# taz.de -- Anklage im Mordfall Walter Lübcke: „Ein Fanal gegen den Staat“ | |
> Im Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke | |
> erschossen. Nun erhebt die Bundesanwaltschaft Anklage. | |
Bild: Wurde wegen seines Einsatzes für Geflüchtete getötet: Walter Lübcke | |
BERLIN/KASSEL taz | Die Tat löste bundesweit Entsetzen aus. [1][In der | |
Nacht zum 2. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke | |
mit einem Kopfschuss vor seinem Haus ermordet] – mutmaßlich von dem | |
Rechtsextremisten Stephan Ernst. Es war der erste rechtsextreme Mord an | |
einem Politiker in der Bundesrepublik. Nun erhebt die Bundesanwaltschaft | |
Anklage. | |
Die obersten Strafverfolger werfen Ernst Mord vor. Er habe aus einer | |
„völkisch-nationalistischen Grundhaltung“ heraus den CDU-Politiker getöte… | |
heißt es in der Anklage. Seinen „Fremdenhass“ habe er über Jahre auf Lüb… | |
„projiziert“, der offen für eine Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland | |
plädiert hatte. | |
Die Ermittler waren auf Ernst aufgrund einer DNA-Spur am Tatort gekommen. | |
[2][Der 47-Jährige hatte den Mord zunächst gestanden]: Er habe Lübcke | |
erschossen, weil der Flüchtlingsgegner auf einer Bürgerversammlung im | |
Oktober 2015 in Kassel-Lohfelden kritisiert hatte. Ihn habe jahrelang nicht | |
losgelassen, wie Lübcke damals pöbelnden TeilnehmerInnen entgegnet hatte, | |
wer die hiesigen Werte nicht vertrete, könne Deutschland jederzeit | |
verlassen. | |
Dann aber widerrief Ernst sein Geständnis – und [3][benannte den | |
Mitbeschuldigten und langjährigen Freund Markus H. als wahren Mörder]. Die | |
neue Version: Gemeinsam sei man zu Lübcke gefahren, um ihn einzuschüchtern. | |
Dabei habe Markus H. den CDU-Politiker „versehentlich“ in den Kopf | |
geschossen. | |
## Ermittler glauben dem ersten Geständnis | |
Die Ermittler glauben diese Version jedoch nicht. Ernst habe sich vielmehr | |
seit der Bürgerversammlung in einen Hass auf den CDU-Politiker gesteigert. | |
Spätestens nach der Silvesternacht in Köln 2016, als es zu Übergriffen von | |
Migranten auf Frauen kam, und dem islamistischen Anschlag in Nizza im | |
gleichen Jahr habe er den Entschluss gefasst, Lübcke zu töten – als | |
„öffentlich beachtetes Fanal gegen die von ihm abgelehnte gegenwärtige | |
staatliche Ordnung“. | |
Wiederholt habe Ernst danach das Wohnhaus von Lübcke ausgespäht. Den Tattag | |
habe er bewusst gewählt, weil dort in Lübckes Wohnort Wolfhagen-Istha die | |
„Weizenkirmes“ stattfand, ein alljährliches Dorffest. So habe Ernst | |
unerkannt bleiben wollen. In der Dunkelheit habe er sich an Lübcke | |
herangeschlichen und ihn aus kurzer Entfernung in den Kopf geschossen. | |
Schon bei den Kirmes in den beiden Vorjahren sei Ernst mit seinem Revolver | |
vor Ort gewesen – sei damals aber noch nicht zur Tat geschritten. | |
Die Ermittler führen gegen Ernst auch seine DNA an, die sich an der | |
Tatwaffe befand. Zudem habe dieser nicht plausibel erklären können, aus | |
welchen Motiven er fälschlich einen Mord auf sich genommen haben will – und | |
warum er nicht schon anfangs erklärte, dass die Tat angeblich ein Versehen | |
war. | |
## Auch Mitbeschuldigter angeklagt | |
Markus H., den Ernst als wahren Mörder beschuldigt, wird von der | |
Bundesanwaltschaft dennoch mitangeklagt – wegen Beihilfe zum Mord. Er soll | |
Ernst mit zu Schießtrainings in Schützenvereinen und Wäldern genommen und | |
ihn so in seinem Mordplan bestärkt haben. Gemeinsam hatten beide auch | |
rechte Demonstrationen besucht, etwa einen Großaufmarsch 2018 in Chemnitz. | |
Markus H. habe Ernst damit „Zuspruch und Sicherheit“ für dessen Tat | |
vermittelt, so die Anklage. In die konkreten Mordpläne sei er zwar nicht | |
eingeweiht gewesen. Er habe es aber ab spätestens Juli 2016 für möglich | |
gehalten, dass Ernst einen Politiker töten würde – und dies „billigend in | |
Kauf genommen“. | |
In einem getrennten Verfahren wird dagegen weiter gegen den Trödelhändler | |
Elmar J. ermittelt, der Ernst 2016 die Tatwaffe, einen Rossi-Revolver, für | |
1.100 Euro verkauft haben soll. Ursprünglich hatte die Bundesanwaltschaft | |
auch ihm Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Dieser Vorwurf ließ sich aber nicht | |
aufrechterhalten. | |
Stephan Ernst wirf die Bundesanwaltschaft zudem noch eine weitere Tat vor, | |
einen versuchten Mord: Bereits im Januar 2016 soll er in seinem Wohnort | |
Kassel-Lohfelden einen irakischen Asylsuchenden angegriffen haben – vor der | |
Erstaufnahmestelle, über die Lübcke damals informiert hatte und in deren | |
Nähe Ernst wohnt. Mit einem Fahrrad sei er von hinten an den 22-Jährigen | |
Iraker herangefahren und habe eine Parole mit dem Wort „Deutschland“ | |
gerufen, heißt es in der Anklage. Der Iraker habe den Zuruf nicht | |
verstanden und wollte Ernst passieren lassen. Daraufhin habe ihm dieser | |
unvermittelt von hinten mit einem Messer in den Rücken gestochen. Das Opfer | |
erlitt Verletzungen des Brustwirbels und Rückenmarks, zwei Nervenstränge | |
wurden durchtrennt. | |
[4][Nach taz-Informationen soll eine DNA-Spur an einem Messer aus Ernst' | |
Haushalt ihn überführt haben]. Auch bei dieser Tat sei es Ernst darum | |
gegangen, „seinen rechtsextremistischen Hass auf Flüchtlinge auszuleben“, | |
hält die Anklage fest. Mit der willkürlichen Opferauswahl habe er Angst | |
unter Migranten verbreiten wollen. | |
## Immer wieder schwere Gewalttaten | |
Schon seit Anfang der neunziger Jahre war Ernst mit schweren rechtsextremen | |
Gewalttaten aufgefallen. Er legte in einem von Deutschtürken bewohnten Haus | |
Feuer, vor einer Asylunterkunft versuchte er eine Rohrbombe zu zünden, | |
einen Migranten stach er in einer öffentlichen Toilette mit einem Messer | |
nieder. In Kassel bewegte sich Ernst im Kameradschaftsmilieu, | |
zwischenzeitlich auch in der NPD. Laut Ermittlern legte er zwischen 2001 | |
und 2007 auch Feindeslisten mit gut 60 Personen und Objekten im Raum Kassel | |
an, darunter etwa die städtische jüdische Synagoge. | |
Zuletzt aber war Ernst vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwunden, weil | |
er sich ab 2009 vermeintlich aus der Szene zurückzog. Offensichtlich war | |
Ernst aber spätestens seit 2015 wieder politisch aktiv. Auch bei der | |
Bürgerversammlung von Lübcke in Kassel-Lohfelden war er anwesend, ebenso | |
wie Markus H., der einen Videoausschnitt des CDU-Mannes mit seinem | |
bekannten Ausspruch gegen die Flüchtlinsgegner ins Internet stellte. | |
Der Anwalt von Stephan Ernst wollte sich nicht zur Anklage äußern. Gegen | |
Ernst und die anderen beiden Männer soll nun vor dem Oberlandesgericht | |
Frankfurt am Main verhandelt werden. Dort wird geprüft, ob die Anklage | |
zugelassen wird. Der Prozess könnte in mehreren Wochen beginnen. | |
29 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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