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# taz.de -- Streit um Wiederaufbau von Karstadt: Der alte Glanz vom Hermannplat…
> In Berlin soll zwischen Kreuzberg und Neukölln das alte Karstadt-Gebäude
> rekonstruiert werden. Anwohner protestieren: Sie fürchten soziale Folgen.
Bild: Historisches Werbeplakat für Karstadt am Hermannplatz
Möchten Sie gegen den Abriss von Karstadt unterschreiben?“ Auf dem Gehweg
zwischen der Schaufensterfassade des Kaufhauses am Hermannplatz und einer
Kartoffelpufferbude haben Niloufar Tajeri und ihre Mitstreiter*innen von
der Initiative Hermannplatz ihren Infostand aufgebaut. Jeden
Donnerstagnachmittag stehen sie hier und sammeln Unterschriften gegen die
Pläne des österreichischen Immobilienkonzern Signa.
Einige Passant*innen winken ab, doch ein älterer Mann mit Pferdeschwanz hat
Interesse. Die Aktivist*innen brauchen keine Überzeugungsarbeit zu leisten,
der Mann greift direkt nach dem Stift. „So ein Schwachsinn“, kommentiert er
mit kratziger Stimme die Pläne des Investors, während er die Liste
unterschreibt.
Ginge es nach dem österreichischen Milliardär René Benko und der von ihm
gegründeten Signa-Group, würde das alte Karstadt-Gebäude hier an der Grenze
zwischen Kreuzberg und Neukölln komplett abgerissen. Das funktionale
Gebäude mit der Front aus Glas und grauem Beton soll einer Replik des
historischen Art-déco-Monumentalbaus aus den 20er Jahren weichen. Berichten
zufolge will Signa 450 Millionen Euro für den Neubau investieren.
Die Karstadt-Filiale soll erhalten, aber nicht vergrößert werden. Für die
erweiterte Fläche, die mit dem Neubau gewonnen würde, plant Signa eine
bisher nicht festgelegte Mischnutzung. Noch gibt es weder Bebauungsplan
noch Bauantrag. Doch Signa ist beharrlich – und will zunächst vor allem
politische Widerstände aus dem Weg räumen.
Die Ankündigung der Pläne Anfang 2019 hatten zunächst für Entzücken bei
Politik und Medien gesorgt. Von „architektonischem Glanz“ war die Rede, der
am Hermannplatz wieder erstehen solle. Die Konzeptzeichnungen des von Signa
beauftragten Star-Architekturbüros David Chipperfield Architects zeigen die
hochstrebende Fassade mitsamt Türmen, auf der Dachterrasse tanzen Pärchen
im Abendlicht.
Glanzvoll ist am Hermannplatz derzeit nur wenig. Mehrere große
Verkehrsadern laufen hier zusammen, die rechteckige Fläche dazwischen
wirkt, von mehrspurigen Straßen umringt, eher wie eine verbreiterte
Mittelinsel mit U-Bahn-Ausgang. Und tanzende Pärchen gibt es nur in Form
von Joachim Schmettaus Bronzeskulptur, die etwas verloren in der Mitte des
Platzes steht. Drumherum sorgen Marktbuden für geschäftiges Treiben, auch
Trinker*innen und Drogensüchtige finden hier Zuflucht. Die Polizei stuft
den Platz als kriminalitätsbelasteten Ort ein, an dem sie auch ohne
Begründung Kontrollen durchführen darf.
## Neuköllns Bürgermeister sieht Chance für den Bezirk
Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) sieht deshalb in Signas
Engagement eine Chance für den Bezirk: „Grundsätzlich begrüßen wir die
Pläne“, sagt er der taz, „Karstadt kann langfristig erhalten werden und der
Hermannplatz wird belebt.“ Der spektakuläre Neubau hätte eine Magnetwirkung
für viele Berliner*innen außerhalb des Bezirks, gleichzeitig könne in
Abstimmung mit Signa in dem Gebäude „etwas für die umliegenden Quartiere
erreicht werden“. Außerdem sei das eine willkommene Gelegenheit, den
Hermannplatz umzugestalten. „Wenn nicht gerade Markt ist, bietet der Platz
wenig Aufenthaltsqualität“, so Hikel, man sei „umringt von Blech“.
Gegenüber von Karstadt auf der anderen Seite des Platzes betreibt Arno
Finkelmann ein Geschäft für Damenmode, seit über fünfzig Jahren. Eine
ältere Frau mit Mundschutz guckt sich im Geschäft um, ansonsten ist es
ruhig. Auch Finkelmann sieht Signas Umbaupläne positiv. Er hofft, dass der
Neubau neue Kundschaft für seinen Laden bringt: „Karstadt war nie
Konkurrent“, so der Ladeninhaber, „wichtig ist, dass das, was da hinkommt,
funktioniert.“
Doch das geplante Zwanziger-Jahre-Revival sorgt im migrantisch geprägten
Neuköllner Norden auch für Unbehagen. „Diese Rekonstruktion ist eine
konservative und nostalgische Art, in die Vergangenheit zurückzuschauen, da
schwingen viele Dinge mit, die mir nicht gefallen“, erinnert sich Niloufar
Tajeri an ihre erste Reaktion auf Signas Pläne. „Gerade in diesem Kiez hat
das eine besondere Tragweite.“
Tajeri ist Architektin und beschäftigte sich auch wissenschaftlich mit
Architektur und Gentrifizierung. „Neukölln ist extrem von Verdrängung und
Aufwertung betroffen“, sagt sie. Zwischen 2007 und 2018 stiegen die Mieten
im Norden des Bezirks laut einer Erhebung des Portals Immobilienscout24 um
146 Prozent: der höchste Anstieg in ganz Berlin, und das, obwohl die
Bewohner*innen hier überdurchschnittlich oft arm sind.
„Die Angst ist, dass mit dem Neubau eine weitere Welle in Gang gesetzt
wird, die auch noch die letzten Verbliebenen verdrängt“, fasst Tajeri die
Sorgen vieler Anwohner*innen zusammen. Gefährdet sind nicht nur sie: Wenn
die vergrößerte Geschossfläche des Neubaus dafür genutzt wird, noch mehr
Einzelhandel anzusiedeln, könnte das die Konkurrenz für die umliegenden
Geschäfte verstärken. „Eine weitere Mall können wir dort nicht gebrauchen�…
sagt auch Bürgermeister Hikel, „entscheidend ist, was innen umgesetzt
wird.“
## Ein „Landmark-Building“
Doch selbst wenn Signa keinen einzigen zusätzlichen Quadratmeter
Gewerbefläche schaffen würde, würde der Neubau die Aufwertungsspirale
befeuern. Denn bei einer Rekonstruktion des alten Monumentalbaus würde am
Hermannplatz nicht nur ein Einkaufszentrum, sondern ein neues Wahrzeichen
entstehen. Solche Wahrzeichen, in Immobilienkreisen auch
„Landmark-Buildings“ genannt, erhöhen die Attraktivität weit über die
Grenzen eines Quartiers hinaus. Die Folge sind steigende Boden- und
Immobilienpreise, da die Nähe zur Landmarke wertsteigernd ist.
Ikonische Landmarken sind das Kerngeschäft der Signa Prime Selection AG,
die auch den Neubau am Hermannplatz plant. Die Prime Selection AG ist das
Aushängeschild von Benkos Firmengeflecht, in ihrem Portfolio finden sich
das KaDeWe in Schöneberg, der geplante Elbtower in Hamburg und sogar das
Chrysler Building in New York.
Durch den „Landmark“-Status kann Signa nicht nur höhere Mieten verlangen,
sondern erzielt vor allem Gewinne durch steigende Immobilienwerte. Signa
selbst wirbt online mit der „großen Strahlkraft“ seiner Immobilien. Auch
deshalb dürfte eine bloße Sanierung des alten Gebäudes wenig attraktiv für
den Investor sein. Interviewanfragen der taz dazu ließ Signa unbeantwortet.
Verheerend kann diese Strahlkraft vor allem für das mietrechtlich kaum
geschützte und rund um den Hermannplatz vor allem migrantische Kleingewerbe
sein: „Wir brauchen uns nur den Kottbusser Damm anzuschauen, da hat ein
Laden nach dem anderen zugemacht, weil damit spekuliert wird, dass die
nächsten Mieter das Dreifache zahlen“, sagt Tajeri. „Ein so großes Projekt
kann diese Entwicklung auf einen Schlag auch für die Karl-Marx-Straße und
die Sonnenallee in Gang setzen.“ Noch sind dort Afro- und Asia-Shops,
Modegeschäfte, die Hidschabs und Brautmode anbieten, Shishabars und
arabische Supermärkte ein allgegenwärtiger Anblick.
Seit über zehn Jahren wohnt die Aktivistin selbst in Neukölln. „Ich bin
hier bewusst hergezogen, hier gibt es eine migrantische Community, in der
ich mich wohl fühle“, sagt sie. Doch mit dem Verlust des Kleingewerbes
drohe diese wichtige Bezugspunkte zu verlieren. Die Bewohner*innen
entfremden sich von ihrem eigenen Viertel. „Verdrängung hat viele
Dimensionen“, erklärt Tajeri.
Einen weiteren Reizpunkt für die Aktivist*innen stellt die
skandalumwitterte Person René Benkos selbst dar. Der Signa-Gründer und
Selfmade-Milliardär soll nach eigener Erzählung seine ersten Millionen Ende
der Neunziger mit dem Ausbau von Dachböden zu Luxuswohnungen in Wien
gemacht haben. Seitdem vergrößerte er sein Imperium fortwährend und kaufte
unter anderem angeschlagene Einzelhandelsunternehmen auf, darunter
schrittweise auch Karstadt.
Trotz seiner Medienscheu machte Benko immer wieder negative Schlagzeilen.
2014 wurde er vom Obersten Gerichtshof in Wien wegen Korruption verurteilt
– und versuchte daraufhin, Medienberichte darüber juristisch zu
unterbinden. Die österreichische Rechercheplattform Addendum berichtet von
einem undurchsichtigen Geflecht von Firmen und Stiftungen, hinter den Benko
seine Geschäfte verbirgt. Der 43-Jährige sei auch bestens in der Politik
vernetzt.
Der wohl schwerwiegendste Skandal ereignete sich vor knapp einem Jahr, als
die Veröffentlichung des sogenannten Ibiza-Videos die Regierungskoalition
in Österreich in eine schwere Krise stürzte. Zu sehen war darin
Heinz-Christian Strache, der ehemalige Vizekanzler und Vorsitzende der
rechtspopulistischen FPÖ, wie er in einer Villa auf Ibiza offen über
Korruptionsversuche plauderte. Beiläufig erwähnte Strache, dass Benko der
FPÖ illegale Parteispenden zukommen ließe.
Zwar bestreiten sowohl Benko als auch Strache vehement, dass die Aussage im
Video der Wahrheit entspräche, doch allein die Möglichkeit, dass ein
rechts-sympathisierender Investor so maßgeblich in einem migrantisch
geprägten Stadteil wie Neukölln tätig wird, ist für die Aktivist*innen der
Initiative Hermannplatz eine Provokation. „Der Name Benko hat das Fass zum
Überlaufen gebracht.“ Viele aus der Initiative, so Tajeri, habe das
Ibiza-Video motiviert, sich gegen Signas Pläne zu engagieren: „So einen
wollen wir hier nicht.“
Ein paar Meter von der Kartoffelpufferbude entfernt, vor der die
Aktivist*innen Unterschriften sammeln, ist auf dem Hermannplatz ein kleiner
Markt aufgebaut. Trotz Corona ist er gut besucht, die Händler*innen
profitieren vor allem vom Fußverkehr vor der U-Bahn-Station. Auch hier sind
die Meinungen zu Signas Plänen gespalten: „Das passt nicht zu uns. Die
Menschen, die hier wohnen, sind arm“, sagt Aburakba Fawzi.
Der ältere Herr betreibt seit 30 Jahren einen Kaffeestand auf dem
Hermannplatz, „einen Ku’damm gibt es in Berlin schon“, scherzt er. Ein
anderer Händler, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will,
befürwortet zumindest die optische Neugestaltung des Gebäudes: „Ich gucke
seit zehn Jahren auf dieses Haus und kann nichts Schönes daran erkennen.“
„Ein Neubau würde einen kompletten Existenzverlust für mich bedeuten“, sa…
auch George Wojatzis, der Inhaber des Puffer-Imbisses. Seit 35 Jahren
betreibt er die kleine Bude auf dem breiten Gehweg der Hasenheide an der
Seite von Karstadt. Sie müsste wohl als erstes der Baustelle weichen. Etwas
Neues finden? „Bei den Mieten in der Umgebung, schwierig“, sagt Wojatzis.
Signa veranschlagte die Bauzeit in den ersten Ankündigen mit drei bis vier
Jahren, die Auswirkungen an so einem zentralen Platz wären gewaltig.
Während der Hermannplatz zu Neukölln gehört, ist das Grundstück, auf dem
das Karstadt-Gebäude steht, Teil des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg.
Dessen Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) teilt die Befürchtungen der
Kritiker*innen und erteilte dem Projekt vergangenen August eine krachende
Absage: „Es handelt sich um eine ‚Mixed-Use-Immobilie‘, zum Teil mit dem
Charakter eines Shoppingcenters“, heißt es in der damaligen Presseerklärung
des Bezirks. „Die geplante Fassadenrekonstruktion ist nur noch eine Hülle
für ansonsten austauschbare Nutzungen.“ Schmidt sieht keinen Bedarf für den
Bezirk, den für ein solches Projekt notwendigen Bebauungsplan aufzustellen.
## Benko ist bekannt für seinen langen Atem
Doch Benko ist bekannt für seinen langen Atem. „Wir können unsere Projekte
mit sehr viel Geduld und guten Argumenten angehen. Bisher sind wir so immer
ans Ziel gekommen“, erklärte er im vergangenen November bei einem Vortrag
in der Industrie- und Handelskammer Berlin.
Wie Signa bei den Anwohner*innen um Unterstützung für das Neubauvorhaben
wirbt, zeigt ein Besuch im Hof des Karstadt-Gebäudes. Wo ehemals Parkplätze
waren, führt nun eine rote Fahrradstraße über den Innenhof und verbindet
die Urbanstraße mit der Hasenheide. Auf einer Betonauffahrt thront ein zu
einem Café ausgebauter Container – die „HRMNNBOX“. Der Ort wirkt, als h�…
man ein hippes Kreuzberger Café in den Innenhof von Karstadt verpflanzt,
mitsamt Holzpaletten-Möbeln und Dachterrasse. An diesem
Donnerstagnachmittag legt ein DJ Old-School-HipHop auf. Ein Sprayer
verschönert die Betonauffahrt, während ein Kamerateam von Signa ihn für ein
Promovideo filmt.
Die HRMNNBOX soll laut Signa „ein Ort des Austausches über die Zukunft des
Hermannplatzes sein“. Man kann dort nicht nur Kaffee trinken, sondern auch
Wünsche für das zukünftige Karstadtgebäude auf eine Steckwand schreiben.
„Sauna“, „Bienenstöcke“ und „Meditationsecke“ haben Besucher berei…
die Wand gepinnt.
Die Botschaft, die Signa damit senden will, lautet: Unsere Projekte sind
keine Gefahr für den Kiez, sondern bieten einen Mehrwert. Wenn schon auf
einem Parkplatz ein hippes Café, Urban Gardening und eine Fahrradwerkstatt
entstehen kann, welche Möglichkeiten bietet dann ein ganzer Neubau?
Die HRMNNBOX ist Teil des „Dialogs Hermannplatz“, einer Kampagne, mit der
Signa die Argumente der Kritiker*innen entkräften will. Beraten wird Signa
dabei von der PR-Firma des ehemaligen grünen Außenministers Joschka
Fischer.
Signa betont in Presseberichten und Gesprächen mit Politiker*innen, man
wolle das Gebäude zusammen mit den Anwohnenden entwickeln. Entsprechend
flexibel reagiert der Immobilienkonzern auf Kritik: Karstadt solle auf
jeden Fall erhalten und nicht verkleinert werden, statt weiterer
Einzelhandelsflächen solle Raum für Arztpraxen und Vereine geschaffen
werden, statt eines Hotels war zeitweilig von Sozialwohnungen die Rede, für
die der Neubau Platz böte. „Neben einer neuen Filiale soll eine breite
Angebotsvielfalt entstehen und die alltäglichen Bedarfe der Menschen
widerspiegeln“, erklärte Signa-Sprecher Sebastian Schmidt der taz.
„Signa fährt eine großangelegte Kampagne, die nicht mit Fakten, sondern mit
Emotionen spielt“, schätzt Tajeri die Taktik des Immobilienkonzerns ein.
„Dabei werden aber ganz grundlegende Dinge verschwiegen.“ So werde die
Frage, ob ein aufwendiger Abriss und Neubau überhaupt notwendig sei, von
Signa gar nicht erst diskutiert. Ein Dialogverfahren „auf Augenhöhe“ wäre
bei einer so ungleichen Ausgangslage nicht möglich, so Tajeri.
Auch Baustadtrat Schmidt zeigt sich gegenüber dem von Signa gewünschten
Beteiligungsprozess skeptisch: „Natürlich wäre ein Dialogverfahren mit der
Signa möglich“, so Schmidt gegenüber der taz, „allerdings gibt es
mittlerweile erhebliche Zweifel an der Möglichkeit, dies ergebnisoffen zu
führen.“
## Keine endgültige Absage
Aber eine endgültige Absage an Signa erteilt selbst der vom Tagesspiegel
als „Investorenschreck“ betitelte Schmidt nicht. Der Baustadtrat betont,
dass der Bezirk nicht die notwendigen Kapazitäten habe, das sehr aufwendige
Dialogverfahren selbst durchzuführen. Tätig werden würde er nur, wenn ihm
die Bezirksverordnetenversammlung den Auftrag dazu erteilt: „Der einzige
Weg wäre aktuell, dass die Signa ihren Wunsch nach einem Dialogverfahren in
der BVV zur Diskussion stellt.“
Der längste Hebel, den Signa für die Durchsetzung ihres Vorhabens besitzt,
dürfte aber der Fortbestand der Karstadt-Filiale selbst sein. Dass der
Standort am Hermannplatz erhalten werden muss, betonen alle beteiligten
Akteure – auch die Initiative und die Händler am Hermannplatz. Obwohl er zu
den umsatzstärkeren Filialen gehört und schwarze Zahlen schreibt, gehen
nach Angaben Signas die Gewinne seit Jahren zurück.
Nach der Übernahme durch Signa schaffte es Benko zwar, den Warenhauskonzern
wieder kurzzeitig in die Gewinnzone zu führen, doch erkauft wurde dies vor
allem durch Lohnverzicht der Beschäftigten. Und mit der Coronakrise geriet
der frisch fusionierte Konzern Galeria Kaufhof Karstadt abermals ins
Straucheln. Die Umsatzeinbußen durch den Lockdown gehen in die Milliarden.
Um den Konzern zu sanieren, leitete Signa schon Anfang April ein
Schutzschirmverfahren ein, eine mildere Form des Insolvenzverfahren in
Eigenregie. Medienberichten zufolge könnten bis zu die Hälfte der Filialen
von Schließung betroffen sein. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi stellt
sich auf harte Verhandlungen ein.
„Für den langfristigen Fortbestand von Karstadt am Hermannplatz ist die
Umsetzung eines nachhaltigen Konzepts zwingend notwendig“, so
Signa-Sprecher Sebastian Schmidt. Die indirekte Botschaft lautet: Nur durch
einen Neubau kann der Standort erhalten werden. Signa wirbt damit, dass am
Hermannplatz eine Karstadt-Filiale der Zukunft entstehen werde, die das
Kaufhauskonzept wieder neu beleben soll. „Wichtig ist, dass wir wieder mehr
Emotion, mehr Erlebnis in die Innenstädte bringen. Das gelingt nur durch
Nutzungsvielfalt“, erklärt Signa-Manager Timo Herzberg in einem Interview
mit der Morgenpost.
Doch Expert*innen vermuten schon lange, dass Signa vor allem wegen der
Immobilien bei Karstadt eingestiegen ist. Die Coronakrise ist demnach eine
willkommene Gelegenheit, sich unprofitabler Filialen zu entledigen und sie
für eine gewinnbringendere gemischte Nutzung freizumachen. An eine erst im
vergangenen Dezember von Verdi erstrittene Standortgarantie für alle Häuser
bis 2025 ist Signa durch das Schutzschirmverfahren nicht mehr gebunden. Die
Zukunft von Galeria Karstadt Kaufhof ist ungewiss. Dennoch versichert
Signa: „Wir halten an unseren Plänen für das Projekt am Hermannplatz
unverändert fest.“
Kaffeeverkäufer Aburakba hat wenig Hoffnung, was die Zukunft angeht: „Wenn
die reichen Leute ein Ziel haben, werden sie das erreichen.“ Tajeri und
ihre Mitstreiter*innen lassen sich trotz ihres mächtigen Gegners nicht
entmutigen: „Wenn die Zivilgesellschaft zusammenhält, können wir das
schaffen.“
6 Jun 2020
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
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