| # taz.de -- Staatsfolter in Syrien vor Gericht: Deutsche Justiz als Vorreiter | |
| > Es ist der deutschen Justiz hoch anzurechnen, dass sie nun Assads | |
| > Folterregime anklagt. Es zeigt, Syriens Verbrechen müssen nicht straflos | |
| > bleiben. | |
| Bild: Angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Eyad A. vor Gericht … | |
| Die historische Tragweite ist kaum zu überschätzen: Vor dem | |
| Oberlandesgericht Koblenz beginnt heute der [1][weltweit erste Prozess | |
| wegen Staatsfolter in Syrien]. Und am Freitag beginnt vor dem | |
| Oberlandesgericht Frankfurt der erste Prozess wegen Völkermordes an den | |
| Jesiden gegen einen irakischen Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS). Das | |
| zeitliche Zusammentreffen ist Zufall – nicht aber, dass die deutsche Justiz | |
| jetzt internationales Vorbild wird. | |
| Von der Vorreiterrolle Deutschlands als Aufklärer des Terrors führt ein | |
| direkter Weg zurück zur Vorreiterrolle Deutschlands als Aufnahmeland für | |
| Flüchtlinge vor fünf Jahren. Der Koblenzer Hauptangeklagte Anwar Raslan, | |
| der für den Foltertod Dutzender Häftlinge in einem von ihm geleiteten | |
| Verhörzentrum des syrischen Geheimdienstes in Damaskus verantwortlich | |
| gemacht wird, kam als Flüchtling nach Deutschland. Der Frankfurter | |
| Angeklagte, Ehemann einer deutschen IS-Kämpferin, wurde 2019 als Flüchtling | |
| in Griechenland festgenommen. | |
| Mit diesem Prozess betritt das noch wenig getestete [2][deutsche | |
| Völkerstrafrecht] Neuland. Der erste Völkerstrafrechtsprozess, gegen den in | |
| Deutschland lebenden politischen Führer der im Kongo kämpfenden ruandischen | |
| Miliz FDLR und seinen Stellvertreter, endete vor ziemlich genau einem Jahr | |
| abrupt [3][mit dem Tod des Hauptangeklagten Ignace Murwanashyaka] noch | |
| bevor ein rechtskräftiges Urteil vorlag. Murwanashyakas erstinstanzliche | |
| Verurteilung in Stuttgart im Jahr 2015 als Rädelsführer einer | |
| terroristischen Vereinigung – der aber zugleich lediglich Beihilfe zu den | |
| Verbrechen seiner Untergebenen geleistet habe -, war 2018 vom | |
| Bundesgerichtshof kassiert worden. Zur nächsten Etappe kam es nicht mehr. | |
| So wartet Deutschland immer noch auf das erste endgültige | |
| Völkerstrafrechtsurteil gegen einen mutmaßlichen Verantwortlichen für | |
| schwerste Menschheitsverbrechen – es hat lediglich Urteile gegen einfache | |
| Kämpfer gegeben. | |
| Denn noch nie wurde unter dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch VStGB ein | |
| mutmaßlicher Verantwortlicher für Verbrechen eines anderen Staates | |
| angeklagt. Es ist der deutschen Justiz hoch anzurechnen, dass sie diesen | |
| Schritt wagt. Zwar ist der Angeklagte kein Vertreter des syrischen Staates | |
| mehr, er desertierte 2012. Aber es läuft gleichzeitig ein Haftbefehl des | |
| Bundesgerichtshofs gegen den Chef des syrischen Luftwaffengeheimdiensts. | |
| Grundlage dafür ist die Auswertung der „Caesar-Dateien“ mit Zehntausenden | |
| Fotos von tausenden Leichen der Opfer staatlicher Folter in Syrien, die ein | |
| Militärfotograf außer Landes geschmuggelt hat. Auch einige der mutmaßlichen | |
| Opfer Raslans sind den Ermittlungen zufolge auf diesen Bildern. | |
| Natürlich wird in diesem Prozess alles erst einmal grundsätzlich | |
| angezweifelt werden, es gilt schließlich die Unschuldsvermutung. Sind die | |
| Bilder echt? Was ist darauf tatsächlich zu sehen? Sind die zu befragenden | |
| Zeugen glaubwürdig? Sind ihre Aussagen überprüfbar? Selbst wenn einzelne | |
| Verbrechen endgültig bewiesen sind, ist der Angeklagte strafrechtlich | |
| tatsächlich verantwortlich dafür? Gerade letztere Frage, die für eine | |
| Veurteilung zwingend ist, lässt sich in einer straffen Diktatur wie der | |
| Assads nicht leicht beantworten. Aber auch sonst steht dieser Prozess unter | |
| einer schweren Hypothek. Das Assad-Regime ist schließlich weiterhin im Amt, | |
| seine Staatsbürger haben auch auf der Flucht noch Angst vor ihm und | |
| Ermittlungen vor Ort sind ausgeschlossen. Das war schon beim FDLR-Prozess | |
| ein Problem, aber die Bedrohung aus Syrien ist ungleich größer. | |
| Dennoch ist das wichtigste erstmal, dass dieser Prozess überhaupt | |
| stattfindet. Er sendet ein kräftiges Signal in die Welt aus, dass Syriens | |
| Verbrechen nicht straflos bleiben müssen. Viele in Deutschland – | |
| insbesondere bei Linkspartei und AfD – meinen, Syriens Assad-Regime müsse | |
| ein Partner sein, und wenn doch bloß die Islamisten besiegt wären, würde | |
| Frieden in Syrien herrschen und die Flüchtlinge könnten zurückkehren. | |
| Dieser Prozess erinnert uns daran, dass das Gegenteil der Fall ist. Das | |
| Assad-Regime ist ein Verbrecherregime. Seine Vertreter gehören vor Gericht. | |
| Erst sein Ende wird Syrien Frieden bringen. | |
| 23 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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