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# taz.de -- Anschläge im bayrischen Waldkraiburg: Ist es rechter Terror?
> In Waldkraiburg häufen sich Angriffe auf türkische Geschäfte. Zwar fehlt
> bisher eine direkte Spur, dennoch drängt sich ein schrecklicher Verdacht
> auf.
Bild: Rechter Anschlag? Ausgebranntes türkisches Geschäft in Waldkraiburg in …
München taz | An einen Zufall will in Waldkraiburg keiner mehr glauben. In
dem oberbayerischen Städtchen sorgt derzeit eine vermutliche Anschlagsserie
für Angst. Das Ziel der Angriffe: türkische Läden. Insgesamt vier sind es
bislang; zuletzt warfen Unbekannte in der Nacht zum Mittwoch, den 6. Mai
2020, die Scheiben einer Dönerbude ein. Davor traf es einen
Lebensmittelladen, einen Friseursalon, eine Pizzeria.
Zwar liegt ein [1][rassistischer Hintergrund] nahe, eine klare Spur zu den
Tätern fehlt bislang jedoch. Es ist unvermeidlich, dass Erinnerungen an die
Verbrechen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds wieder
hochkommen. Auch die [2][Mörder des NSU] hatten es auf Geschäftsbesitzer
mit – zum größten Teil türkischem – Migrationshintergrund abgesehen.
So nehmen die Behörden die Anschläge jetzt auch sehr ernst. „Wir messen dem
Geschehen eine sehr hohe Bedeutung bei“, sagte Innenminister Joachim
Herrmann am Mittwoch. „Ich bin fassungslos und tief erschüttert.“ Mit den
Anschlägen sollten Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund
verunsichert und verängstigt werden, vermutet der CSU-Politiker. „Solche
Straftaten werden wir nicht hinnehmen, sondern mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln konsequent verfolgen.“
Die erst vor drei Jahren bei der Münchner Generalstaatsanwaltschaft
eingerichtete Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus
hat den Fall übernommen, die Kriminalpolizei ermittelt zudem mit einer
25-köpfigen Sonderkommission namens „Prager“. Die Beamten suchen vor allem
nach Augenzeugen. Es wurde eine Belohnung von 3.000 Euro ausgesetzt.
## Zuletzt sechs Verletzte
Klaus Ruhland, Oberstaatsanwalt und Sprecher der Zentralstelle, legt jedoch
Wert darauf, auf die Unterschiede zu den Taten des NSU hinzuweisen. Die
Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hätten zielgerichtet getötet, und
die Ermittler hätten damals lange Zeit keinen Zusammenhang zwischen den
Taten erkannt.
In Waldkraiburg werden die Ermittlungen von Anfang an gebündelt. Dennoch
gibt sich Ruhland zurückhaltend: Ein extremistischer Hintergrund könne zwar
nicht ausgeschlossen werden, man ermittle aber in alle Richtungen.
Der schlimmste der bisher vier Anschläge ereignete sich am 27. April am
Sartrouville-Platz in der Waldkraiburger Innenstadt und galt einem
Lebensmittelgeschäft. Dabei erlitten sechs Menschen in den Wohnungen über
dem Laden eine Rauchvergiftung, eine Frau musste anschließend die Nacht im
Krankenhaus verbringen.
Der Laden war komplett ausgebrannt, die Feuerwehr geht von einem Schaden im
Millionenbereich aus. Auch benachbarte Läden wurden durch die enorme
Rauchentwicklung in Mitleidenschaft gezogen. Die Besitzerin eines
Textilgeschäfts kündigte bereits an, nach dem erlittenen Schaden nicht mehr
wiederzueröffnen.
Auf Instagram übte sich der Juniorchef des angegriffenen Lebensmittelladens
in Sarkasmus: „Wie ihr sicherlich mitbekommen habt, konnte jemand die
Corona-Zeit nicht abwarten zu grillen und hat meine komplette Ware
servierfertig zubereitet“, schrieb er, „leider scheint der Täter kein guter
Grillmeister zu sein, also hat er das Inventar direkt mitgegrillt.“ Doch
wenige Sätze später wird er ernst. Der Laden sei ein Treffpunkt gewesen, wo
Leute ihre Probleme ausgetauscht hätten – „und für manche der Laden, zu d…
sie gehen konnten, wenn das Geld am Monatsende nicht mehr da war und mein
Vater gesagt hat:,Kein Problem, zahlst du, wenn du kannst, oder gar
nicht.'“
## Stimmung gegen Menschen mit Migrationshintergrund
Die Soko ermittelt nun wegen Brandstiftung und möglichen versuchten
Totschlags. Bei den anderen Anschlägen kamen keine Menschen zu Schaden,
auch der Sachschaden war wesentlich geringer, entstanden vor allem durch
eingeworfene Fensterscheiben.
Aktuell erfahren die Opfer der Angriffe große Solidarität, wie der
Ladenbesitzer vom Sartrouville-Platz berichtet. Am Wochenende rief das
Netzwerk „Mühldorf ist bunt“ zu einer Mahnwache vor dem ausgebrannten
Geschäft auf. Rund 50 Teilnehmer versammelten sich dort. Ein Sprecher des
Netzwerks wies darauf hin, dass sich seit einigen Jahren im Landkreis eine
negative Stimmung gegen Menschen mit Migrationshintergrund breitmache –
auch in Form feiger Angriffe wie jetzt in Waldkraiburg.
Für eine rechtsextreme Szene ist die Stadt bisher nicht bekannt. Als
sogenannte Vertriebenenstadt wurde Waldkraiburg erst nach dem Zweiten
Weltkrieg aufgebaut. Auch der aus Siebenbürgen stammende Sänger Peter
Maffay wuchs hier auf. Die heute rund 23.000 Einwohner sollen aus etwa 70
verschiedenen Nationen stammen.
Der Inhaber des ausgebrannten Ladens will sich von dem Angriff nicht
unterkriegen lassen. „Sobald alles wieder aufgebaut ist“, schreibt er auf
Instagram, „wird dieses Geschäft wieder eröffnet, und selbst wenn es mit
einer Gurke und einem Apfel beginnt, das garantiere ich dem oder den
Tätern.“
7 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Bayern
Schwerpunkt Rechter Terror
Brandanschlag
Islamismus
Schwerpunkt Rechter Terror
Bayern
Kriminalität
Polizei
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Gruppe Freital
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