| # taz.de -- Corona-Hilfen in NRW: Kultur gegen Laschet | |
| > SchriftstellerInnen, KünstlerInnen, MusikerInnen kritisieren den | |
| > „Soforthilfetopf für Kulturschaffende“ in Nordrhein-Westfalen als | |
| > mangelhaft. | |
| Bild: Die Kölner Kulturschaffende Meryem Erkus | |
| Das hat sich Armin Laschet wohl anders vorgestellt: Galt der | |
| Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslands Nordrhein-Westfalen | |
| lange Zeit als federführend, was zielgerichtete Maßnahmen anging, verliert | |
| er mittlerweile an Boden, Zustimmung und Rückhalt. Die Stimmen werden | |
| lauter, die Laschet vorwerfen, weniger Politik für die Bürger zu machen, | |
| als sich für die Nachfolge Merkels ins Spiel bringen zu wollen. | |
| Bemerkbar ist der des Öfteren geäußerte Zweifel an dem Krisenmanagement des | |
| CDU-Politikers auch in einem [1][„offenen Brief der Kulturschaffenden in | |
| NRW“] an die Landesregierung. Die „Kulturschaffenden“ werden im Regen | |
| stehen gelassen, heißt es darin. Konkret verweisen SchriftstellerInnen, | |
| bildende KünstlerInnen, MusikerInnen, JournalistInnen und weitere Kreative | |
| auf einen Missstand. Der „Soforthilfetopf für Kulturschaffende“ in | |
| Nordrhein-Westfalen sei zwar begrüßenswert, doch in seiner Gestaltung | |
| mangelhaft. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. | |
| Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) in Düsseldorf erklärt der | |
| taz in einer Mail, dass die Mittel aus dem Topf längst ausgeschöpft seien. | |
| Eingegangen seien inzwischen 17.000 Anträge bei den fünf | |
| Bezirksregierungen, und diese seien dort der Reihenfolge nach geprüft | |
| worden. „Insgesamt konnten 6.300 Anträge geprüft und davon 3.000 Anträge | |
| bewilligt werden.“ | |
| Nur: 3.000 bewilligte Anträge sind eine verhältnismäßig geringe Anzahl – | |
| eingedenk der Tatsache, dass es etwa 200.000 Kulturschaffende in NRW gibt, | |
| von denen 25 Prozent soloselbstständig sind, wie das Ministerium wohl nicht | |
| ohne Stolz in derselben Mail schreibt. | |
| Zu den MitunterzeichnerInnen des offenen Briefs gehört auch Meryem Erkus | |
| aus Köln. Dort ist sie in unterschiedlichen Ecken der Kulturszene bekannt | |
| und aktiv: Erkus betreibt den Kunst- und Kulturraum Gold + Beton am Kölner | |
| Ebertplatz, arbeitet als Bookerin und Mitorganisatorin verschiedener | |
| Konzert- und Club-Reihen und legt selbst als DJ auf. „Als die Coronakrise | |
| ihren Anfang nahm, hatte ich mehrere Projekte geplant, darunter auch | |
| größere. Das fällt nun alles erst mal flach“, erklärt die 35-Jährige ihre | |
| derzeit prekäre Situation. | |
| ## Nicht nachvollziehbar geregelt | |
| Gerade im Bereich der publikumsorientierten Künste, die nicht ohne | |
| Reibungsverluste ins Digitale zu verlagern sind, ist die Belastung sehr | |
| hoch. Erkus selbst lebt momentan noch von Honoraren für vergangene | |
| Veranstaltungen, schon Ende Mai könnte es knapp werden. Für die Kölnerin | |
| ist die Situation mit den Finanzhilfstöpfen nicht nachvollziehbar geregelt | |
| worden: „Während sich in Berlin jeder Soloselbstständige auf 5.000 Euro | |
| bewerben konnte und nahezu alle diesen Betrag ohne Auflagen erhalten haben, | |
| gehen wir in NRW leer aus.“ | |
| Erkus erklärt: Soloselbstständige könnten sich um 9.000 Euro Hilfe | |
| bewerben, die sie aber nur für Betriebskosten ausgeben dürfen. Das | |
| Hilfspaket der Landesregierung komme für keinen der Kultur- und | |
| Kunstschaffenden, die sie kennt, infrage: „Was soll ein DJ für | |
| Betriebskosten haben? Wo soll der*die denn gerade überhaupt auflegen? Es | |
| geht hier erst mal darum, das Leben abzusichern.“ | |
| Das weite Feld „Kultur“ wird zwar von der Politik als wichtig erachtet, | |
| aber man wird manchmal den Eindruck nicht los, dass es eben nicht ganz so | |
| wichtig ist wie die „Wirtschaft“. Noch am Wochenende sagte Kanzlerin Angela | |
| Merkel in ihrem Video-Podcast zwar, Deutschlands Kulturlandschaft müsse | |
| auch nach der Überwindung der Coronapandemie weiter existieren können, und | |
| stellte weitere Finanzhilfen in Aussicht. | |
| Wann sie bei freischaffenden KünstlerInnen ankommen werden, steht auf einem | |
| anderen Blatt. Denn die Kanzlerin sprach von Opern, Theatern und | |
| Konzerthäusern und nicht von Clubs und Kunsträumen. | |
| Hinzu kommt, dass die „Soforthilfe“-Umsetzung von Land zu Land | |
| unterschiedlich ist. Im Stadtstaat Hamburg, der zwar erheblich kleiner ist | |
| als NRW, aber eine ähnlich hohe Dichte an Künstler*innen und | |
| Kulturschaffenden hat, gab es ebenfalls die Forderung nach Soforthilfe. Der | |
| Berufsverband der Bildenden Künstler*innen Hamburg (BKK Hamburg) hielt | |
| einen „monatlichen Grundversorgungsbetrag von 1.200 Euro für elaboriert“. | |
| Der Senat gewährte 2.500 Euro Soforthilfe für betriebliche Kosten und | |
| Einnahmeausfälle, darüber hinaus einen Förderkredit. | |
| Im Freistaat Bayern und seiner Landeshauptstadt München war man großzügiger | |
| und unbürokratischer. Dort beschloss der Ministerrat am 21. April, dass | |
| soloselbstständige Künstlerinnen und Künstler mit „Hauptwohnsitz in Bayern, | |
| die eine Versicherung nach Künstlersozialversicherungsgesetz nachweisen | |
| können“, Anspruch auf 1.000 Euro monatlich erhalten. | |
| Kreativ wurde man in Sachsen. Hier entstand das Programm „Denkzeit“, | |
| welches als Stipendium der Kulturstiftung des Landes je 2.000 Euro als | |
| Hilfe für Künstler*innen vorsieht. Das Programm soll die Künstler*innen | |
| „darin ermutigen, auch in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und | |
| Veranstaltungsverboten an ihrer künstlerischen Arbeit festzuhalten und | |
| individuelle Handlungsansätze für den Umgang mit der Coronakrise zu | |
| entwickeln“. | |
| In Sachsen ist die finanzielle Notlage allein also kein ausreichender Grund | |
| für eine direkte Förderung: ohne Fleiß kein Preis – denn ohne Konzept, wie | |
| man das eigene Schaffen in den digitalen Raum verlegen wird, gibt es auch | |
| keine Soforthilfe. | |
| In NRW verweist das Ministerium in Düsseldorf auch auf die andere | |
| Möglichkeit eines „vereinfachten Zugangs zu Leistungen der Grundsicherung“. | |
| Über den Umweg des Jobcenters, erfährt man auf der Seite der | |
| Arbeitsagentur, soll man durch einen einfachen Antrag „finanzielle Engpässe | |
| überbrücken“ können. Das hören die Unterzeichner*innen des offenen Briefs | |
| aber nur ungern: „Uns nun auf das ALG II zu verweisen ist indiskutabel. Wir | |
| sind nicht arbeitslos!“ | |
| ## Keine Entwertung der eigenen Arbeit | |
| Während Angestellte immerhin Kurzarbeitergeld erhielten, sei für | |
| Künstler*innen nun das Existenzminimum angesagt. Man könnte einwerfen, dass | |
| diese Kritik übers Ziel hinausschießt: Bloß weil das Geld „vom Amt“ stam… | |
| bedeutet dies keine Entwertung der eigenen Arbeit. | |
| In diesem Sinn argumentierte auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters | |
| (CDU) vor zwei Wochen. Sie wies darauf hin, dass die Grundsicherung des | |
| Bundes keineswegs mit dem sogenannten Hartz IV gleichzusetzen sei: Es müsse | |
| sich niemand arbeitssuchend melden. Grütters sprach davon, dass diese | |
| Hilfsmaßnahme „auf üble Weise schlechtgeredet“ werde: Wie solle sie im | |
| Bundestag erreichen, „dass eine Gruppe, für die bereits 156 Milliarden Euro | |
| da sind, noch mehr braucht, weil es ihr unangenehm ist, die vorhandenen | |
| Hilfen in Anspruch zu nehmen?“ | |
| Die Kölnerin Erkus widerspricht: „Wir reden hier über Menschen, die sich | |
| bewusst dafür entschieden haben, die Freiheit des Kunstschaffens den | |
| staatlichen Auffangnetzen vorzuziehen. Kultur entsteht nicht bei einer | |
| Rechenschaftspflicht gegenüber einem Amt oder einer Institution.“ | |
| Erkennt Erkus keinen Widerspruch darin, dass staatliche Förderstrukturen | |
| nicht nur gängig sind, sondern grundlegend für die gesamte Kulturszene in | |
| Deutschland? „Fördergelder beantragt man mit einer Idee und einem Konzept – | |
| und bekommt sie oder eben nicht. Bei der Grundsicherung werde ich aber als | |
| Person, als Mensch, kontrolliert“, antwortet Erkus. | |
| ## Das ist grotesk | |
| Ob die Arbeitsagenturen überhaupt gewappnet sind, eine solche Antragsflut | |
| zu bearbeiten, muss sich ebenfalls noch zeigen. Erkus sieht all das als | |
| paradigmatisch an für den Umgang der Politik mit den Künstler*innen: | |
| „Einerseits schmückt man sich seit Jahren mit der Kulturlandschaft in NRW, | |
| andererseits lässt man viele Tausend Künstler*innen allein. Das ist grotesk | |
| und hat nachhaltig Vertrauen zerstört. Gerade diese Situation lässt viele | |
| Künstler*innen zweimal überlegen, ob sie zum Jobcenter gehen. Es ist sehr | |
| unübersichtlich geworden – zulasten hart arbeitender Kulturschaffender.“ | |
| Meryem Erkus meint damit alle jene, die Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht | |
| benennt, wenn sie ausschließlich von Opern, Theatern und Museen spricht. | |
| Ein Teil der Kultur in Deutschland findet abseits öffentlicher | |
| Institutionen statt. Eine machbare Förderstruktur für diesen Bereich hat | |
| noch keiner präsentiert, auch nicht Armin Laschet. | |
| 12 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.fixpoetry.com/feuilleton/kolumnen/2020/offener-brief-der-kultur… | |
| ## AUTOREN | |
| Lars Fleischmann | |
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