# taz.de -- Medizinstudierende im Corona-Einsatz: Vom Ministerium verarscht? | |
> Medizinstudierenden in Hannover wurde versprochen, ihr Corona-Einsatz in | |
> der Klinik werde als Praktikum anerkannt. Nun rudert das Ministerium | |
> zurück. | |
Bild: Hilft, lässt sich aber nur in den Semesterferien als Praktikum anrechnen… | |
OSNABRÜCK taz | Wer anderen hilft, hat Dank verdient. Zumal wenn dieser | |
Dank vorher versprochen wird. Wird er vergessen, droht Verbitterung. | |
Lennart Simon, der Vorsitzende der Studierendenvertretung Asta der | |
Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), weiß, wie sich eine solche | |
Verbitterung anfühlt. Viele Medizinstudierende waren Mitte März einem | |
Hilferuf von Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler gefolgt, | |
sich freiwillig zum Klinikeinsatz zu melden, um in Coronazeiten | |
Versorgungsengpässe abzufedern. Thümler appellierte, „sich dort zu | |
engagieren, wo jetzt dringend Hilfe gebraucht wird“. Man leiste „damit | |
einen wertvollen Beitrag in dieser Krisensituation“. | |
Auch für den Einsatz zum Dienst auf den Intensivstationen der MHH gab es | |
viele Freiwillige. Simon: „Rund 1.000 haben sich gemeldet. Die Bereitschaft | |
war wirklich groß.“ Der Einsatz dauerte von März bis Juni. Und es war nicht | |
nur Tarifbezahlung vereinbart. Als zusätzlicher Dank war die Anerkennung | |
als eines der Pflichtpraktika zugesagt, die das Medizinstudium vorschreibt, | |
von MHH-Präsident Michael P. Manns persönlich. Simon: „Das war eine sehr, | |
sehr gute Zusammenarbeit. Das Präsidium hat sich auch im Nachgang stark | |
dafür eingesetzt.“ Aber genau diese Anerkennung steht jetzt auf der Kippe. | |
Auch Simon war einer der Freiwilligen. Er hat auf Station 81 der MHH | |
ausgeholfen, Viszeralchirurgie. „Ich hatte zwar nicht direkt mit | |
Covid-Patienten zu tun. Aber das System entlastet habe ich dadurch | |
natürlich schon.“ Er hat das gern getan. Aber dass Manns’ Zusage nun nicht | |
mehr gilt, macht ihn zornig. | |
Die MHH ist daran schuldlos. Der Grund ist ein behördliches | |
Verantwortungsgezerre. „Das niedersächsische Wissenschafts- und das | |
Gesundheitsministerium schieben sich das hin und her“, sagt Simon. | |
Formaljuristisch hat alles seine Ordnung. Aber es ist das falsche Signal. | |
Es geht um die Frage, ob Pflichtpraktika nur in der vorlesungsfreien Zeit | |
absolviert werden können. Eine Anerkennung sei „solange möglich, wie kein | |
studentischer Unterricht besteht“, sagt Tobias Welte, der Vizepräsident der | |
MHH. Also in den Semesterferien. Oder wenn das Studium ausgesetzt ist, | |
durch Corona etwa. | |
Das Problem: Am 20. April fingen die Lehrveranstaltungen wieder an, wenn | |
auch nur digital. Welte: „Mit Beginn des studentischen Lehrbetriebs gab es | |
dann nach Studienordnung keine Möglichkeit mehr, die Arbeit als Praktikum | |
anzuerkennen.“ Es gebe hier „klare Vorgaben seitens der | |
Landesprüfungsämter, die wir leider nicht beeinflussen können“. | |
Wissenschaftsminister Thümler selbst habe im März gegenüber den | |
Studierenden kein Anerkennungsversprechen abgegeben, so Heinke Traeger, | |
Pressesprecherin des Wissenschaftsministeriums. Aber es gebe ein | |
Dankesschreiben an die Freiwilligen, die „die Krankenversorgung in dieser | |
schwierigen Zeit mit Engagement unterstützt“ haben. In ihm erwähne Thümler, | |
er habe sich „gegenüber dem Niedersächsischen Zweckverband zur | |
Approbationserteilung (Nizza) dafür einsetzt, dass es den | |
Medizinstudierenden ermöglicht wird, dass auch in der Vorlesungszeit | |
abgeleistete Zeiten auf die Famulatur bzw. den Krankenpflegedienst | |
anerkannt werden“. Eine Antwort stehe noch aus. | |
Seit August kämpfen die Studierenden nun schon. Ohne Erfolg. Jetzt ist der | |
zweite Lockdown da. Wieder stehen die Studierenden bereit auszuhelfen. | |
Erneut auch in der Hoffnung auf Praktika-Anerkennung. Und noch immer ist | |
nichts geklärt. „Persönlich bin ich sehr enttäuscht“, bilanziert Simon, | |
„dass nicht eingehalten wird, was uns versprochen wurde“. Studierende, die | |
in der Pandemie ausgeholfen haben, hätten „die Anerkennung unserer Meinung | |
nach schnell und unkompliziert verdient“. | |
Präsidium, Dekanat und Landesprüfungsamt sei kein Vorwurf zu machen. Simon, | |
bündig: „Der Ball liegt ganz klar bei der Landesregierung.“ Dort gelte es, | |
eine Änderung der Approbationsordnung zu erwirken – oder die aktuelle | |
zugunsten der geleisteten Dienste auszulegen. Und dann rechnet Simon seinen | |
eigenen Fall vor: Arbeitszeit vom 3. April bis zum 31. Mai, erster Monat zu | |
100 Prozent, zweiter zu 75. Angerechnete Tage: 17. Ernüchternd. | |
Was in Niedersachsen (noch) nicht zu gehen scheint, geht in | |
Nordrhein-Westfalen übrigens sehr wohl. Die Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) | |
lobt das. Die ÄKN halte „die Regelung aus unserem Nachbarland für | |
pragmatisch und gut“, sagt ihr Sprecher Thomas Spieker. „Wir weisen in | |
Gesprächen in der Landeshauptstadt immer wieder darauf hin.“ | |
22 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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