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# taz.de -- Klage gegen Kieler Staatsanwaltschaft: Unter Agenda-Verdacht
> Vier Jahre ermittelte die Staatsanwaltschaft ergebnislos gegen die
> Datenschutzbeauftragte Marit Hansen. Nun klagt Hansen gegen die lange
> Ermittlung.
Bild: Was sagt Justizia zum Verhalten der Kieler Staatsanwaltschaft?
Neumünster taz | Es ist der jüngste jener Fälle, wie sie in
Schleswig-Holstein seit ein paar Jahren immer wieder auftauchen. 2015
beschuldigte ein gekündigter Mitarbeiter die Leiterin des [1][Unabhängigen
Landesdatenschutzzentrums] (ULD) in Schleswig-Holstein, Marit Hansen, und
einen weiteren ULD-Mitarbeiter, Fördermittel des Bundes und der EU
betrügerisch falsch abgerechnet zu haben. Hansen soll Geld für Arbeit
bekommen haben, die nichts mit dem jeweiligen Projekt zu tun hatte, so der
Vorwurf.
Die Staatsanwaltschaft Kiel begann zu ermitteln, sechs Wochen später wurde
das ULD öffentlichkeitswirksam durchsucht. Danach ging es nur schleppend
weiter. Erst 2019 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein – sprach
Hansen aber nicht eindeutig von Schuld frei. Anders das Bundesministerium,
von dem das Fördergeld stammte: Es prüfte und fand keinen Fehler. „Aber es
bleibt ja immer was hängen“, sagte Hansen nach dem Ende des Verfahrens. Sie
klagte vor dem Oberlandesgericht in Schleswig, weil sie sich und ihre
Mitarbeiter durch die lange Ermittlungstätigkeit der Kieler
Staatsanwaltschaft beeinträchtigt sieht. Seit Freitag wird der Fall dort
verhandelt.
Die Fakten hätten bereits früh festgestellt werden können, sagte Hansen am
Freitag beim Prozess: „Bei Förderprojekten werden alle Belege aufbewahrt.“
Auch im Verlauf der weiteren Jahre habe es „Stoppmöglichkeiten“ gegeben,
wie Hansen es formulierte. Der Anwalt des Justizministeriums, Johannes
Reschke, wiederum erklärte die lange Dauer des Verfahrens mit dem häufigen
Wechsel von Zuständigen und der „Komplexität“ des Falls. Richter Martin
Probst überzeugte das jedoch nicht: „Es bleibt auf der Ebene des
Organisationsversagens. Wer da im Einzelnen was vergeigt hat, spielt keine
Rolle.“
Der Fall sorgt auch deswegen für Furore, weil Untersuchungen gegen
öffentliche Personen und Amtsträger:innen, die mit Theaterdonner beginnen
und dann irgendwo hinter den Kulissen enden, für die Kieler
Staatsanwaltschaft nicht ungewöhnlich sind. Betroffen waren bereits Kiels
Ex-Bürgermeisterin Susanne Gaschke, die ehemalige Bildungsministerin Wara
Wende und jüngst die Polizeibeauftragte Samiah El Samadoni (alle SPD).
Ermittlungen gab es auch gegen den Piraten Patrick Breyer und den
AfD-Abgeordneten Volker Schnurrbusch.
Aus Sicht von Hansens Anwalt Michael Gubitz sind es „zu viele Fälle, in
denen ein Anfangsverdacht vorschnell zu Ermittlungen führte. Hätte man
genauer geprüft, statt die Kavallerie reinzuschicken, hätte man sich, den
Steuerzahlern und vor allem den Beschuldigten viel erspart“. Vor Gericht
sagte Marit Hansen denn auch, dass sie zwar für sich, aber auch für
mögliche künftige Betroffene klage: „Es geht darum, dass Fehler
eingestanden werden.“
Davon war in Schleswig vorm Gericht aber nichts zu merken. Obwohl Richter
Probst sehr klar machte, dass er das Verfahren für zu lang und
fehlerbehaftet hielt, verteidigten Reschke und die Vertreterin des
Justizministeriums, Martina Schall, das Vorgehen: „Ich breche eine Lanze
für die Staatsanwaltschaft“, sagte Schall. Auf die Frage, was die Behörde
aus dem Fall lerne, ob ein Fehlermanagement greife, gab es von Reschke nur
Allgemeinplätze. Auf Nachfrage der taz zur Häufung der Fälle verwies Schall
darauf, dass das eben an der regionalen Zuständigkeit läge. Die Klage von
Marit Hansen werde „politisch ausgeschlachtet“.
Bereits 2014 warnte der Grüne Burkhard Peters in Bezug auf das Agieren der
Kieler Staatsanwaltschaft in einem Artikel vor einer „Politisierung der
Strafverfolgung“. Nun wiederholt er seinen Vorwurf: Die Behörde ginge „in
diesen Verfahren mit politischer Bedeutung unsensibel und ohne Gespür für
die Folgen“ vor. „Wie kann ich eine Politikerin, einen Politiker
zerstören?“, fragt Peters. Seine Antwort: „Indem ich strafbares Handeln
unterstelle.“
Auch der kürzliche [2][Rücktritt des Innenministers Hans-Joachim Grote]
steht im [3][Zusammenhang mit dem Verhältnis von Polizei,
Staatsanwaltschaft und Politik] im nördlichsten Bundesland. Gegen den
CDU-Mann selbst wurde zwar nicht ermittelt, dennoch erhielt
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) mehrere
sogenannte Bestra-Berichte über Chats des Ministers, die Günthers Vertrauen
zu seinem Innenminister erschütterten.
Bestra steht für „Berichtspflicht in Strafsachen“, diese Vermerke dienen
dazu, vorgesetzte Stellen vorab über wichtige Ermittlungen zu informieren.
Dass es aber immerhin 13 solcher Vermerke gebe „für eine Ermittlung, bei
der es keineswegs um ein Kapitalverbrechen geht“, hält SPD-Fraktionschef
Ralf Stegner für schockierend.
Auch im Fall Grote lautet die Frage deshalb: Hat die Kieler
Staatsanwaltschaft dieses Instrument übertrieben eingesetzt? Verfolgt die
Behörde gar eine eigene Agenda? Das will Marit Hansens Anwalt Gubitz der
Behörde nicht unterstellen. Eher den Willen, „Schneidigkeit und Härte“ zu
zeigen. Aber allein „die Frage muss einen besorgen“, sagt Stegner. „Eine
Staatsanwaltschaft darf sich nicht mal den Anschein aussetzen, dass sie den
Beifang für andere Ziele nutzt.“ Das sei ein grundsätzliches Problem: „Was
die Staatsanwaltschaft tut, hat staatspolitische Bedeutung.“
Tatsächlich haben der Rücktritt Grotes und auch die Vorwürfe gegen das
SPD-Mitglied El Samadoni zu heftigen Verwerfungen zwischen den Parteien
geführt, auch „innerhalb Jamaikas“, sagt der Grüne Burkhard Peters. Auch
die FDP reagierte schockiert. „Und die CDU fühlt sich massiv angegriffen“,
stellt Peters fest. Er hat zu den Bestra-Vermerken und dem Rücktritt Grotes
Fragen an die Landesregierung gestellt. Eine Antwort steht noch aus, ebenso
wie das Urteil im Fall Hansen. Aber wenn die Staatsanwaltschaft eine
Klatsche kassiert, wäre das aus Peters' Sicht angemessen: „Das ist
rechtsstaatliche Hygiene.“
15 Jun 2020
## LINKS
[1] https://www.datenschutzzentrum.de/
[2] /Innenminister-verlaesst-Kieler-Regierung/!5681997
[3] /Ruecktritt-von-Hans-Joachim-Grote/!5692463
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Kiel
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Ermittlungen
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Polizei
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