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# taz.de -- Attentat in München 2016: Denkmal mit falscher Inschrift
> Am Mittwoch jährt sich das Attentat vom Olympia-Einkaufszentrum in
> München zum vierten Mal. Noch immer gibt es kein angemessenes Gedenken.
Bild: Dauerhaftes Erinnerungsmal an die Opfer des Attentats am und im Olympia-E…
München taz | Kleine Bilderrahmen mit Fotos der Toten stehen auf dem Boden
des Denkmals. Daneben liegen pinke Plastikblumen und ein selbst gebasteltes
Schild: „Rest in Peace“. Hierher, zum [1][Denkmal am
Olympia-Einkaufszentrum in München], kommen Menschen, um zu gedenken. Sie
erinnern an diejenigen, die 2016 beim Attentat an diesem Ort getötet
wurden.
Das Denkmal besteht aus mehreren Teilen: einem Ginkgobaum und Fotos der
neun Todesopfer, die ein massiver Ring zusammenhält. „In Erinnerung an alle
Opfer des Amoklaufs vom 22. 7. 2016“ steht darauf. „Das ist eine falsche
Bezeichnung“, sagt Hassan Leyla. Und seine Ehefrau Sibel Leyla sagt: „Diese
Schrift muss weg.“
Sibel und Hassan Leyla sind die Eltern von Can. Der damals 14 Jahre alte
Junge wurde bei dem Attentat vor vier Jahren ermordet. Mit anderen
Opferfamilien setzt sich das Ehepaar Leyla dafür ein, dass das Denkmal am
Olympia-Einkaufszentrum geändert wird. Denn die Bezeichnung „Amoklauf“ ist
nicht korrekt. Aus gutem Grund haben die Ermittler*innen des
Landeskriminalamts in Bayern nach langem Hin und Her 2019 [2][die Tat als
rechtsextremes Attentat] eingestuft.
Wie schwer sich die Behörden mit der Anerkennung als politisch motivierte
Tat bis heute tun, hat das Ehepaar Leyla auch in der Frage der Umbenennung
des Denkmals erfahren. Zwar verkündete die Stadt München Ende Juni, dass
die Inschrift nun zu „In Erinnerung an alle Opfer des rassistischen
Attentats vom 22. 7. 2016“ geändert werden soll. Der Weg bis zur
Umbenennung war für die Familien aber ein langer Kampf.
## Denkmal an alles
„Die haben wirklich alles gemacht, damit die von uns hören: Okay, lasst
es“, sagt Hassan Leyla. „Wenn wir das gemacht hätten, wären die
hundertprozentig sehr zufrieden gewesen.“ Ziel der Stadt München sei
einfach gewesen, „das nicht zu ändern“. Und so erinnert das Denkmal
mittlerweile nicht nur an das schreckliche Attentat, sondern auch an den
Umgang der Stadt mit den Angehörigen der Verstorbenen, an die Frage, für
wen Denkmäler eigentlich gedacht sind, und an die teils schwierige
Anerkennung rechtsextremer Gewalt in Deutschland. Sieben der neun
Todesopfer waren muslimischen Glaubens, eines war ein Rom und eines ein
Sinto.
Nach der Tat im Juli 2016 hatten die bayerischen Landesbehörden einen
politischen Hintergrund zunächst ausgeschlossen und nur von einem
vermeintlich unpolitischen Amoklauf gesprochen. „Bis jetzt meinen viele
Personen, die wir kennen, dass es ein Amoklauf war“, sagt Hassan Leyla.
„Ist ja klar: Auf dem Denkmal steht Amoklauf und im Fernseher wurde vom
ersten Tag bis jetzt nur von Amok gesprochen.“
Dabei gab es schon kurz nach der Tat Hinweise auf ein rechtsextremes Motiv:
Der damals 18-jährige Täter David S. schoss gezielt auf Menschen aus
Einwandererfamilien. Auf einem Video der Tat ist zu sehen, wie er „Scheiß
Türken“ ruft. Er wählte den fünften Jahrestag der Anschläge des
norwegischen Rechtsextremisten Anders Breivik. Auf der Spieleplattform
„Steam“ hatte S. in der Chatgruppe „Anti-Refugee-Club“ Kontakt zu ander…
Rechtsextremen, unter anderem zum rechtsradikalen US-Amerikaner William
Atchison, der 2017 selbst zwei Menschen und sich selbst bei einem Attentat
in New Mexico erschoss. „Da muss ich nur eins plus eins zusammenzählen“,
sagt Claudia Neher. Die Anwältin vertrat vier Familien im Prozess gegen den
Waffenhändler, der S. die Tatwaffe verkauft hatte. Der Waffenhändler ist
ebenfalls ein Rassist und überzeugter Anhänger Hitlers, das Gericht sprach
von einer „widerwärtigen Gesinnung“.
## Bezeichnung nicht korrekt
Neher macht den Ermittlungsbehörden große Vorwürfe. „Das war anfangs eine
absolute Fehleinschätzung“, sagt die Anwältin. „Wir können nicht hundert
NSU-Untersuchungsausschüsse haben und nichts daraus lernen.“ Sie hat
gemeinsam mit den Angehörigen dafür kämpfen müssen, dass die Tat als
rechtsextrem anerkannt wird. Auch die Stadt München hat drei Gutachten in
Auftrag gegeben, in denen der politische Hintergrund der Tat deutlich wird
und die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Tat mittlerweile
eindeutig als rechts motiviert anerkannt wird.
Und so steht auf der einen Seite eine der schlimmsten rechtsextremen
Gewalttaten in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auf der
anderen Seite steht ein Gedenken, das selbst am Ort des offiziellen
Denkmals nicht die korrekte Bezeichnung wiedergibt – auch noch nicht am
vierten Jahrestag des Anschlags am Mittwoch. Hassan Leyla kann das nicht
fassen: „Da soll endlich das zu lesen sein, was geschah und mehr nicht!
Würde es euch nicht stören, wenn dort stehen würde: Verkehrsunfall?“
Sibel Leyla erklärt, warum das Denkmal aus ihrer Sicht eine so große
Bedeutung für die Gesellschaft hat. “Wir brauchen die Wahrheit, um zu
lernen.“ Ihr Mann sagt: “Mein Sohn kommt nicht zurück, wenn diese Schrift
geändert wird. Das macht meinen Schmerz auch nicht weniger.“ Sehr wohl
könne so aber ein Zeichen gesetzt werden: „Heute hat es mich erwischt,
morgen kann es einen anderen erwischen. Denn diese Fälle nehmen in
Deutschland zu statt ab. Weil dagegen nichts getan wird“, so Leyla.
Stattdessen würden rechte Terroranschläge weiterhin als unpolitische
Amoktaten verharmlost.
## Was hindert München?
Aber warum tut sich die Stadt München so schwer damit, die Tat auf dem
Denkmal als das zu benennen, was sie war? Was hindert sie daran, aktiv zu
werden? Ein Antrag auf Umbenennung, den der Migrationsbeirat der Stadt
Anfang Dezember 2019 unter anderem an den Oberbürgermeister und das
Kulturreferat gestellt hat und der der taz vorliegt, sowie weitere
Gespräche mit Angehörigen belegen das zögerliche Vorgehen der Stadt. So
haben sieben von neun betroffenen Familien bereits im Herbst 2018 um eine
Umbenennung gebeten. Zwei Familien wollten sich damit nicht beschäftigen,
haben sich aber auch nicht dagegen ausgesprochen. Das zuständige
Kulturreferat München lud zu einem ersten Gespräch im März 2019 ein. Dabei
soll die verantwortliche Referentin wenig kooperativ gewesen sein. Sie soll
davon gesprochen haben, die Familien wollten das Denkmal „zerstören“ und
„politisieren“.
„Es war zäh und verletzend gegenüber den Angehörigen“, sagt Anwältin
Claudia Neher. Auch Sibel Leyla hat sich nicht ernst genommen gefühlt. „Es
war unübersehbar, dass man sich der Wahrheit nicht stellen möchte. Man
lenkt immer wieder vom Thema ab oder verharmlost es – man tut so, als sei
es unmöglich, etwas am Mahnmal zu verändern“, sagt sie. Dabei sei es den
Familien gar nicht um eine spezielle Gestaltung gegangen. „Wir wollten
einen dezenten kleinen Eingriff, das ist ein kleines Ziel“, sagt Claudia
Neher. „Übermalen, 3-D-Druck, durchstreichen und drüberschreiben – wir
wären mit allem einverstanden.“
Bei dem Treffen im März 2019 äußerten die Familien den Wunsch, die
Inschrift bis zum dritten Jahrestag im Juli 2019 zu ändern. Wobei
„wünschen“ für Hassan Leyla nicht der richtige Ausdruck ist: „Die sollen
nicht nach unseren Wünschen arbeiten, sondern nach den Tatsachen.“ Von sich
aus habe es aber vom Kulturreferat keine Initiative zur Umbenennung
gegeben. Bis zum Jahrestag im Juli 2019 klappte die Umbenennung nicht, im
November 2019 lud die Behörde zu einem nächsten Treffen mit den Familien
ein. „Acht Monate ist nichts passiert“, kritisiert Claudia Neher. Und dann
sei bei dem zweiten Treffen nur der bestehende Beschluss wiederholt worden.
## „Für Euch“
Sibel Leyla hatte daher zwischenzeitlich schon gesagt: „Wenn es bis 22.
Juli 2020 nicht geändert wird, will ich das Foto meines Sohnes von dem
Denkmal irgendwie weghaben.“ Außerdem haben die Familien überlegt, eine
Umbenennung möglicherweise gerichtlich durchzusetzen – für ein Denkmal, das
den Namen „Für Euch“ trägt. Nachdem der Migrationsbeirat das Vorhaben der
betroffenen Familien unterstützt und einen eigenen Antrag auf Umbenennung
gestellt hat, dauerte es noch sechs Monate bis zur öffentlichen Zusage der
Stadt. Im Herbst dieses Jahres soll die Inschrift nun geändert werden.
Das Kulturreferat der Stadt München sieht im Umgang mit dem Denkmal und den
Angehörigen der Opfer keine Fehler. Im Gegenteil, die Pressesprecherin
betont auf Anfrage der taz seine „sensible und konsensorientierte
Moderation“, die eine Einigung zwischen allen Familien möglich gemacht
habe. „Im Fokus standen und stehen die Opfer, an die erinnert werden soll,
sowie die Anliegen ihrer Angehörigen“, heißt es in der Pressemitteilung zu
Umbenennung.
Doch warum hat es dann so lange gedauert? „Ein gemeinsamer Prozess kann nur
in der Geschwindigkeit stattfinden, die allen Angehörigen gleichermaßen die
Chance gibt, sich adäquat einzubringen“, antwortet das Kulturreferat.
Akteneinsicht, um die zeitlichen Prozesse innerhalb der Behörde
nachvollziehen zu können, erlaubt das Kulturreferat auf Anfrage der taz
nicht.
An einem Freitagnachmittag Anfang Juli laufen immer wieder Menschen an dem
Denkmal vorbei, auf dem Weg zum Einkaufszentrum, zur U-Bahn, zum
Saturn-Markt oder zu McDonald’s. Ein Pärchen mit Kinderwagen bleibt kurz
stehen, hält inne und guckt auf die Fotos der Todesopfer. „Ah krass. 2016.
Schon so lange her“, sagt die Frau. Dann schiebt sie den Kinderwagen
weiter.
22 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=xAE5GCiL9FI
[2] /OEZ-Anschlag-in-Muenchen/!5636150&s=es+war+rechter+terror/
## AUTOREN
Laurenz Schreiner
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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