Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Prozess gegen syrischen Folterer: Eine Annäherung an Gerechtigkeit
> Mohammed A. ist in den Folterkellern des Assad-Regimes misshandelt
> worden. Nun steht einer seiner Peiniger in Koblenz vor Gericht.
Bild: Die Fotos in einer Ausstellung in Washington dokumentieren die Verbrechen…
Mohammed A. ist gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden. Er ist oft
dort, wegen seiner Herzprobleme. Auch zum Psychologen geht er, weil er
nicht schlafen kann. Nachts liegt er wach, wenn ihn die Erinnerung quält
oder ein schwerer Migräneanfall. Und weil die Nerven seiner rechten Hand
stark beschädigt sind, ist er auch in neurologischer Behandlung. Mohammed
A. lebt seit 2014 in den Niederlanden, westlich von Amsterdam, aber ein
Neustart mit seiner Frau und den beiden Kindern fällt dem 41-Jährigen
schwer. Was er im Gefängnis des syrischen Geheimdienstes erlebt hat, kann
er nicht hinter sich lassen.
Als sich im März 2011 die Menschen in Syrien erstmals auf die Straße
trauen, um gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu protestieren,
ist Mohammed A. dabei. In seiner Heimat Harasta, einem Vorort von Damaskus,
organisiert er die Proteste mit, filmt sie und lädt die Videos auf
Facebook und YouTube hoch. In vielen syrischen Orten gehen die Menschen
damals demonstrieren, sie fordern Freiheit und Würde, ein Ende von
Korruption und Vetternwirtschaft. Das Regime versucht, die Revolution mit
Gewalt niederzuschlagen, Oppositionelle und Aktivisten werden verfolgt,
Geheimdienste und Militär gehen immer brutaler gegen sie vor.
Am 14. Oktober 2011 wird Mohammed A. bei der wöchentlichen
Freitagsdemonstration in Harasta verhaftet und in ein Gefängnis mit
Ermittlungsabteilung im Zentrum von Damaskus gebracht. Zwei Wohngebäude,
kaum zu unterscheiden von den Häusern der Nachbarschaft, allerdings mit
Wachen vor der Tür. Sie gehören zu der berüchtigten Abteilung 251 des
Allgemeinen Geheimdienstes, die für die innere Sicherheit der Hauptstadt
und des Umlands zuständig ist.
## Die Folterzellen im Keller
Im Keller der beiden Häuser liegen die Zellen. Auf fünf mal fünf Metern
sind 80 bis 120 Menschen zusammengepfercht, sie können kaum atmen, nicht
sitzen, nicht liegen, nur stehen. Mohammed A. wird an den Händen an der
Decke aufgehängt, so dass nur seine Zehenspitzen den Boden berühren. Er
wird mit Plastikrohren, Stöcken, Lederriemen geschlagen, überall hin.
Stromstöße werden durch seinen Körper gejagt. Und wenn er ohnmächtig wird
oder einschläft, übergießt man ihn mit kaltem Wasser. Tagelang. So erzählt
er es vergangene Woche im Gespräch mit der taz.
Mehr als drei Monate dauert sein Martyrium. Bei den Verhören habe häufig
ein Mann die Befehle gegeben: Oberst Anwar R., der die Unterabteilung für
„Ermittlungen“ leitet. „Anwar R. war kein kleiner Kommandant, er war der
Chef“, sagt Mohammed A.
## Sehnsucht nach Gerechtigkeit
Bald wird er seinen Peiniger wiedersehen. Auf der Anklagebank im Saal 128
des Oberlandesgerichts in Koblenz. Hier wird am kommenden Donnerstag der
Prozess gegen Anwar R. und einen Mitangeklagten eröffnet. Die Vorwürfe:
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 58-facher Mord und Folter in
mindestens 4.000 Fällen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Es ist ein
weltweit bislang einzigartiges Verfahren: Erstmals müssen sich Assads
Folterknechte für ihre Taten vor Gericht verantworten.
„Ein Strafverfahren kann natürlich nichts richten bei einem Verbrechen von
solcher Dimension“, sagt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European
Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin, das sich seit
vielen Jahren dafür einsetzt, dass die Verantwortlichen für Folter und
Kriegsverbrechen nicht ungestraft davonkommen. „Es ist zu groß, zu
schwerwiegend. Aber der Prozess ist ein erster Schritt, eine Annäherung an
Gerechtigkeit.“
„Anwar R. hinter Gittern zu sehen, gibt den Opfern ein Gefühl von
Gerechtigkeit“, sagt Mohammed A. Er hat zu diesem Prozess nicht nur durch
seine Zeugenaussage beigetragen, er ist auch Nebenkläger.
Der Prozess ist möglich, weil seit 2002 im deutschen Völkerstrafgesetzbuch
das Weltrechtsprinzip verankert ist. Seitdem kann die hiesige Justiz
Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann verfolgen, wenn weder Täter
noch Opfer Deutsche sind. Der Prozess soll den Opfern Gerechtigkeit
bringen. Er soll aber auch ein Zeichen an Diktatoren wie Assad senden: Dass
der deutsche Rechtsstaat zu handeln bereit ist und Taten geahndet werden.
„Kein sicherer Hafen für Kriegsverbrecher und Völkermörder, keine
Straffreiheit“, so lautet das Credo der zuständigen Ermittler. „Der
Generalbundesanwalt leistet da verdienstvolle Arbeit“, lobt Kaleck, der
früher mit Deutschlands oberstem Ankläger häufig über Kreuz lag.
Die Arbeit von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) hat sich in
Sachen Völkerstrafrecht in den vergangenen Jahren stark verändert. Die
zuständigen Bereiche in beiden Behörden wurden aufgestockt. Bereits seit
2011 ermittelt das BKA im Auftrag der Bundesanwaltschaft in einem
sogenannten Strukturverfahren zu Syrien, eine Art Vorermittlung gegen
unbekannt – und hat immenses Wissen zusammengetragen.
## Personenbezogene Untersuchungen
Inzwischen gibt es auch personenbezogene Untersuchungen. Seit 2014 sind
rund 20 Ermittlungsverfahren gegen ehemalige syrische Regimefunktionäre
eingeleitet worden. Der bekannteste Fall: Jamil Hassan, der ehemalige
Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, gegen den der
Bundesgerichtshof 2018 einen internationalen Haftbefehl erlassen hat.
Laut Anklage hatte Anwar R. als Leiter der Ermittlungseinheit in der
Abteilung 251 Befehlsgewalt über die Vernehmungsbeamten und das
Gefängnispersonal. Vom 29. April 2011 bis zum 7. September 2012 seien
mindestens 4.000 Häftlinge der Abteilung 251 gefoltert worden, Verhöre ohne
Misshandlungen gab es praktisch nicht. Die Anklage führt unter anderem
Schläge auf die Fußsohlen auf, Elektroschocks und eine Methode namens
„Dulab“, bei der die Häftlinge in einen Autoreifen gezwängt und geschlagen
werden.
Zumindest in jeweils einem Fall sei es auch zu einer Vergewaltigung und
einer schweren sexuellen Nötigung gekommen. Den Inhaftierten, so die
Anklage weiter, wurde zudem angedroht, nahe Angehörige zu misshandeln. So
sollten Geständnisse erzwungen und Informationen über die
Oppositionsbewegung gewonnen werden.
Mindestens 58 Menschen seien infolge der Folter gestorben. Anwar R., so die
Anklage, habe seine Beamten eingeteilt und ihre Arbeit, auch den Einsatz
von systematischen Folterungen, überwacht und bestimmt. Er habe gewusst,
dass Häftlinge aufgrund der massiven Gewalt starben.
Nach Informationen der taz stützt sich die Anklage auf die Aussagen von
etwa 80 Zeugen, 24 von ihnen sind selbst Opfer von Folter. Sie leben in
verschiedenen europäischen Ländern, viele von ihnen werden im Prozess
aussagen, manche aus Angst vor Repressionen anonym. Was sie berichten
werden, ist schmerzhaft – auch deshalb, weil sie indirekt beschreiben, was
in Syrien weiterhin passiert. Mindestens 90.000 Regimegegner sind laut
Menschenrechtsorganisationen noch immer in Haft, werden gefoltert, gequält
und nicht gehört. Mohammed A. will ihnen eine Stimme geben. „Ich spreche im
Namen aller, die noch im Gefängnis sitzen, die verschwunden oder tot sind.“
## Beweise wurde aus Syrien geschmuggelt
Hinzu kommen die sogenannten Caesar-Files, mehr als 50.000 Fotos, die der
ehemalige syrische Militärfotograf mit dem Decknamen Caesar von mindestens
6.786 getöteten Gefangenen gemacht und aus Syrien herausgeschleust hat. Das
BKA hat einen Teil der Fotos forensisch ausgewertet. In Koblenz werden sie
erstmals als Beweise vor Gericht eingesetzt.
„Unglaublich dicht“, sei die Beweislage, sagt Wolfgang Kaleck. Das ECCHR
arbeitet seit Jahren mit syrischen Anwälten, Zeugen und Überlebenden
zusammen und hat seit 2016 mehrere Strafanzeigen wegen Folter gestellt –
nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, Schweden und
Norwegen. Federführend war dabei der Berliner Anwalt Patrick Kroker, der in
dem Prozess gemeinsam mit einem Kollegen sechs Nebenkläger vertritt.
Kroker rechnet mit einem langen, womöglich mehrjährigen Prozess – wegen der
Schwere der Anklage und der Anzahl der Zeugen. Seinen Mandanten gehe es
nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit, betont Kroker. „Die unglaublich
große Straflosigkeit für alle möglichen Völkerrechtsverbrechen in Syrien
beginnt jetzt zumindest mit Bezug auf die systematische Folter zu
bröckeln.“
Anwar R. hat Syrien im Winter 2012 verlassen und will zur Opposition
übergelaufen sein. Diese schickte ihn Anfang 2014 sogar zu den
UN-Verhandlungen in Genf. Im Sommer 2014 reiste Anwar R. als Flüchtling
nach Deutschland ein. Bei seiner Anhörung soll er ausgesagt haben, er sei
desertiert. Am 12. Februar vergangenen Jahres wurde Anwar R. in Berlin
festgenommen. Sein Verteidiger, der Berliner Rechtsanwalt Michael Böcker,
will sich nicht zur Prozessstrategie äußern. „Wir wollen der
Hauptverhandlung nicht vorgreifen.“
Für Wolfgang Kaleck vom ECCHR ist letztlich nicht entscheidend, ob Anwar
R. sich geändert hat. „Das entlastet ihn ja nicht von dem Vorwurf, für den
Tod von 58 Menschen verantwortlich zu sein.“ Mohammed A. glaubt nicht an
die Wandlung seines Peinigers. „Sein Desertieren war ein Plan des Regimes,
um die Opposition auszuspionieren“, vermutet er.
Der frühere Aktivist Mohammed A. hat Ende 2012 heimlich die Grenze zur
Türkei überquert und ist 2014 weiter in die Niederlande geflohen. Nach
einem guten Jahr kam die Familie nach. Seine Hoffnung mit Blick auf den
Prozess in Koblenz: „Dass davon eine Botschaft ausgeht an Baschar al-Assad
und die anderen Verantwortlichen, an all die Kriegsverbrecher: Ihr werdet
zur Rechenschaft gezogen. Egal wie lange es dauert.“
19 Apr 2020
## AUTOREN
Kristin Helberg
Sabine am Orde
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Baschar al-Assad
Folter
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Syrien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Staatsfolter in Syrien vor Gericht: Deutsche Justiz als Vorreiter
Es ist der deutschen Justiz hoch anzurechnen, dass sie nun Assads
Folterregime anklagt. Es zeigt, Syriens Verbrechen müssen nicht straflos
bleiben.
Debatte der Innenminister: Doch abschieben nach Syrien?
Die Innenminister wollen Straftäter nach Syrien abschieben. Das wird
vorerst aber nicht passieren. Die Empörung ist dennoch groß.
AfD-Reise nach Syrien: Alles ganz supi hier
In Assads Syrien scheint sich die AfD sichtlich wohlzufühlen. Weil sich
Antidemokraten und Autoritäre so gut verstehen?
Kriegsverbrechen in Syrien: Anklage wegen Folter
Die Bundesanwaltschaft hat zwei Syrer wegen Menschenrechtsverletzungen
angeklagt. Einer von ihnen leitete im Bürgerkriegsland wohl ein
Foltergefängnis.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.