# taz.de -- Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Noch schweigt der Angeklagte | |
> Der Prozess gegen den Syrer, der mutmaßlich für Assad folterte, geht | |
> weiter. Seine angekündigte Aussage machte der Angeklagte am Mittwoch | |
> nicht. | |
Bild: Angeklagt unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Anwar … | |
KOBLENZ taz | Da hat Rechtsanwalt Michael Böcker zu viel versprochen. Bei | |
Prozessbeginn hatte der Verteidiger erklärt, es werde vielleicht am dritten | |
Prozesstag schon eine schriftliche Erklärung seines Mandanten geben. Dieser | |
werde sich auch zur Anklage äußern. Und die hat es in sich. | |
Böcker vertritt den Syrer Anwar R., dem die Bundesanwaltschaft Verbrechen | |
gegen die Menschlichkeit, 58fachen Mord, Folter im mindestens 4.000 Fällen, | |
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung vorwirft. R. soll die | |
Ermittlungsabteilung samt einem Foltergefängnis des Allgemeinen Syrischen | |
Geheimdienstes geleitet haben, beides Teil der berüchtigten Abteilung 251. | |
Seit letzter Woche steht er in Koblenz vor dem Oberlandesgericht. Weltweit | |
zum ersten Mal muss sich [1][ein mutmaßlicher Folterknecht des | |
Assad-Regimes vor Gericht verantworten]. | |
R.s Erklärung aber lässt auf sich warten. Das Gericht hat unterdessen die | |
ersten ZeugInnen gehört – am Mittwoch Beamtinnen des Bundesamts für | |
Migration und Flüchtlinge und des Auswärtigen Amts. Sie machten klar, dass | |
R. im Juli 2014 nach Deutschland einreiste – als Teil eines | |
Aufnahmeprogramms für 5.000 besonders schutzbedürftige syrische | |
Flüchtlinge, das das Bundesinnenministerium 2013 aufgelegt hatte. R., so | |
hieß es, sei „aus politischen Gründen“ nach Deutschland geholt worden. Der | |
Grund: eine Empfehlung von Riad Seif, einem langjährigen syrischen | |
Oppositionellen. | |
Das Auswärtige Amt bestätigte R. „im Grundsatz“ eine „aktive Rolle“ i… | |
syrischen Opposition. So habe R. Anfang 2014 an den Friedensgesprächen Genf | |
II teilgenommen. Als R. ein knappes Jahr nach seiner Einreise in | |
Deutschland für sich und seine Familie einen Asylantrag stellte, wurde ihm | |
ohne Anhörung Asyl gewährt. Als R. sich Ende 2012 nach Jordanien absetzte, | |
scheint er also eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen zu haben. | |
## Hinweise aus Schweden, Norwegen und Frankreich | |
Die Ermittlungen gegen R. in Deutschland wurden von ihm selbst ausgelöst, | |
hatte zuvor der zuständige Ermittlungsleiter des Bundeskriminalamts | |
ausgesagt. Einmal wurde R. als Zeuge in anderen Ermittlungen befragt, | |
einmal ging er in Berlin, wo er als Flüchtling bis zu seiner Verhaftung | |
lebte, selbst zur Polizei. R. fühlte sich vom syrischen Geheimdienst | |
verfolgt – und suchte Hilfe. Als er dort den Beamten vorsichtig von seiner | |
Tätigkeit in Damaskus berichtete, sendeten dieses einen Hinweis an das BKA. | |
Dort begann man Informationen über R. zusammenzutragen. Im BKA hatte sich | |
bereits viel Wissen über Syrien angehäuft, seit September 2011 läuft ein | |
sogenanntes Strukturverfahren. Der Ermittlungsleiter fragte beim | |
Bundesnachrichtendienst nach und bei einer NGO namens CIJA, die Dokumente, | |
die Aktivisten aus Syrien herausgeschmuggelt haben, auswertet und | |
archiviert. | |
Er überprüfte die Bilder des ehemaligen syrischen Militärfotografen mit dem | |
Decknamen „Caesar“, der Tausende Fotos von zu Tode gefolterten Gefangenen | |
gemacht hat. Und er suchte nach Zeugen. Eine Aussage zur Abteilung 251, in | |
der der Name R. fiel, lag dem BKA schon vor. Hinweise auf Opferzeugen kamen | |
auch aus Schweden, Norwegen und Frankreich. Insgesamt habe man 70 Zeugen | |
befragt. | |
Der BKA-Mann berichtete auch von Foltermethoden, die er nach Auswertung | |
zahlreicher Opferaussagen für „Standard“ hält. Das sogenannte „Falaka“ | |
gehört dazu, Schläge auf die besonders empfindlichen Fußsohlen. „Dulab“, | |
wobei Gefangene in einen Reifen gesteckt und geschlagen werden. | |
Elektroschocks. Das Aufhängen an der Decke, sodass die Fußspitzen gerade | |
den Boden berühren. Inhaftierte, berichtete der BKA-Beamte, wurden so | |
stunden-, manchmal tagelang hängen gelassen- und dabei geschlagen oder auch | |
mit Zigaretten verbrannt. | |
Ähnliches sagte auch Laura Thurmann, eine Ethnologin, die kurz beim | |
Phänomenbereich Syrien des BKA gearbeitet hat und im Auftrag der | |
Bundesanwaltschaft ein Gutachten über die [2][Situation in Syrien] | |
2011/2012 erstellt hat. Im März 2011 begannen die Proteste gegen das Regime | |
von Baschar al-Assad und dessen brutale Versuche, diese zu unterdrücken. | |
Kurz vor Weihnachten 2012 setzte R. sich aus Syrien ab. | |
Der Prozess wird am 18. Mai fortgesetzt. Dann wird Verteidiger Böcker | |
wahrscheinlich auch die Erklärung R.s verlesen. | |
29 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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