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# taz.de -- Folgen der Exzellenzinitiative: Licht aus für Geisteswissenschaften
> Die Uni Göttingen muss nach dem Willen der rot-schwarzen Landesregierung
> sparen: Nächstes Jahr soll das Lichtenberg-Kolleg schließen.
Bild: Aus heiterem Himmel kommt das Aus: Das Göttinger Lichtenberg-Kolleg in d…
Hamburg taz | Am Göttinger Marktplatz steht ein kleiner bronzener Mann.
Experimentalphysiker war Georg Friedrich Lichtenberg und auch
scharfsinniger Denker im Zeitalter der Aufklärung, wie auf einer Tafel
neben der Figur zu lesen ist. Kaum eine andere Universität im Norden zehrt
so sehr wie die Göttinger Uni von der eigenen, durch die Aufklärung
geprägten Vergangenheit mit seinen berühmten Forschenden.
Auch das geisteswissenschaftliche Kolleg der Uni trägt Lichtenbergs Name.
Doch damit ist bald Schluss: Im kommenden Jahr soll, trotz internationalen
Protestes, ausgerechnet das Lichtenberg-Kolleg den Sparzwängen zum Opfer
fallen. Expert:innen sehen das als Folge [1][struktureller Probleme der
Exzellenzinitiative].
Erst 2008 wurde das Lichtenberg-Kolleg gegründet. Damit wollte die
Göttinger Uni die eigenen Geistes- und Sozialwissenschaften mit
internationalen Wissenschaftler:innen vernetzen, um neue Forschungsfelder
zu erschließen oder die eigenen Forschungsthemen zu erweitern. So stehen
derzeit noch Menschenrechtsdebatten, die Aufklärung, Modern Jewish Studies
und politische Ideengeschichte als die vier Forschungsschwerpunkte im
Fokus.
Außerdem arbeitet das Kolleg derzeit an einer wissenschaftlichen
Neuedition der Anne-Frank-Tagebücher zusammen mit weiteren internationalen
Forschungseinrichtungen. Auch kamen am Kolleg zuletzt einige bedrohte
Wissenschaftler:innen unter, die in Deutschland Schutz suchten.
## Aufbau erst durch Exzellenzinitiative
Anlass der Gründung war, dass sich die Uni 2007 bei der [2][bundesweiten
Exzellenzinitiative durchgesetzt hatte] und fortan viel Geld erhielt, um
sich zu einer Elite-Uni zu entwickeln. Im Zuge dessen finanzierten der Bund
und das Land viele neue Professuren, um die Forschung auszubauen – und sie
finanzierten auch den Aufbau des Lichtenberg-Kollegs.
Damit sollte, im Sinne der Exzellenzstrategie, vor allem wissenschaftlich
vielversprechender Nachwuchs hervorgebracht werden. Die sogenannten Junior
Fellows konnten bislang unter diesem Schirm für 18 Monate an ihren
jeweiligen Projekten arbeiten.
Für Andreas Keller, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft (GEW) und dort zuständig für Hochschulen und Forschung, ist
die Schließung ein typisches Beispiel für die strukturellen Probleme der
Exzellenzinitiative: Das Kolleg arbeite nicht schlecht oder sei
überflüssig, sondern es fehle einfach an Geld zur Weiterfinanzierung.
„Mit der Exzellenzinitiative wird viel Geld für Projekte ins System
gepumpt, aber es fehlt dann an einer langfristigen Finanzierung“, sagt
Keller.
## Fördergelder blieben aus
Denn schon ab 2012 war Göttingen [3][seinen Titel wieder los] – die
Fördergelder blieben dann aus. „Das Kolleg wurde nach dem Auslaufen der
Förderung aus dem Universitätshaushalt weiterfinanziert, wofür nicht
unerhebliche eigene Mittel eingesetzt werden mussten “, sagt Unisprecher
Romas Bielke. Ganz ähnlich mussten laut Keller bundesweit Unis in den
vergangenen Jahren ihre mit viel Geld eingerichteten Institutionen wieder
schließen.
Die rot-schwarze Landesregierung hat vor vier Wochen in ihrem Haushaltsplan
für das kommende Jahr für den Wissenschafts- und Kulturbereich Einsparungen
in Höhe von 32 Millionen Euro beschlossen. Knapp 25 Millionen Euro sollen
die Hochschulen im Land dazu beitragen. Wegen der enormen Ausgaben für die
Bekämpfung der Corona-Epidemie sei dieser Schritt nicht zu verhindern.
Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) hatte erklärt, es gebe dazu
„keine wirkliche Alternative“. 3,3 Millionen Euro muss die Uni Göttingen
nächstes Jahr und ab dann dauerhaft einsparen.
Dass es nun die Geisteswissenschaften zuerst trifft, ist kaum überraschend.
Zuletzt reduzierte die Uni bereits die Studiengänge an der Fakultät. „Die
Schließung des Kollegs ist dabei nur eine Maßnahme unter vielen“, betont
dagegen Bielke. 770.000 Euro sollen dadurch eingespart werden. Dabei müsse
die Uni eigentlich dringend Geld investieren. „Allein im Bereich Bauen und
Sanieren fehlen der Universität mit ihren zahlreichen historischen Gebäuden
weit über eine halbe Milliarde Euro“, sagt Bielke.
## „Nachricht aus heiterem Himmel“
Martin van Gelderen kam 2012 nach Göttingen, um die Leitung des Kollegs zu
übernehmen. „Die Nachricht ist aus heiterem Himmel gekommen“, sagt van
Gelderen. Andererseits, sagt er, sei es nach dem Verlust des
Exzellenzstatus und zwei erfolglosen Neubewerbungen kaum überraschend, dass
die Uni ein Projekt stoppt, das für den Ausbau des Exzellenzstatus erst
geschaffen wurde.
Das aber wirft Fragen über die Nachhaltigkeit der Exzellenzpolitik der
Hochschulpolitik im Ganzen auf, die seit Jahren besonders von Studierenden
vehement kritisiert wird.
120 Wissenschaftler:innen haben einen Protestbrief an die Uni-Leitung
unterzeichnet. „Die Bedrohung des Kollegs ist ein direkter Angriff auf die
aufklärerischen Werte, die die Universität seit Langem pflegt“, kritisieren
die Unterzeichner:innen, die aus Russland, Argentinien, den USA und vielen
weiteren Ländern kommen.
Gebracht hat der Protest nichts mehr: Nachdem auch der Senat der Hochschule
den Plänen zur Schließung zugestimmt hat, ist das Aus nun endgültig
besiegelt. Im September kommenden Jahres soll das Kolleg dann schließen –
auch wenn einige Forschungsprojekte noch gar nicht abgeschlossen sind.
Laut van Gelderen braucht es bis zur Fertigstellung der neuen Edition der
Anne Frank-Tagebücher noch rund zwei Jahre. Wie und ob dies nun beendet
werden kann, ist derzeit noch unklar. Ursprünglich war für die kommenden
Jahre angedacht, das koloniale Erbgut in Göttingen und Deutschland tiefer
zu erforschen. „Durch den internationalen Austausch hätte das Kolleg
Erfahrungen aus anderen Ländern transferieren können“, sagt van Gelderen.
28 Dec 2020
## LINKS
[1] /HRK-Praesident-zur-Hochschulfinanzierung/!5543946
[2] /Exzellenz-Initiative-in-der-Kritik/!5452651
[3] /Exzellente-Universitaet/!5607567
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
Universität Göttingen
Exzellenzinitiative
Forschung
Hochschulfinanzierung
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Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
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Studiengang Medizin
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Leibniz Universität Hannover
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