichtigste Bestimmung obendrein von Ersatzgegenständen
übernommen werden kann.
Im allgemeinen Verständnis ist ein Penis umso besser, je größer er ist.
Dillermand zeigt, dass diese Logik abstrus ist. Größe wird irgendwann zur
Behinderung; Mr Dillermand ist nicht besonders able-bodied, er setzt seine
Behinderung nur nutzbringend ein. Wer nun fragt: „Wo bleibt die
Idealisierung der Riesenvagina?“, der darf an Niki de Saint-Phalles
begehbare Riesennana für das Moderna Museum in Stockholm erinnert werden.
## Ist der Busen das Gegenstück?
Okay, eine Nana ist kein Kindercomic, aber immerhin. Überhaupt ist zu
fragen, ob das jedenfalls imaginäre Gegenstück zum Penis nicht der
übergroße Busen wäre, der in Kindermedien durchaus präsent ist. Man denke
an „Barbie“, an „Jessica Rabbit“ im Roger-Rabbit-Cartoon, an diverse
Anime-Heldinnen.
Ein interessantes Beispiel dafür, wie Kindermedien sonst mit dem Thema
Penis umgehen, auch wenn sie sich explizit der Aufklärung verschreiben, ist
das Buch „Überall Popos“ von Annika Leone und Bettina Johansson. Darin
sieht man nicht nur Popos und Brüste in allen erdenklichen Formen, man
sieht auch Vulven. Nur eines sieht man nicht: den Penis eines erwachsenen
Mannes.
Das Buch operiert mit der ungeheuren Komik der Entblößung dessen, was sonst
schamhaft verborgen wird. In der Geschichte begibt sich ein kleines Mädchen
mit den Eltern ins Schwimmbad. Als der Vater beim Sprung ins Wasser seine
Badehose verliert, verbirgt er sich schamvoll. Das Mädchen rettet die
Situation (und den Vater), indem sie flugs nach der Badehose taucht. Aber
warum muss der Penis versteckt werden?
## Da fällt das böse Wort
Vermutlich, weil die Verquickung der Begriffe Kinder und Penis in die
Sphäre des „Unanständigen“, potenziell Kriminellen führt. So dauerte es
auch nicht lange, bis in den Kommentarsektionen zu Dillermand-Berichten das
böse Wort fiel: Pädophilie. So eine Sendung öffne Pädophilen doch Tür und
Tor, war in einem Kommentar zu lesen. Das zeigt, wie stark wir den Penis –
und seinen Träger – mit sexueller Gewalt identifizieren. Insofern ist der
hilfreiche Herr Pillermann ein Befreiungsschlag fürs männliche
Geschlechtsteil.
[2][Apropos Befreiung]: Ist es nicht seltsam, dass es in den letzten Jahren
viele Kampagnen zur „Befreiung“ der Vulva oder Vagina gab, während der
Penis noch nicht als Gegenstand ästhetisierender Betrachtung entdeckt
wurde? Auch nicht in der Kunst, wo er allenfalls in symbolischer Form als
phallischer Gegenstand auftaucht, kaum aber als ästhetisches Ding-an-sich.
Selbst die antike Skulptur stellt den Penis als minimales Anhängsel dar.
Laut Kunsthistorikerin Ellen Oredsson liegt das vor allem daran, dass große
Penisse mit Dummheit und Hässlichkeit verbunden oder schlichtweg als etwas
„Tierisches“ imaginiert wurden. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass
auch John Dillermands Penis der Gestalt nach eigentlich gar kein Penis ist,
eher ein Schwänzchen, im tierischen Sinne eben.
Egal was der Pillermann in der Sendung so kann, er steht gerade für eines
nicht: für Sexualität. Und das ist der Clou. Das oft genug als einzige
erogene Zone des Mannes betrachtete Glied wird als vielfältiges Werkzeug
entdeckt, das seinen Träger zum Helfer und Retter macht. Balsam für die
Männerseele. Sei’s ihnen gegönnt!
21 Jan 2021
## LINKS
[1] /Manifest-gegen-Mainstream-Feminismus/!5538426
[2] /Studie-ueber-Daemonisierung-von-Frauen/!5711214
## AUTOREN
Marlen Hobrack
## TAGS
Vulva
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Aufklärung
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Kolumne Flimmern und Rauschen
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Frauen im Film
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