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# taz.de -- Arabischstämmiger Senior-Aktivist: „Ich dachte: Berlin ist meine…
> Hamzeh Mudallal kam in den 1960er Jahren nach Berlin. Heute kämpft der
> 80-Jährige für die Bedürfnisse migrantischer Senior*innen.
Bild: Vom Berliner Senat für sein Engagement ausgezeichnet: Hamzeh Mudallal
taz: Herr Mudallal, wie geht es Ihnen zurzeit? Vor einer Woche endete der
Ramadan: Wie haben Sie die Fastenzeit und das Fest mit Kontaktsperre
erlebt?
Hamzeh Mudallal: Gemeinsames Beten gab es nicht. Wer in die Moschee wollte,
musste Maske tragen und einen eigenen Koran und einen eigenen Teppich
mitbringen. Aber ich bete und lese meinen Koran lieber zu Hause. Im
Familien- und Freundeskreis halten wir Kontakt über Facebook und Whatsapp.
Gehen Sie nicht hinaus?
Ich gehe mit meiner Frau auf die Sonnenallee, wenn ich etwas brauche, mit
Mundschutz. Ich muss jeden Tag ein bisschen laufen, damit ich Sport mache,
ich bin ja Raucher. Aber meine Kinder sind streng mit mir. Es gibt
Versammlungen, wo ich normalerweise hingehe. Aber sie haben gesagt: Baba,
du bist über 80, was wird mit uns, bleib lieber zu Hause. Ich habe auch
nicht gefastet, ich muss Tabletten nehmen. Bei uns in der Religion ist das
erlaubt. Ich habe gefrühstückt und dann gewartet, bis meine Frau am Abend
das Fasten bricht. Also habe ich tagsüber nicht gegessen und weniger
geraucht. (lacht)
Sie sind in den 1960er Jahren aus Jordanien nach Deutschland gekommen,
eigentlich zum Studieren, aber dann kam es doch anders.
Nach meinem Abitur in Jordanien bin ich nach Stuttgart gegangen, dort
wollte ich Politik studieren und nebenbei arbeiten. Ich hatte damals
Freunde in Deutschland, die mir empfohlen hatten, herzukommen. Aber
studieren und arbeiten, das hat nicht geklappt.
Was haben Sie dann gemacht?
Ich habe angefangen, bei Mercedes zu arbeiten, und das Leben hier genossen.
Hier war ja alles erlaubt, so eine Demokratie hatte ich bis dahin nicht
erlebt.
Wo hatten Sie vorher gelebt?
Ich bin in Amman geboren und aufgewachsen, der Hauptstadt von Jordanien.
Mein Vater war beim Militär, meine Mutter war Schneiderin. Ich habe sechs
Geschwister, wir waren drei Jungs und vier Mädchen. Ein Bruder ist zum
Studium in die USA gegangen, ein anderer wurde Geschäftsmann in Jordanien.
Und ich bin dann bald weitergezogen von Stuttgart nach Berlin.
Wie kam das?
Ein paar Freunde waren nach Berlin gegangen, und ich hatte sie hier
besucht. Ich dachte damals: Berlin ist meine Stadt.
Wo haben Sie hier gearbeitet?
Ich habe bei Siemens angefangen und bin gleich am ersten Tag in die
Gewerkschaft eingetreten. Ich dachte, ich bin jetzt Arbeiter, und das
gehört dazu. Ich habe dort viel gelernt. Bei den großen Firmen, Bosch,
Siemens, war der Anteil der migrantischen Arbeiter höher als der der
einheimischen. Die Migranten haben daran mitgewirkt, dass Deutschland
wieder hochkommt.
Sie haben gesagt, Sie haben hier gut gelebt.
Ja, da waren die Rechte, die ich hier erlebt habe, die Freiheit. Und die
Freundlichkeit uns gegenüber war damals enorm. Wenn wir zum Arzt gegangen
sind und gesagt haben, dass wir Magenschmerzen haben, hat der Arzt gesagt:
Das verstehe ich, das Essen ist anders, das Wetter ist anders. Sie haben
uns mit Respekt behandelt. Es war die schönste Zeit für uns, zehn Jahre
habe ich das Wort „Ausländer“ nicht gehört. Weihnachten haben uns die
Nachbarn eingeladen, wir haben die Familien besucht zum Weihnachtsessen und
dazu noch Geschenke bekommen. Die Deutschen waren vor dreißig, vierzig
Jahren anders. Diskriminierung und Rassismus haben wir nicht erlebt in
unserer Anfangszeit.
Das ist anders geworden.
Ja. Aber ich habe in Berlin eine nette Frau kennengelernt, eine Deutsche,
wir haben geheiratet und zwei Kinder bekommen. Nach dem Tod meiner ersten
Frau habe ich eine Araberin geheiratet. Mit ihr habe ich drei Kinder.
Was machen Ihre Kinder?
Mein jüngster Sohn wird Bauingenieur, er wird im September fertig. Eine
Tochter macht Hotelmanagement. Mein Sohn aus erster Ehe, er ist 44 Jahre,
ist Oberkommissar bei der Polizei, hier in Schöneberg. Seine Schwester
arbeitet bei einem Pflegedienst. Und meine jüngste Tochter Susan ist in
einem Jahr fertig mit ihrem Politikstudium. Wenn die beiden Jüngsten fertig
sind, bin ich zufrieden, dann habe ich alles geschafft.
Freuen Sie sich, dass Ihre Tochter Politik studiert – was Sie ja auch
studieren wollten?
Natürlich. Zu ihr kann ich nicht Nein sagen. Bei meinen anderen Kindern ist
es so: Wenn ich Nein sage, akzeptieren sie es, sogar mein Ältester, der
Polizist. Aber wenn ich bei der Jüngsten Nein sage, sagt sie: Ich habe dich
gehört. Setz dich und erklär mir, warum du Nein sagst. (lacht) Ich habe sie
einmal gefragt, warum sie Politik gewählt hat, und sie hat gesagt, sie
wolle es studieren, damit sie die Bücher in meiner Bibliothek besser lesen
kann. Lesen ist mein Hobby. Ich habe schon in meiner Jugend viele Bücher
gelesen, viele waren damals über meinem Niveau. Jetzt habe ich Zeit und
lese sie noch mal.
Was lesen Sie gern?
Alles: Bücher über Politik und Religion, viel auf Arabisch, auch Literatur,
Romane oder Gedichte. Wenn ich mit anderen zusammensitze, und alle sind
Akademiker und sie unterhalten sich, dann mische ich mich ein, wenn ich
etwas darüber weiß. Wenn nicht, dann lerne ich. Ich habe immer ein Heftchen
mit und schreibe mir dann etwas auf. Sie sagen immer: Ach ja, der Herr
Mudallal mit seinem Bleistift.
Haben Sie sich deshalb in der Gewerkschaft engagiert?
Es hat mich interessiert, weil es mir wichtig war, dass wir unsere Rechte
kennen. Ich habe in Berlin die Arabische Arbeiter Union mitgegründet. Wir
waren manchmal 70 bis 100 Leute und haben auch kulturelle Abende
organisiert. Da haben wir über Romane diskutiert oder über Politik, damit
die Leute zusammenkommen. Es ging auch oft darum, was in unserer Heimat
passiert. Ich bin damals auch mit den Studentendemos mitgelaufen, mit Rudi
Dutschke, ich wollte mir das angucken.
Wie kam das?
Das war zufällig. Ich war am Ku’damm und wollte ins Café Kranzler, und da
kam die Demo gerade vorbei, ich war neugierig und bin mitgelaufen. Ich
hatte auch einige Freunde, Araber, die studiert haben.
Heute machen Sie Seniorenarbeit, etwa mit dem Seniorencafé im DAZ. Warum
ist Ihnen das wichtig?
Die arabischstämmigen Senioren gehen in Rente, und das war es dann.
Deutsche Senioren dagegen haben viele Kontakte. Bei älteren arabischen
Migrant*innen sehe ich oft, dass sie einfach zu Hause sein wollen mit
ihrer Familie, mit den Kindern und Enkelkindern. Wenn ich über die
Sonnenallee gehe, spreche ich mit dreißig Leuten und frage, ob sie zu
unserem Seniorencafé kommen. Aber sie sagen: Ach, lass mich zu Hause, was
soll ich da machen. Deshalb spreche ich auch viel mit Vereinen oder
Initiativen und schlage ihnen vor, dass sie Seniorenarbeit machen oder
einen Club für Senioren anbieten. Gemeinden oder Vereine sind Orte, an
denen sich alle versammeln können, aber die meisten dort sind jung. Dass
wir andere Interessen haben und andere Aktivitäten brauchen, das sehen sie
nicht.
Was machen Sie im Seniorencafé?
Im DAZ veranstalten wir die Bibliomania, ein kleines Festival mit
Literatur, Lesungen, Buchmesse und Kunst. Das gab es in diesem Jahr schon
zum vierten Mal, das finde ich sehr gut. Aber wir brauchen auch etwas
Neues. Und die Araber alle unter ein Dach zu bringen, das ist schwierig.
Warum?
Wir Arabischstämmigen hier in Berlin kommen aus 22 Ländern, und jeder
bringt seine Erfahrungen, seinen Glauben, seine Geschichte mit.
Gibt es trotzdem etwas Verbindendes?
Wir haben die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Religion und ähnliche
Interessen und Gewohnheiten, das verbindet uns miteinander. Warum sollten
wir uns dann nicht zusammentun und mit einer Stimme sprechen? Wir sollten
aufhören, zu betonen, dass einer Jordanier ist, der andere aus dem Sudan,
der dritte aus Libyen. Es ist wichtig, dass wir als Araber alle zu einer
Kraft zusammenwachsen und unsere Forderungen gemeinsam stellen, damit nicht
jeder für sich allein bleibt. Ich fände das sehr gut, wenn wir das
erreichen. Wir haben dann auch mehr Möglichkeiten, Hilfe für unsere
Projekte zu bekommen.
Gibt es etwas, was Sie sich von einer Gesellschaft wünschen, die sich als
Einwanderungsgesellschaft begreift?
Ich persönlich kann nicht mehr verlangen. Was wir hier bekommen, das
bekommen wir in unseren Heimatländern nicht. Ich bekomme mehr Rechte, als
ich erwartet habe. Aber wenn ich mir selbst nicht helfe, wie kann ich das
von den anderen erwarten? Das geht nicht. Dann muss ich auch meinen Dank
zeigen, indem ich ehrlich arbeite und meinen Pflichten nachgehe.
Ich bezweifle, dass jede*r hier automatisch seine*ihre Rechte bekommt.
Der rechte Flügel ist überall auf der Welt auf dem Vormarsch. Aber wir
merken auch, dass der Erfolg der AfD langsam nachlässt. Die Gesellschaft
glaubt das, was die AfD sagt, nicht. Es gibt Länder mit vielen Nationen,
die gut miteinander leben, nicht wahr?
Sie haben gesagt, dass Sie sich in der Anfangszeit in Deutschland sehr
wohlgefühlt haben. Das hat sich geändert?
In letzter Zeit ist Diskriminierung vielleicht etwas stärker zu merken, und
ich beobachte, dass es für die Jüngeren teilweise schwieriger ist.
Diskriminierung gibt es, aber das ist nicht die Mehrheit. Ich lebe seit 22
Jahren in diesem Haus, und wir kommen mit allen zurecht. Manche Nachbarn
sagen uns nicht Guten Morgen, wenn sie uns sehen. Aber das mache ich nicht
zu einem Problem. Ich kenne viele Deutsche. Leider haben mir einige aber
auch gesagt: Wir kennen dich seit Jahren. Aber wenn du jetzt nach
Deutschland gekommen wärst, würden wir uns nicht mit dir anfreunden.
Warum sagen die so etwas?
Sie scheren alles über einen Kamm, auch ihr Bild von den neuen arabischen
Migrant*innen, die 2015 aus Syrien gekommen sind. Das ist falsch.
Ärgert Sie das nicht, so etwas zu hören von Menschen, die eigentlich Ihre
Freunde sind?
Ich habe den Eindruck, dass sich bei einigen die Einstellung gegenüber
Migrantinnen und Migranten geändert hat. Aber das sind wenige, ich
verurteile nicht die Minderheit. Von den Flüchtlingen, die gekommen sind,
sind viele jung und haben hier Freiheiten gefunden, die sie vorher nicht
kannten. In Jordanien kann man in eine Bar oder ein Tanzlokal gehen, aber
in Syrien nicht. Manche kommen damit nicht klar, dass alles erlaubt ist.
Auch Landsleute aus Syrien nehmen so ein Verhalten übel.
Als 2015 viele Geflüchtete kamen und Angela Merkel sagte: „Wir schaffen
das“, haben Sie ihr zugestimmt.
Ja, denn ich habe gesehen, was sie für die Migrantinnen und Migranten hier
getan haben. Mit einem Sprachkurs haben alle hier eine Chance. Die Stadt
hat eine Million Migrant*innen, und sie gibt euch alles. Die Araber hier
sind ja erfolgreich, sie arbeiten in Behörden, viele sind Ärzte. Und die
Gesellschaft in Deutschland braucht das auch.
Was ist Ihr Eindruck, wie geht es den Syrer*innen, die 2015 gekommen sind,
heute?
Die Mehrheit ist erfolgreich. Sie machen Geschäfte auf, es gibt Autoren,
die Bücher oder Gedichte schreiben, es gibt Ingenieure, Ärzte,
Rechtsanwälte. Ich bin stolz auf sie. Sie haben in vier, fünf Jahren Dinge
geschafft, die wir als sogenannte Gastarbeiter in 60 Jahren nicht geschafft
haben: Sie haben sich schnell beteiligt und sind in qualifizierten Berufen
angekommen.
Bei den arabischstämmigen Migrant*innen gab und gibt es ja viele, die
einfach immer nur Duldung nach der anderen bekommen hatten. Da sind die
Rechte und Möglichkeiten sehr eingeschränkt.
Das stimmt, und das ist unmenschlich. Wie soll das gehen, zwanzig Jahre
unter Duldung hier zu leben, und nicht zu wissen, ob das irgendwann vorbei
ist? Wenn Verwaltung und Politik dann über Integration sprechen wollen,
kann ich nur sagen: Ihr wollt das nicht. Wir wissen, dass das mit den
Duldungen Unfug ist, und die Ausländerbehörde weiß das auch. Auch da würde
es vielleicht helfen, wenn wir als Araber mit einer Stimme sprächen.
Wie stark ist Ihre Verbindung zu Jordanien noch?
Ich habe ein Haus dort, einen kleinen Palast, und fahre einmal im Jahr hin,
die Reise schaffe ich noch gut. Ich will aber hier leben. Meine Kinder
sagen auch: Was haben wir in Jordanien? Die Oma ist tot, der Opa, Onkel und
Tante auch. Wir sind hier geboren, wir haben unsere Freunde hier, wir
arbeiten hier. Das ist richtig. Ich freue mich, zu sehen, wie erfolgreich
sie sind und dass auch viele andere erfolgreich sind. Sie sind im
Fernsehen, im Sport, sie haben Bibliotheken. Das haben wir nicht geschafft.
Aber vielleicht haben Sie es mit vorbereitet.
Hoffentlich, wenn Sie das denken. Das hat mir jedenfalls Mut gemacht.
31 May 2020
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
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