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# taz.de -- Hamburgs Schulsenator zum Schulbetrieb: „Wir wollen Regelunterric…
> Ties Rabe hofft, dass nach den Sommerferien Präsenzunterricht für alle
> möglich ist. Sonst drohe die soziale Spaltung im Bildungssystem tiefer zu
> werden.
Bild: Schuljahr klappte besser als erwartet, sagt zumindest Hamburgs Schulsenat…
taz: Herr Rabe, ist dieses Schuljahr verloren?
Ties Rabe: Nein. Ich glaube, dass es am Ende besser geklappt hat als
erwartet. Dennoch fürchte ich, dass die Schüler nicht so viel gelernt haben
wie in regulären Schuljahren.
Es gibt Schüler, die haben keinen Laptop. Man hört gar von Kindern aus
Flüchtlingsunterkünften, die ohne Schule Deutsch verlernen. Vertieft sich
die soziale Spaltung?
Wenn es uns nicht gelingt, aus dem Fernunterricht wieder in den
Regelunterricht zurückzukehren, dann wird das die soziale Spaltung im
Bildungssystem verstärken. Schülerinnen und Schüler, die zu Hause wenig
Rückenwind haben, brauchen eine funktionierende Schule, sie brauchen das
direkte Gespräch mit den Lehrkräften und Mitschülern. Das alles fehlt und
wird bei einigen Schülern stärkere Spuren hinterlassen als bei anderen.
Hamburg hat als einziges Land „Kermit“, eine jährliche Testreihe, die in
den Klassen 2 und 3 sowie 5 bis 9 den Lernstand in Kernfächern erhebt.
Nutzen Sie die, um zu gucken, welche Lücken entstanden sind?
Ja, und ich hoffe, dass Kermit uns Hinweise gibt, wie die Coronakrise sich
tatsächlich auswirkt. Allerdings sind die Testabstände recht groß, sodass
sich die Veränderung am Ende nicht präzise beschreiben lässt. Zudem wirken
auch andere Einflüsse auf die Ergebnisse ein, beispielsweise eine
veränderte Schülerschaft.
Hamburgs CDU fordert, die Corona-Lernrückstände zu erheben. Ist das
geplant?
Wir reden hier noch mit anderen Bundesländern, die auch darüber nachdenken.
Aber so etwas ist aufwendig und wir brauchen im Moment jede Minute des
Unterrichts. Es wäre schade, wenn wir hier Tage und Wochen mit Testungen
verbringen. Das muss man abwägen. Die Entscheidung ist noch offen.
Die CDU will ein Konzept zum Ausgleich.
Hinter dem Begriff „Konzept“ verbirgt sich zu häufig der Anspruch, dass man
jahrelang in Arbeitsgruppen sitzt. Wir müssen jedoch schnell handeln.
Deshalb bieten wir bereits in acht Wochen Lernangebote in den Ferien an,
die mit dem Unterricht verknüpft sind. Dafür haben wir die Schulen gebeten,
ihre Unterrichtsmaterialien zur Verfügung zu stellen. Ich kann mir
vorstellen, dass das auch über die Sommerferien hinaus weitergeführt werden
kann. Die Teilnahme bleibt für Schüler und Lehrkräfte freiwillig, das
Angebot ist für die Schüler kostenlos und wird für die Kursleitenden gut
bezahlt.
Brauchen die Kinder [1][nicht Erholung]?
Sie brauchen Bildung und Erholung. Den Wunsch nach Erholung respektiere
ich. Deswegen war ich immer dagegen, die Sommerferien zu kürzen. Aber sechs
Wochen Ferien sind eine ganz lange Strecke. Wenn davon zwei Wochen lang
täglich 2,5 Stunden gelernt wird, kommt die Erholung nicht zu kurz.
Experten der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung geben nun Tipps für das
neue Schuljahr. Ein Punkt: Lehrpläne kürzen.
Wenn auch künftig kein Regelunterricht möglich ist, wäre das eine
Überlegung. Mittlerweile wird der Regelunterricht aber schrittweise wieder
eingeführt. Deswegen stellt sich die Frage, Lehrpläne anzupassen,
vielleicht sogar das Anforderungsniveau von Prüfungen abzusenken, zurzeit
nicht mehr. Ich denke, die Bundesländer kehren zum Regelunterricht zurück.
Wir kämen mit blauem Auge davon?
Ich hoffe sehr. Schaffen wird das nicht und bleiben wir auf Dauer im
Wechsel von Fern- und Präsenzunterricht, dann stellen sich die Fragen nach
dem Prüfungsniveau und anderen Dingen in aller Schärfe. Aber im Moment geht
der Weg in die andere Richtung. Wir wollen in den Regelunterricht zurück.
Bis Klasse 6 scheinen sich die meisten Länder da einig zu sein. Aber was
ist mit den höheren Klassen?
Alle Kultusminister wollen auch für die Klassen 7 bis 13 den
Regelunterricht herstellen. Wir sind uns nur in der medizinischen
Einschätzung nicht ganz sicher, denn das Infektionsrisiko nimmt mit
steigendem Alter zu. Dennoch ist dieses Risiko wohl auch bei Jugendlichen
deutlich geringer als bei Erwachsenen. Wir wissen es nur noch nicht ganz
sicher.
Entscheidet sich das am Ende der Sommerferien?
Die Vorentscheidung fällt früher. Die Schulen müssen ja planen. Ich denke,
dass wir zum Ferienbeginn die wesentlichen Eckpunkte beschreiben können,
die allgemeine Richtung werden wir sogar in den nächsten Tagen festlegen.
Die Planung muss allerdings so gestaltet werden, dass man jederzeit wieder
zu den kleinen Lerngruppen und dem Wechsel aus Fern- und Präsenzunterricht
zurückkehren kann, wenn das Infektionsgeschehen wieder zunimmt.
Also ist diese Idee, in den Lehrplänen solche Dinge wie den Kosinus zu
streichen, verfrüht?
Ja. Zudem dauern Lehrplanänderungen sehr lange und sind mit langwierigen
Erörterungen und Auseinandersetzungen verbunden. Es ist kaum realistisch,
„mal eben“ wegen einer besonderen Lage Lehrpläne anzupassen.
Und was sagen Sie zu der schlichten Empfehlung, den Schülern ein Jahr mehr
Zeit für den mittleren Abschluss zu geben?
Früher nannte man das Sitzenbleiben. Im Kern ist mehr Lernzeit eine Option.
Trotzdem: Das sind alles Vorschläge für den Fall, dass die Katastrophe
länger dauert. Wir möchten den Fall planen, dass sie zu Ende geht.
Gibt es in Hamburger Schulen Coronafälle?
Angesichts einer Viertelmillion Schüler ist das Infektionsgeschehen nahe
null. Kommt es dazu, prüfen die Fachleute aus den Gesundheitsämtern, welche
Kontakte derjenige hatte, und entscheiden, ob die ganze Schule für zwei
Wochen in Quarantäne geht oder nur eine Klasse oder ein Jahrgang.
Lehrer äußern Sorge vor dem Regelunterricht.
Es gibt unter den Kultusministern lebhafte Gespräche, weil viele Lehrkräfte
sich zu stark sorgen. In einigen Ländern sagen bis zu 30 Prozent:
Unterricht ist zu gefährlich für mich. Das ist ein bisschen schwierig zu
erklären. Man hört auch von Schulleitungen Kritik an einzelnen Kollegen.
Denn es gibt ja in vielen Berufen Menschen, die in direktem Kontakt mit
anderen stehen, zum Beispiel an der Kasse in den Geschäften oder in den
Alten- und Pflegeheimen. Dort müssen auch alle arbeiten und es gibt längst
nicht so große Sorgen, sich anzustecken. Wir passen jetzt bundesweit die
Regeln an, wer bei welcher gesundheitlichen Disposition unterrichten muss
und wer nicht. Da gab es bisher eine gewisse Großzügigkeit. Angesichts der
hohen Fehlzeiten kehren jetzt alle Länder zu einer Attest-Pflicht zurück.
Aber wir nehmen auch die Sorgen vieler Lehrkräfte ernst und werden weitere
Vorsichtsmaßnahmen wie Visiere, Schutzausrüstungen und kostenlose Tests für
die Lehrkräfte ermöglichen.
Lehrer sagen, sehr gut seien jetzt die kleinen Lerngruppen mit nur acht
Schülern. Könnte man so nicht weitermachen?
Nein. Natürlich kann man in einer kleinen Gruppe leichter und besser
unterrichten. Aber wer eine Klasse in zwei kleine Lerngruppen teilt, der
braucht dann doppelt so viele Lehrkräfte und doppelt so viele Räume. Und da
wir die nicht haben, mussten jetzt überall die Unterrichtsstunden halbiert
werden. Den Preis zahlen die Schüler. Sie erleben nur halb so viel
Unterricht in der Schule und müssen den Rest zu Hause arbeiten. Dieser
Nachteil wird nicht wettgemacht durch den Vorteil, dass die andere Hälfte
des Unterrichts in einer kleinen Gruppe stattfindet. Lieber in einer
größeren Gruppe 100 Prozent Unterricht als in einer kleinen 50.
Und mehr Lehrer dafür einstellen?
Das kostet Milliarden und erfordert für neue Räume ein 20-jähriges
Bauprogramm. Wir brauchen aber eine Lösung nach den Ferien.
Homeschooling war früher illegal.
Das ist immer noch so.
Nun ist es Alltag. Müsste man nicht innehalten und weniger streng
daraufgucken?
Ich halte davon nichts. Ich finde es gut, dass bei uns Schule vom Staat
organisiert und als Gemeinschaftseinrichtung betrieben wird. In der
Coronakrise konnten wir diesen Anspruch nicht lückenlos durchsetzen, weil
es zu gefährlich war. Aber wenn wir den Anspruch aufgeben, werden wir uns
die Augen reiben, was einige Eltern dann zu Hause so alles unterrichten
könnten. Da kann es sein, dass wir von Islamismus bis zu seltsamen
Sexualpraktiken alles mögliche als angebliche Bildungsinhalte erleben.
Unsere Gesellschaft hat eine Verantwortung für die Kinder. Die freundlichen
Bildungsbürger denken manchmal, sie können das besser als die Lehrer. Ich
glaube auch, dass einige wenige mit ihren Kindern so zielgerichtet
arbeiten, dass die dann mehr lernen als in der Schule. Aber wir müssen an
alle Kinder denken. Zudem ermöglicht die Schule das soziale Lernen in
Gemeinschaft, das geht zu Hause kaum. Nur die wenigen Geschwister als das
soziales Lernen zu bezeichnen, ist bisschen wenig.
Gibt es etwas, was Sie gut fanden in dieser Krise?
Mich hat berührt, als in einer Zeitung vier Schüler beschrieben, wie sehr
sie die Schule vermissen und wie es Zuhause läuft. Mit großer Lebhaftigkeit
haben die Schüler die Bedeutung der Schule wiederentdeckt. Dass man eine
Struktur im Tages- und Wochenablauf hat. Dass man soziales Kontakte hat.
Dass man eine gesellschaftliche Verankerung hat. Dass man in den
Lehrkräften Partner und Vorbilder findet. All diese Punkte sind stärker ins
Bewusstsein gerückt. Das freut mich.
14 Jun 2020
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[1] /Grosse-Ferien-in-Hamburg/!5687696/
## AUTOREN
Kaija Kutter
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