| # taz.de -- Debatte um Achille Mbembe: Zionismus und Universalismus | |
| > Mbembes Fanclub nimmt dessen Ausführungen zu Israel nicht ernst und | |
| > ignoriert den arabisch-islamischen Antisemitismus. Eine Replik. | |
| Bild: Zielscheibe von Neid und Hass: Israel – hier ein Bild aus Tel Aviv wäh… | |
| Die Verteidiger des völlig zu Recht in die Kritik geratenen postkolonialen | |
| Starautors Achille Mbembe verweigern sich weitgehend einer | |
| Auseinandersetzung über dessen Äußerungen zu Israel. Sie verweisen auf | |
| seine akademische Reputation, seine „Gelehrsamkeit“, seine Bekanntheit und | |
| fantasieren über Kritikverbote: Gegen jede Evidenz behaupten [1][Amos | |
| Goldberg und Alon Confino], in Deutschland gelte „jede Kritik an der | |
| israelischen Besatzungspolitik als antisemitisch“. | |
| Es wäre an den Verteidigern von Mbembe zu erklären, inwiefern es sich bei | |
| seinen Äußerungen im Vorwort des 2015 erschienenen Bandes „Apartheid | |
| Israel“ nicht um einen eindeutigen Fall einer den Realitäten im Nahen Osten | |
| spottenden Dämonisierung und Delegitimierung Israels handelt. Mbembe | |
| schreibt, die „Besatzung Palästinas“ sei „der größte moralische Skandal | |
| unserer Zeit“, die israelische „Apartheid“ sei „schlimmer“ und „tö… | |
| als jene des rassistischen Südafrikas, das israelische Vorgehen ziele auf | |
| die „schrittweise Vernichtung“ der Palästinenser und es sei Zeit für eine | |
| „globale Isolation“ Israels. | |
| Wer sich so über die komplexe Situation im Nahen Osten äußert und zudem | |
| bezüglich globaler Herrschaftstechniken in dem Aufsatz „The Society of | |
| Enmity“ ausgerechnet vom „alten Diktum der Vergeltung, des Auge um Auge | |
| oder lex talionis des Alten Testaments“ raunt, befeuert den Hass auf den | |
| jüdischen Staat und nimmt sich selbst aus jeder ernsthaften Diskussion über | |
| Möglichkeiten, wie eine Verbesserung der Situation für alle in der Region | |
| lebenden Menschen erreicht werden kann. | |
| Insofern muss es nicht verwundern, dass fast alle Verteidiger Mbembes seine | |
| an Eindeutigkeit kaum zu überbietenden Formulierungen schlicht ignorieren. | |
| Womöglich drückt sich darin ein Paternalismus durchaus rassistischer | |
| Provenienz aus, bei dem man sich begeistert darüber zeigt, dass „die | |
| Subalternen“ sprechen, die auch von Goldberg und Confino in Übernahme des | |
| postkolonialen Jargons angeführt werden, aber nicht ernst nimmt, was sie | |
| sagen. Es geht bei der Kritik an Mbembe nicht um eine „Hermeneutik des | |
| Verdachts“, wie Aleida Assmann in der Berliner Zeitung insinuiert: Jeder | |
| kann nachlesen, was Mbembe – oder die globale BDS-Kampagne, die Assmann | |
| gleich mit rehabilitieren möchte – zu Israel zu sagen hat. | |
| ## „Nichtweiße“ Juden | |
| Goldberg und Canfino ergänzen die Ignoranz für das von Mbembe Geschriebene | |
| durch eine selektive Darstellung des Konflikts des vorstaatlichen | |
| Zionismus mit der arabischen Nationalbewegung. Sie behaupten, „dass der | |
| Krieg, den die Araber gegen die zionistische Bewegung führten, nicht im | |
| Antisemitismus wurzelte“. | |
| Das lässt sich weder hinsichtlich der pogromartigen Ausschreitungen der | |
| 1920er und 30er Jahre im Mandatsgebiet Palästina aufrechterhalten, bei | |
| denen allerdings nicht „die Araber“, sondern ein Teil der arabischen | |
| Bevölkerung unter Führung des offen mit den Nazis kollaborierenden Mufti | |
| Amin al-Husseini gerade auch die orthodoxen, nicht- oder antizionistischen | |
| jüdischen Gemeinden massakriert hat, noch hinsichtlich der 1928 gegründeten | |
| Muslimbruderschaft. | |
| Der arabische und islamische Antisemitismus war kein Resultat des | |
| Nahostkonflikts, sondern eine seiner zentralen Ursachen. | |
| Auch der Antisemitismus der arabisch-nationalistischen, | |
| marxistisch-leninistischen und islamistischen Feinde des Zionismus in den | |
| 1950er und 60er Jahren, als die Westbank und der Gazastreifen nicht unter | |
| israelischer, sondern unter jordanischer und ägyptischer Herrschaft | |
| standen, ist bei Goldberg und Canfino ebenso wenig Thema wie bei Mbembe. | |
| ## Resultat antiisraelischer Politik | |
| Goldberg und Canfino sprechen von „Segregation und Diskriminierung“ von | |
| Arabern in Israel, blenden aber aus, dass die Politik gegenüber den in | |
| Israel und in den von allen israelischen Regierungen seit 1967 aus gutem | |
| Grund als „umstritten“ bezeichneten Gebieten lebenden Arabern immer auch | |
| eine Reaktion auf das Verhalten der arabischen Bevölkerung und insbesondere | |
| der Politik ihrer Führung war. | |
| „Die Palästinenser“ existieren bei Goldberg und Canfino, ganz wie bei | |
| Mbembe, nur als passive Opfer. Kein Wort von den mannigfachen | |
| Zurückweisungen der diversen Teilungspläne in den letzten 100 Jahren, kein | |
| Wort über die arabischen Angriffskriege, kein Wort über die antijüdische | |
| Dauerpropaganda. Der Antisemitismus auf Seiten der Palästinenser wird als | |
| berechtigte Wut rationalisiert. Auch in „Palästina“ sprechen die | |
| „Subalternen“, werden aber von ihren vermeintlichen Unterstützern nicht | |
| erst genommen. | |
| Beispielsweise, wenn auf palästinensischen Demonstrationen „Die Juden sind | |
| unsere Hunde“ skandiert wird – eine Reklamation des Herrschaftsanspruchs | |
| aus den traditionellen islamischen Gesellschaften über die jüdischen | |
| „Dhimmis“, der bereits lange vor der Entstehung des Zionismus existierte. | |
| Goldberg und Canfino wissen, „warum Juden vor Antisemitismus und | |
| Diskriminierung in Europa flohen“, verlieren aber kein Wort darüber, warum | |
| 900.000 Juden vor Antisemitismus und Diskriminierung aus Marokko, Tunesien, | |
| Algerien, Libyen, Ägypten, Syrien, Irak, Jemen und Iran flohen. Ist das | |
| Ausblenden der Erfahrung der aus den arabischen Ländern und dem Iran | |
| stammenden Juden nicht ein Paradebeispiel für jene „Marginalisierung von | |
| nichtweißen Stimmen“, von der in einem [2][Schreiben] zur Verteidigung | |
| Mbembes die Rede ist, das auch Goldberg und Canfino unterzeichnet haben? | |
| Ist es nicht auffällig, dass mit „nichtweißen Stimmen“ nie jene | |
| „nichtweißen“ Juden in Israel gemeint sind, die gemeinsam mit ihren | |
| Nachkommen den Kern der Stammwählerschaft des Likud stellen? Dass | |
| zahlreiche aus den arabischen Ländern und dem Iran geflohene Juden die | |
| Partei von Benjamin Netanjahu wählen, liegt auch an der Ignoranz gegenüber | |
| dem islamischen und arabischen Antisemitismus in Teilen der israelischen | |
| Linken. | |
| ## Antikolonialer Zionismus | |
| Hinsichtlich des Zionismus lösen Goldberg und Canfino die Dialektik von | |
| ersehntem Universalismus und aufgezwungenem Partikularismus, die sich | |
| gerade in den Schriften des von ihnen als Kronzeuge zitierten | |
| rechtszionistischen Vordenkers Vladimir Jabotinsky findet, in einen | |
| weitgehend abstrakten Universalismus auf. Dieser wird gegen das israelische | |
| Vorgehen in Anschlag gebracht und ist auch für dezidiert antizionistische | |
| Autorinnen wie Judith Butler charakteristisch, auf die Mbembe sich bei | |
| seinen Ausführungen zum Zionismus stützt. | |
| Goldberg und Canfino wollen über die „kolonialen Aspekte“ des Zionismus | |
| sprechen, verschweigen aber, dass „Kolonisierung“ in den frühen | |
| zionistischen Texten schon aufgrund des Fehlens eines „Mutterlandes“ etwas | |
| anderes meint als in den klassischen Ausprägungen des europäischen | |
| Kolonialismus. Und sie ignorieren den antikolonialen Charakter des | |
| Zionismus, der immerhin die Briten aus dem Mandatsgebiet Palästina | |
| gedrängt hat. | |
| Dan Diner hat bereits Ende der 1960er Jahre darauf verwiesen, dass einige | |
| linkszionistische Theoretiker sich auf Frantz Fanon beriefen. Mehrere | |
| antikoloniale Bewegungen in Afrika sahen Israel zeitweise als Vorbild, und | |
| einige von ihnen haben eng mit dem jüdischen Staat kooperiert. Das änderte | |
| sich erst nach den Kriegen von 1967 und 1973 und hatte wenig mit dem Wesen | |
| des Zionismus als vielmehr mit dem Druck der ebenso antisemitischen wie | |
| ölreichen arabischen Regimes zu tun. | |
| Im Jom-Kippur-Krieg bekam Israel einen Eindruck davon, wie es um das | |
| vermeintlich emanzipatorische Potenzial einiger der linken | |
| „Befreiungsbewegungen“ bestellt war: In einer Situation, in der Israel sich | |
| an den Rand einer vernichtenden Niederlage gedrängt sah, schickten | |
| zahlreiche antikoloniale Bewegungen Solidaritätsadressen an die | |
| angreifenden arabischen Staaten. Dass der israelische Staat diese | |
| Bewegungen daraufhin wie Todfeinde behandelt hat, ist nicht sehr | |
| verwunderlich. | |
| Was es heute bräuchte, wäre eine Diskussion über Entstehung und Wirkung des | |
| arabischen und islamischen Antisemitismus und über das Verhältnis von | |
| Universalismus und Partikularismus sowohl im Zionismus als auch in den | |
| ausgesprochen unterschiedlichen Ausprägungen des Antikolonialismus. Die | |
| antiisraelischen Tiraden Mbembes werden dazu ebenso wenig beitragen wie die | |
| paternalistischen Reflexe vieler seiner Verteidiger. | |
| 10 May 2020 | |
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| Stephan Grigat | |
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