# taz.de -- Ausstellung „Kunst im Politischen Kampf“: Der Nachbau-Schlitten | |
> Die Ausstellung „Kunst im Politischen Kampf“ startet in der Berliner | |
> Galerie Diehl. Ein gelungenes Revival der 68er mit politischen Diskursen. | |
Bild: Blick in die Ausstellung mit Arbeiten von Dieter Hacker | |
Schaut man dieser Tage in Charlottenburgs Galerie von Volker Diehl vorbei, | |
hat man den Eindruck, eine Zeitkapsel zu betreten. 15 künstlerische | |
Arbeiten und zwei Vitrinen zeugen vom Revival der 1968er. Mit dabei der | |
politische Diskurs aktueller Themen wie Eigentumsverteilung, Umweltschutz, | |
Lauschangriff und ruhender Verkehr. | |
Gleich neben der Eingangstür im Fenster thront augenscheinlich der berühmte | |
Beuys-Holzschlitten, ausgestattet mit Fett, Filz und Taschenlampe. [1][Die | |
Originalarbeit von Beuys wäre aus dem Jahr 1969] und erzählte vom Mythos | |
des im kommenden Jahr 100-jährigen rheinischen Künstler, der mit seinem | |
Flugzeug in Kriegstagen an der Krim abstürzte und anschließend von Nomaden | |
mit Schlitten zu ihrem Lager gebracht wurde. In Filz eingehüllt und mit | |
Fett eingerieben und ernährt, schildert er später sein Überleben. Ob diese | |
Legende real ist, wissen wir nicht, wohl aber, dass bereits am | |
Galerieeingang die Illusion Oberhand gewinnt. | |
Denn der von Dieter Hacker mit dem Einverständnis seines Freundes Beuys und | |
der Autorisierung durch dessen Galeristen René Block nach dem Original | |
gefertigte Schlitten ist im heutigen Sprachgebrauch „Fake“ aus dem Jahr | |
1971. Schlichtweg ein Spiel mit Authentizität, aber auch ein Relikt | |
demokratisierter Kunst. Nachdem Hacker damals vergebens versucht hatte, ein | |
Beuys’sches Originalexemplar zu ergattern, fragte er Beuys, ob dieser einem | |
Nachbau zustimmen würde. | |
## Brüder im Geiste | |
Unter Brüdern im Geiste war dies kein Problem, wie ein Zettel in einem | |
Schlüsselkasten aus dem Jahr 1983 dokumentiert. Hier grüßt Beuys Hacker | |
„mit anarchistischem Gruß“ – in Verehrung des Gründervaters der | |
Anthroposophie, Rudolf Steiner, in dessen angeeigneter Handschrift. | |
Gegenüber im Dialog dann das Denkmodell, eine Art Diagramm mit heftigen, | |
die Theorie veranschaulichenden Pfeilbewegungen, von 1973 über die „Kunst | |
im politischen Kampf (?)“ [2][von KP Brehmer, dessen Nachlass Diehl | |
vertritt.] Während Beuys einmal sagte: „Die Zukunft, die wir wollen, muß | |
erfunden werden, sonst bekommen wir eine, die wir nicht haben wollen“, | |
suchte der im Jahr 1997 mit nur 59 Jahren verstorbene Brehmer zeit seines | |
Lebens auf künstlerischem Weg dafür die empirischen Grundlagen zu liefern. | |
Mit „La rivoluzione siamo noi“ erinnerte Beuys einst an den Anspruch einer | |
ganzen Generation. Der Claim lieferte übersetzt als „Die Revolution sind | |
wir“ zuletzt den Titel für die Beuys-Ausstellung im Hamburger Bahnhof. In | |
Anlehnung an das berühmte Plakat von 1971 aus Neapel, auf dem der Künstler | |
auf den Betrachter zuschreitet. Auch bei Diehl markiert diese Arbeit den | |
Aufbruch für ein Ideengebäude mit Impulsen, die der 1986 mit 64 Jahren | |
verstorbene Künstler zu Lebzeiten stets einforderte. | |
Manchmal lohnt auch der Blick auf die Entstehungsgeschichte eines Werkes. | |
Lucio Amelio aus Neapel hatte seine Galeriekünstler mehrere Wochen in sein | |
Haus eingeladen. Vereinbart war, dass jeder Künstler in dieser Zeit ein | |
Werk entstehen lässt. Alle arbeiteten, nur Beuys legte die Füße hoch. Am | |
letzten Tag bat er seinen Galeristen, eine Kamera für ein gestelltes Foto | |
mitzubringen. Der Galerist drückte ab. Beuys betitelte, unterschrieb und | |
nummerierte 180 Exemplare – fertig war die Ikone, die heute je nach Zustand | |
bis 70.000 Euro kostet. | |
## Reaktion auf den Vietnamkrieg | |
Kommt man in den hinteren Galeriebereich, öffnet sich der Kosmos des | |
einstmals ums Eck – in der Giesebrechtstraße 12 – wohnenden Wolf Vostell. | |
Der ebenso wie Beuys [3][der Fluxus-Bewegung angehörende Vostell] erklärte | |
bereits 1979: „Ich erkläre den Frieden zum größten Kunstwerk.“ Sein | |
Objektkasten „Nur die, Nr. 2“ von 1968 ist nach seiner Performance „Miss | |
Vietnam“ im Vorjahr eine weitere Replik auf den Vietnamkrieg. Die für die | |
60er-Jahre-Mode so entscheidende Strumpfhose steigt in diesem | |
Anti-Kriegs-Mahnmal in Soldatenstiefel. | |
Sehenswert auch die 1972 auf der documenta 5 vor dem Eingang des | |
Fridericianums als Flagge installierte Arbeit von KP Brehmer, der die | |
schwarz-rot-goldenen Balken der 4,20 Meter großen Bundesflagge nach den | |
Wohlstandsverhältnissen aufteilt – mit dem goldenen Balken synonym für das | |
herrschende Kapital mit alleine vier Metern. | |
Schaut man nach oben, hängt über allem eine quer durch den Raum verlaufende | |
Wäscheleine. 1970 fertigte Hacker sie bestückt mit Buchstaben, die den Satz | |
ergeben: „Der Mensch ist das Maß aller Schneider.“ Mit einem Augenzwinkern | |
verlässt der Besucher die museale, sehenswerte Ausstellung, die hilft, | |
heutige Protestbewegungen wie Fridays for Future, Proteste für mehr | |
Klimaschutz oder bedingungsloses Grundeinkommen historisch einzuordnen. Ein | |
gelungenes Revival wird hier zum Maß aller Dinge. | |
6 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sebastian Strenger | |
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