| # taz.de -- Gesetzesentwurf in Niedersachsen: Erzwungene Solidarität | |
| > Niedersachsens Große Koalition will medizinisches Personal zur | |
| > Pandemiebekämpfung verpflichten können. Das würde Grundrechte | |
| > einschränken. | |
| Bild: Arbeit ohne Zwangsverpflichtung: Eine Pflegekraft Anfang April in einem K… | |
| Hamburg taz | Pfleger, Ärzte und anderes medizinisches Personal in | |
| Niedersachsen könnten bei einer zweiten Welle der Coronapandemie zur Arbeit | |
| verpflichtet werden. Das jedenfalls sieht ein Gesetzentwurf vor, den die | |
| Koalition aus CDU und SPD in den Landtag eingebracht hat. Demnach soll das | |
| Fachministerium anordnen können, dass sich Angehörige der Heil- und | |
| Pflegeberufe an der Bekämpfung der Krankheit beteiligen. „Durch die | |
| Anordnung können Grundrechte der Freiheit, der Berufsfreiheit, sowie der | |
| Eigentumsfreiheit eingeschränkt werden“, heißt es im Gesetzestext. Am | |
| Donnerstag soll der Entwurf im Innenausschuss beraten werden. | |
| Auch wenn noch nichts entschieden ist und die Regelung vorerst bis Ende | |
| März 2021 gelten soll, ist die Empörung bei den betroffenen Berufsgruppen | |
| groß. „Dienstverpflichtungen bei gleichbleibenden Arbeitsbedingungen wird | |
| die Kolleg*innen aus dem Beruf treiben“, sagt der Krankenpfleger Dennis | |
| Beer aus der Kammerversammlung der Pflegekammer Niedersachsen. Eine solche | |
| Regelung wäre ein massiver Eingriff in die Persönlichkeits- und | |
| Berufsrechte der Menschen. | |
| „Man kann Solidarität nicht erzwingen“, sagt Martin Wollenberg, | |
| Vorsitzender des Landesverbands des Marburger Bund, der Vertretung für | |
| angestellte Ärzte. Er fragt sich, warum man Leute zwingen solle in ihren | |
| ehemaligen Beruf zurückzukehren, wenn viele dies auch freiwillig tun | |
| würden. | |
| Wollenberg hält den Gesetzesentwurf für ein falsches Signal zur falschen | |
| Zeit. Die Bereitschaft von pensionierten Ärzten und Studenten sei groß. Wer | |
| wirklich helfen wolle, habe sich bereits freiwillig gemeldet. „Die Menschen | |
| mit einem Gesetz zur Arbeit zu zwingen empfinden wir als einen Tritt | |
| gegen’s Schienbein“, sagt Wollenberg. „Man kann sich auf die solidarischen | |
| Fähigkeiten des Menschen verlassen.“ Außerdem müssten auch andere | |
| Erfordernisse, zum Beispiel genügend Schutzausrüstung oder Masken, für die | |
| zweite Pandemiewelle vorhanden sein. | |
| Und auch aus der Opposition kommt Gegenwind. „Eine Arbeitsverpflichtung ist | |
| nicht nur unsinnig, sondern auch verfassungsrechtlich bedenklich“, sagt | |
| Meta Janssen-Kucz, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen | |
| Landtagsfraktion. „Menschen arbeiten schlechter, wenn sie zur Arbeit | |
| gezwungen werden.“ | |
| Besser sei es, mit einem Freiwilligenregister zu arbeiten und den | |
| Arbeitenden mit Vertrauen und Anerkennung entgegen zu kommen. „Die | |
| Freiwilligkeit während der ersten Pandemiewelle sollte anerkannt werden“, | |
| sagt sie. „Das passt nicht mit einer solchen Verpflichtung für die zweite | |
| Pandemiewelle zusammen.“ So könne man nicht mit Menschen umgehen, die in | |
| den letzten Monaten so viel geleistet haben. Man müsse an dem Kern des | |
| Problems arbeiten, nämlich dem Fachkräftemangel in der Branche, so | |
| Janssen-Kucz weiter. Dafür müssen die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung | |
| verbessert werden. | |
| Selbst Mitglieder der Koalitionen scheinen mittlerweile von dem Entwurf | |
| nicht mehr ganz überzeugt zu sein. „Die Frage, die wir uns momentan | |
| stellen, ist: Brauchen wir so ein Gesetz wirklich“, sagt Uwe Schwarz, | |
| Sprecher für Soziales und Gesundheit der SPD-Fraktion. Er sei sich sicher, | |
| dass das Gesetz nach den entsprechenden Anhörungen noch überarbeitet würde. | |
| CDU und SPD sei auch bewusst, dass [1][ein ähnlicher Vorschlag in | |
| Nordrhein-Westfalen] abgelehnt wurde. Auch dort hatte die Opposition den | |
| entsprechenden Paragrafen kritisiert und Rechtsexperten Zweifel an der | |
| Verfassungsmäßigkeit einer solchen Verpflichtung geäußert. | |
| Warum aber legt die Koalition den Gesetzentwurf schon vor, wenn die | |
| Rahmenbedingungen noch nicht geklärt sind? „Das Gesetz soll die | |
| medizinische Versorgung, vor allem auf dem Land, gewährleisten“, sagt | |
| Schwarz. Er sieht die Dringlichkeit, die Gesetzesänderung noch vor der | |
| zweiten Pandemiewelle vorzulegen, nicht erst, wenn es in ein paar Monaten | |
| zu spät sei. | |
| Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Volker Meyer, sagt, | |
| viele Ärzte hätten am Anfang der ersten Pandemiewelle nicht mehr behandelt, | |
| kassenärztliche Praxen ihre Aufgaben nicht erfüllt. Auch er betont, es gebe | |
| noch keine endgültige Entscheidung über den Gesetzentwurf. „Wir brauchen | |
| noch konkrete Zahlen, um zu bestimmen, ob eine Arbeitsverpflichtung des | |
| medizinischen Personals notwendig ist“, sagt Meyer. | |
| 4 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nathalie Haut | |
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