# taz.de -- Mordfall Walter Lübcke: Ein Geständnis und eine Zäsur | |
> Stephan Ernst gesteht: Er habe den CDU-Politiker Lübcke ermordet, er | |
> allein. Die Ermittler prüfen dennoch seine Umgebung. | |
Bild: Der Generalbundesanwalt und der Innenminister: Peter Frank und Horst Seeh… | |
BERLIN/WIESBADEN taz | Es ist kurz nach 11 Uhr am Mittwoch, als | |
Generalbundesanwalt Peter Frank im Bundestag vor die Kameras tritt. Gerade | |
tagte dort der Innenausschuss zu einer Sondersitzung hinter verschlossenen | |
Türen zum Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke. Nun bestätigt Frank, | |
dass der Tatverdächtige [1][ein Geständnis abgelegt habe]. „Er hat | |
angegeben, die Tat, den Mord, an Herrn Lübcke alleine vorbereitet und | |
alleine durchgeführt zu haben.“ Trotzdem werde man weiter ermitteln, ob es | |
Unterstützer oder Mittäter gab, womöglich gar eine Terrorgruppe, bekräftigt | |
Frank. Dann tritt er ab. | |
Ein Geständnis – es ist ein Durchbruch für die Ermittler. Nun aber ist | |
damit auch klar: [2][Die Ermordung von Walter Lübcke] war tatsächlich ein | |
politisches Attentat, der erste rechtsextreme Mord an einem Politiker seit | |
1945. Es ist eine Zäsur. Eine, die auch den Tatverdächtigen zur Person der | |
Zeitgeschichte macht: Stephan Ernst. | |
Jener Stephan Ernst – ein 45-jähriger Kasseler, der von 1989 bis 2009 mit | |
schweren rechtsextremen Gewalttaten auffiel – soll in der Nacht zum 2. Juni | |
Walter Lübcke, den Kasseler Regierungspräsidenten und CDU-Politiker, mit | |
einem Kopfschuss vor dessen Haus in Wolfhagen-Istha ermordet haben. Wegen | |
eines Hautpartikels von ihm auf der Kleidung von Lübcke hatte die Polizei | |
Ernst vor anderthalb Wochen festgenommen. Die Bundesanwaltschaft übernahm | |
darauf die Tat – und erklärte diese für rechtsextremistisch motiviert. | |
Indes: Stephan Ernst hatte bisher zu den Vorwürfen geschwiegen. Zuletzt | |
soll er laut Spiegel noch Arbeitskollegen um ein Alibi für die Tatnacht | |
gebeten haben – seine Ehefrau hatte Ermittlern gesagt, sie wisse nicht, wo | |
Ernst in der Tatnacht war. Am Dienstag aber, so heißt es in | |
Sicherheitskreisen, bat er plötzlich um ein Gespräch mit der Polizei – und | |
gestand dort die Tat. Er habe Lübcke wegen dessen Äußerung auf einer | |
Bürgerversammlung 2015 getötet, soll Ernst gesagt habe. Und er habe allein | |
gehandelt. | |
Lübcke hatte sich auf der damaligen Bürgerversammlung offensiv für die | |
Aufnahme von Geflüchteten ausgesprochen. Wer für diese Werte nicht | |
eintrete, „der kann jederzeit dieses Land verlassen“, sagte er damals. Ein | |
Video dieses Auftritts verbreitete sich in der rechtsextremen Szene, Lübcke | |
wurde schon damals massiv bedroht. Im Frühjahr 2019 tauchte das Video | |
plötzlich wieder in rechten Blogs auf. | |
## Wer saß im zweiten Wagen? | |
Die Bürgerversammlung fand damals in Kassel-Lohfelden statt – dem Wohnort | |
von Stephan Ernst. Nach taz-Informationen ist inzwischen klar, dass Ernst | |
damals auch selbst vor Ort war. Aber Fragen bleiben: Warum verübte er die | |
Tat ausgerechnet jetzt? Wo ist die Tatwaffe? Und war er wirklich allein? | |
Es gibt eine Zeugenaussage, die hieran Zweifel säht. Ein Nachbar Lübckes | |
beschrieb zwei Autos, die in der Tatnacht vom Tatort davonrasten. Eines | |
beschrieb er als VW Caddy – genau diesen fährt Ernst. Wenn die Aussage | |
stimmt: Wer saß im zweiten Wagen? | |
Und die Ermittler prüfen auch, ob Ernst nicht doch noch [3][Kontakte in die | |
rechtsextreme Szene] hielt. Kasseler Neonazis hatten sich zuletzt mit Ernst | |
solidarisiert, einer sagte, er sei „einer der besten Kameraden gewesen“. | |
Zudem hatte Ernst früher Kontakt zu dem hessischen Neonazi Stanley R. – den | |
Sicherheitsbehörden für den Deutschlandchef des Neonazi-Netzwerks Combat 18 | |
halten. | |
Im Innenausschuss des Bundestags – und in einem parallel tagenden Ausschuss | |
in Hessen – beteuern die Behörden am Mittwoch indes erneut, Ernst sei seit | |
2009 nicht mehr auffällig gewesen. 37 Einträge in das polizeiliche | |
Informationssystem habe es zuvor gegeben. Ab 2009 aber sei Ruhe gewesen. | |
Auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz habe dieser keine Personenakte | |
mehr gehabt. Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang fühlt sich dennoch | |
bemüßigt zu betonen, dass Ernst auch kein V-Mann gewesen sei. | |
Tatsächlich schilderten Nachbarn und Bekannte Ernst als zuletzt | |
unauffällig. Arbeit bei einem Kasseler Bahntechnikhersteller, zwei Kinder | |
im Teenager-Alter, Bogenschütze im Schützenverein. Offenbar aber gab es ein | |
Parallelleben: Laut Spiegel soll Ernst eingeräumt haben, unter dem Alias | |
„Game Over“ im Internet geschrieben zu haben. Ein Kommentar lautete da: | |
„Entweder diese Regierung dankt in Kürze ab oder es wird Tote geben.“ | |
## Kontakte zu Combat 18? | |
Und Kontakte zu Combat 18? Die Sicherheitsbehörden beteuern auch hier am | |
Mittwoch: Dass Ernst bei der Gruppe mitwirkte, sei bisher nicht | |
nachgewiesen. Offensiv aber verneinen sie, dass Ernst noch im März bei | |
einem Combat-18-Treffen im sächsischen Mücka anwesend war. Fotos, auf denen | |
der Kasseler dort zu sehen sein soll, hatten für Aufsehen gesorgt. | |
Inzwischen aber sei belegt, dass der Abgebildete Karsten H. sei, ein | |
Neonazi aus dem Umfeld der Dortmunder Rechtsrockband Oidoxie, so die | |
Behörden. Der Mann habe sich auch selbst bei der Polizei gemeldet. | |
Dennoch gerät Combat 18 nun ins Visier. Generalbundesanwalt Frank | |
versichert im Innenausschuss, Kontakte zu der Gruppe würden weiter geprüft. | |
Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geht noch einen Schritt | |
weiter: Im Innenausschuss bestätigt er, dass derzeit ein Verbot von Combat | |
18 geprüft werde. | |
Es ist auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der am Mittwoch | |
nun Härte einfordert: „Das Machtmonopol des Staates ist dazu da, dass es | |
auch angewandt wird. Konsequent und durchschlagend.“ Man habe es mit „einem | |
erschreckenden Ausmaß an rechtsextremistischer Gewalt zu tun“. | |
Thomas Beck, leitender Terrorermittler der Bundesanwaltschaft, kündigt in | |
Wiesbaden genau das: Es gebe nun eine „Abklärung auf breitester Front“ | |
gegen die rechtsextreme Szene. Die Sonderkommission zu Lübcke sei auf 80 | |
Ermittler aufgestockt worden, geprüft würden auch Bezüge zum NSU, explizit | |
auch zu den Morden der Terrorgruppe 2006 in Kassel und Dortmund. | |
## Für 120 Jahre als geheim eingestuft | |
Zuletzt waren die Sicherheitsbehörden unter Druck geraten: Hätten sie | |
Stephan Ernst nicht doch im Blick behalten müssen? Als „völlig | |
unverständlich“ kritisiert die SPD-Innenpolitikerin Nany Faeser, dass der | |
Rechtsextreme trotz seines Vorstrafenregisters aus dem Fokus der Behörden | |
geraten sei. Auch im Bundestag werden dazu parteiübergreifend kritische | |
Fragen gestellt. | |
Viel diskutiert war auch ein Report des hessischen Verfassungsschutzes zum | |
NSU-Komplex, der für 120 Jahre als geheim eingestuft war. Erst jetzt wurde | |
bekannt, dass bereits im April eine Neubewertung erfolgte: Der Bericht gilt | |
„nur“ noch 40 Jahre, bis 2044, als „geheim“. Dieser und auch die Akte d… | |
hessischen Verfassungsschutzes über Ernst seien den Ermittlern und dem | |
Parlamentarischen Kontrollgremium zugänglich, versichert Hessens | |
Innenminister Peter Beuth (CDU). Die Opposition übt dennoch Kritik: So | |
dürfe man sich bei der Lektüre des umfangreichen Berichts keine Notizen | |
machen und Erkenntnisse weder mit MitarbeiterInnen noch mit der | |
Öffentlichkeit teilen. | |
Im Fall Stephan Ernst aber versprechen die Behörden, dass die Ermittlungen | |
auch nach dem Geständnis keinesfalls abgeschlossen seien. Terrorermittler | |
Beck bekräftigt: „Jetzt geht es erst richtig los.“ | |
26 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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