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# taz.de -- Arabischer Frühling: Eigentümlich ironiefrei
> Kitschige Prosa und affektierte Figuren. Der ägyptische Schriftsteller
> Alaa al-Aswani holt in seinem neuen Roman weit aus.
Bild: Gern gesehener Gast: Schriftsteller al-Aswani 2019 in Kopenhagen
In diesen Wochen jährt sich der Arabische Frühling zum zehnten Mal.
Scheinbar passend dazu ist dieser Tage ein Roman auf Deutsch erschienen.
Das arabischsprachige Original stammt vom renommierten ägyptischen Autor
Alaa al-Aswani. Der 1957 geborene Autor war damals selbst Teil der Proteste
in Ägypten. Begleitend zu den Massendemonstrationen richtete er
Debattierclubs aus. Die Augen der internationalen Öffentlichkeit waren zu
Beginn des Jahres 2011 vor allem auf Ägypten gerichtet.
Dort eskalierten am 28. Januar auf dem Tahrirplatz im Zentrum von Kairo die
schon mehrere Tage andauernden Demonstrationen gegen das 30 Jahre alte
Regime von Husni Mubarak. Als „Tag des Zorns“ ist dieses Datum in die
Geschichte eingegangen. In der Folge dankte der Diktator ab. Und wenig
später fanden die ersten freien Wahlen statt. Die schwemmten aber zunächst
die radikalislamistischen Muslimbrüder an die Macht. Und so begann Mitte
2012 erneut eine blutige Zeit für die Demokratiebewegung. Ein Militärputsch
setzte 2013 dem Spuk der Muslimbrüder ein Ende. Allerdings in der Folge
auch der Demokratiebewegung.
Als jetzt in Deutschland al-Aswanis in Ägypten verbotener Roman „Die
Republik der Träumer“ rechtzeitig zum Jubiläum ausgeliefert wurde, meldete
sich in der FAZ der Autor Najem Wali zu Wort. Der in Berlin lebende
irakische Schriftsteller attackierte seinen ägyptischen Kollegen heftig.
Al-Aswani sei ein notorischer Hetzer gegen Israel.
„Seit seiner Gründung tut dieser Staat nichts anderes, als ohne Unterlass
arabische Länder zu überfallen“, so zitiert Wali al-Aswani. Najem Wali, der
auch für die taz und andere deutsche Medien schrieb, berichtet in der FAZ
auch, wie sich al-Aswani aus Gründen des Israelboykotts 2010 geweigert
habe, eine Übersetzung seines Erfolgsromans „Der Jakubijan-Bau“ ins
Hebräische zuzulassen. „Der Jakubijan-Bau“, al-Aswanis viel gelobte
Zustandsbeschreibung der ägyptischen Gesellschaft anhand der Bewohner eines
Gebäudes in Kairo, war da bereits einige Jahre alt und übersetzt in 19
Sprachen.
## Tantiemen für die Hamas
Der Vorfall lässt sich im Internet leicht wiederfinden. Zum Beispiel mit
Datum vom 9. November 2010 im britischen Guardian. Viele Autoren
unterstützten damals die antiisraelische BDS-Kampagne (Boycott, Divestment
and Sanctions) und befürworteten einen ökonomischen und kulturellen Boykott
Israels.
Al-Aswani lehnte sich dabei weit aus dem Fenster. Geschildert wird, wie ihn
der israelische Friedensaktivist Gershon Baskin gebeten habe, eine
hebräische Übersetzung zu ermöglichen, der Angesprochene aber mit Empörung
reagierte. Al-Aswani habe gepoltert: „Gesetzt den Fall, das Buch würde in
Israel veröffentlicht und ich bekäme Tantiemen dafür, dann würde ich sie
der Hamas spenden!“ Die Hamas ist eine der radikalislamischen
palästinensischen Terrororganisationen, demokratiefeindlich und Ableger der
ägyptischen Muslimbrüder. Kurz darauf machte sich dann ausgerechnet
al-Aswani auf dem Tahrirplatz für „freie Wahlen“ stark.
Auf Deutsch erscheinen al-Aswanis Bücher neuerdings im Hanser Verlag. Sein
dortiger Lektor Piero Salabè wirbt im Gespräch mit der taz um Verständnis
für die „komplexe Situation arabischer Intellektueller“. Sie würden sich,
falls sie den Boykott Israels nicht mitmachten, sofort Anfeindungen aus dem
eigenen Lager ausgesetzt sehen.
Al-Aswani lebt heute selbst im New Yorker Exil. Denn unter der
Militärregierung al-Sisis, die die Muslimbrüder gestürzt hat, sei er wegen
seiner oppositionellen Haltung stark unter Druck geraten. Im Übrigen hat
Salabè bei der renommierten Agentur des Autors eine Stellungnahme zu den
Vorwürfen Walis in der FAZ einholen lassen.
## Namhafte Agentur
Die in London und New York ansässige Wylie Agency schreibt zur Publikation
der Bücher al-Aswanis in Israel: „Das Werk von Alaa al-Aswani wurde
[inzwischen; taz] mit seiner Zustimmung auf Hebräisch publiziert. Er ist
sich bewusst, dass einige Institutionen im Nahen Osten den Staat Israel
nicht anerkennen, diese Situation ändert sich gerade. Aswanis eigene
Position ist jedoch stets klar und konsistent gewesen: Er freut sich über
die Leserinnen und Leser seiner Werke auf Hebräisch, Deutsch und allen
anderen Sprachen.“
Man habe, verteidigt sich der Lektor, bevor man das jüngste Buch al-Aswanis
ins Programm aufnahm, die Haltung des Autors zu Israel unmöglich
nachvollziehen können. Immerhin sei al-Aswani mit zwei früheren Büchern
beim namhaften S.Fischer Verlag unter Vertrag gewesen. Was die Einschätzung
seiner Gedankenwelt angeht, verließ man sich darüber hinaus auf die
Agentur. Doch anscheinend können neben dem Verlag auch die Agenturen weder
die arabisch- noch die englischsprachige Publikationswelt überblicken.
Wer im Netz einer einfachen Suchanfrage folgt, fördert rasch Interessantes
zutage. So konnte der ägyptische Autor 2013 bei der New York Times als
Kolumnist anheuern. Diese Wahl werde das Blatt noch bereuen, bemerkte
damals das in der Mitte des politischen Spektrums angesiedelte Politmagazin
The New Republic spitz. Denn al-Aswani habe 2011 geschrieben, so The New
Republic, Ägyptens Diktator Mubarak sei von den Israelis kontrolliert
gewesen. Später habe er in einem TV-Interview in Ägypten gar die Theorie
vertreten, die USA würden die Muslimbrüder unterstützen, um – es kommt noch
wilder – ausgerechnet Israel zu schützen.
Es gebe eine „riesige zionistische Organisation, die Amerika beherrscht“.
Auf solche Weise äußere sich al-Aswani, der im Westen als großer Liberaler
gilt, ausschließlich, wenn er Arabisch spreche oder twittere, so das
Magazin. Doch finden sich solch antisemitische Verschwörungstheorien auch,
wenn man den neuen Roman al-Aswanis liest?
## Eigentümlich ironiefrei
Wie schon in Vorgängerromanen zeichnet al-Aswani in „Die Republik der
Träumer“ ein breites Porträt der ägyptischen Gesellschaft – diesmal vor …
Hintergrund der Arabellion in Ägypten inklusive aller blutigen Details der
staatlichen Reaktion. An Personal fährt er einen folternden, schmierigen
Geheimdienstmajor auf, etwas holzschnittartig gezeichnet gerade in seinen
doppelzüngigsten Momenten. Aber auch einen machthungrigen, an die
Muslimbrüder erinnernden Scheich. Sowie eine TV-Moderatorin, einen
Fabrikchef, streikende Arbeiter, die idealistische Lehrerin Asma, einen
Künstler und einige Studenten.
Immer mal wieder rutschen al-Aswani die Figuren ins Dozierende und geben
dabei der Autorenrede viel Raum. Aus dem Gewirr an Stimmen ragt jedoch eine
Figur heraus – die, nebenbei, keine eigene Stimme bekommt: Ikram, die
herzensgute Dienerin des glücklosen Schauspielers Ashraf. Dessen
Schwärmerei für die wesentlich Jüngere, mit der er ein Verhältnis
unterhält, stellt sich in dem Roman eigentümlich ironiefrei dar: „Die
einfache Frau aus dem Volk ist die einzige vollendet natürliche Frau, die
ihre Anlagen nicht durch Affektiertheit verdirbt, die weder die Lügen noch
die Tricks der vornehmen Damen kennt, nicht die Heuchelei, die diese mit
der Muttermilch aufsaugen.“
Die folgenden säftelnd beschriebenen Details der Beziehung kann man sich
hier sparen. Von Belang ist die Schilderung deshalb, weil am Ende des
Romans genau zwei komplementäre Deutungen des Scheiterns der
Demokratiebewegung übrig sind. Und beide haben mit dem Volk zu tun.
Aus dem Folterkeller schreibt der geschundene Mazen an seine Freundin Asma:
„Mein Vater [ein Kommunist; taz] hat mich gelehrt, bis zuletzt auf die
Macht des Volkes zu vertrauen, denn auch wenn es zeitweilig in die Irre
geführt sein mag, wird es doch schnell zurück zur Wahrheit finden.“ Wer sie
getäuscht und manipuliert hat? Natürlich „die Medien“.
## Verlorene Schlacht
Asma selbst, der nach dem Gefängnis die Flucht ins Ausland gelang, lässt
al-Aswani dagegen folgendes Resümee ziehen: „Wir haben die Schlacht
verloren, weil die Ägypter uns im Stich gelassen und verraten haben. Die
Ägypter haben zugesehen, wie wir verhaftet, erschossen oder vergewaltigt
wurden, und sie haben freudig applaudiert. Sie lieben nun einmal den Stock
des Diktators.“
[1][Die Form des vielstimmigen Romans wäre eigentlich bestens geeignet,
verschiedene Positionen aufzuzeigen], mithin für demokratische
Veränderungen günstige oder ungünstige Kräfteverhältnisse in einer
Gesellschaft. Diese Form wird jedoch durch die nivellierende Darstellung
„der“ Ägypter am Ende Lügen gestraft.
So betrachtet ist entweder das ganze Volk gut. Oder es ist in Gänze
verdorben. Das Böse, das „Unnatürliche“ und „Affektierte“ dringt hing…
von außen in die Gesellschaft ein. [2][Das allein ist noch keine
antisemitische Figur.] Aber es ist auch nicht schwierig, von dort eine
Brücke zur Verschwörungstheorie zu schlagen.
14 Feb 2021
## LINKS
[1] /Kairo-Roman-Die-Stadt-der-Rebellion/!5479438
[2] /Debatte-um-Achille-Mbembe/!5681657
## AUTOREN
Christiane Müller-Lobeck
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