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# taz.de -- Wiederentdeckter Roman aus Ägypten: Das schwarze Schaf der Familie
> Ein Taugenichts aus gutem Hause: Waguih Ghalis Roman „Snooker in Kairo“
> legt nicht zuletzt auch die Brüche des heutigen Ägyptens offen.
Bild: Leute in einem traditionelle Cafe in Kairo, neben einer Statue des äypti…
Zynisch, voller Brüche und dabei wahnsinnig witzig: das ist Ram, die
Hauptperson im Roman „Snooker in Kairo“ des Ägypters Waguih Ghali. Der
Autor erweckt das Kairo der 1950er Jahre zum Leben: die von vielen
verklärte goldene Zeit Ägyptens, als Präsident Nasser versuchte, den
Kolonialismus abzuschütteln und den Ägyptern eine eigene Identität zu
geben. Doch die Kratzer dieser goldenen Zeit legen viele Probleme frei,
unter denen des Land auch heute krankt.
Ghalis Hauptfigur Ram ist gebildet, belesen, attraktiv – und alles andere
als der perfekte Schwiegersohn. Er hat viele Frauen um sich, noch mehr
Alkohol in sich und lebt in die heißen Kairoer Sommertage hinein, die immer
gleich ablaufen.
Nach einem launigen Gespräch mit seiner Mutter – Oberschicht, aber durch
den spielsüchtigen Ehemann verarmt – und nachdem er charmant den neuesten
Versuch seiner Tante, ihm einen guten Job zu vermitteln, ignoriert hat,
zieht es Ram in die Hotelbars und Clubs der Stadt. Ob der Tag besser oder
schlechter verläuft, ist dabei von wenigen Faktoren abhängig. Steht ein
befreundeter Kellner hinter dem Tresen des „Groppi“, kann es ein guter Tag
werden.
## Im Rückblick eine goldene Zeit
Der erste Whisky wird angeschrieben, der zweite von Freunden übernommen,
der dritte dann schon vom eigenen, beim Bridge oder Snooker gewonnenen Geld
bezahlt. Dazwischen parlieren Ram und seine Freunde geistreich auf Englisch
und Französisch. Arabisch kommt nur zum Einsatz, wenn es um die Fellachen
geht, die geringgeschätzten ägyptischen Bauern vom Lande. Manchmal endet
der Tag mit Haschisch und Frauen, häufiger mit Kopfschmerzen, fast immer in
Depression und Zynismus.
Über 50 Jahre nachdem Waguih Ghalis „Beer in the Snooker Club“ im
englischen Original erschienen ist, liegt nun die deutsche Übersetzung vor.
Endlich. Denn Ghali zeichnet in einem herrlich entspannten und ungemein
witzigen Tonfall die Bruchlinien des postkolonialen Ägyptens der
Nasser-Zeit nach.
Gamal Abdel Nasser hatte 1952 König Faruk aus dem Sessel geputscht und
versucht, die „arabischen Brüder“ unter ägyptischer Führung zu einen. F�…
die Ägypter war das vor allem im Rückblick eine goldene Zeit, zu Nassers
Begräbnis kamen Millionen. Doch viele andere fielen dem Regime zum Opfer,
zum Beispiel die christlichen Kopten, zu denen auch Rams Familie gehört.
Für ihn und seinen besten Freund Font zeigt sich das, als sie nach England
reisen möchten. „Ihr zwei seid Kopten“, sagt der Direktor der Schule, die
die ägyptische Elite ausbildet, „und da die jetzigen Machthaber allesamt
Muslime sind, machen sie sich nicht die Mühe, euch Visa zu geben.“
## Eine Tante mit dickem Geldbeutel
Natürlich ist das für die beiden kein Problem. Zwar gelten sie immerhin der
gesättigten Oberschicht als arm, und tatsächlich muss sich Ram durch die
Clubs und Bars schnorren. Aber irgendeine Tante mit dickem Geldbeutel
findet sich immer. Das größere Problem sind die Frauen: Von denen gibt es
in Rams Leben zwar einige. Aber alle, die er haben kann, stößt er vor den
Kopf, und verliebt sich dagegen schwer in die, die er nicht haben kann:
Edna, eine jüdische Ägypterin, die ihm und Font den Aufenthalt in England
finanziert und mit den beiden dort eine Zeit lang lebt.
Um ihr das Wasser reichen zu können, entdeckt er seine umfassende
literarische und politische Bildung wieder. In England tritt er sogar der
Kommunistischen Partei bei. Später bemerkt er dazu, dass für einen
gebildeten, schlauen, antirassistischen Menschen eigentlich nur zwei Dinge
übrig blieben: „Er kann in die Kommunistische Partei ein- und dann wieder
aus ihr austreten, um sich über ihre Unzulänglichkeiten zu mokieren, oder
er kann verrückt werden.“ Rams Beziehung zur Politik ist komplex: Wieder in
Ägypten, wird er Mitglied in einer Geheimorganisation, die
Menschenrechtsverletzungen der Nasser-Regierung dokumentiert.
Als er versucht, die Gräueltaten ans Licht zu bringen und das Material an
Zeitungen schickt, passiert – natürlich – gar nichts. Da ergeht es Ram
besser, als es heute der Fall wäre: Das Sisi-Regime erstickt sämtliche
kritischen Nichtregierungsorganisationen im Keim und verfolgt
Nestbeschmutzer mit brutaler Härte.
## Unter dem Deckmantel nationaler Befreiung
Viele weitere Analogien des postrevolutionären Ägyptens der 50er Jahre zur
heutigen Situation nach der Arabellion von 2011 sind jedoch treffend. In
„Snooker in Kairo“ beklagt Ram, dass sich auch mit dem neuen
Hoffnungsträger Nasser kaum etwas im Land ändere. Beide Revolutionen
brachten Enttäuschungen mit sich. Wie der jetzige Präsident Abdel Fattah
al-Sisi und alle Herrscher dazwischen hat auch Nasser Menschen
verschwinden, einkerkern und foltern lassen.
Das alles unter dem Deckmantel der nationalen Befreiung von den
Kolonialmächten. Nassers Kampf für die arabische Identität wäre, auf das
Heute übertragen, al-Sisis Kampf gegen den Terror. Beide waren zum
kleineren Teil notwendig und dienten zum größeren Teil der Ablenkung davon,
die Daumenschrauben im Inneren mächtig anzuziehen.
Die Briten, die Ram und seinen Freunden in jungen Jahren imponierten und
die ihren Familien den Aufstieg in die Oberschicht ermöglichten, waren
offiziell zwar nur bis 1922 im Land. Ihr Einfluss blieb aber bis in die
1950er Jahre beträchtlich, nicht zuletzt in der Suezkrise von 1956. Damals
hatte Ägypten den Suezkanal verstaatlicht, damit dieser fortan Geld in die
eigenen Kassen spüle. In einer Koalition mit Frankreich und Israel
versuchte Großbritannien, das per militärischer Invasion zu verhindern. Ram
verbringt diese Zeit in den Londoner Pubs, schwingt dort aber große Reden
gegen die Briten.
## Auf die Straße geworfen
Gerade wegen der vielen inneren Brüche wächst einem dieser sprunghafte,
launische Charakter ans Herz. Weil er die Rolle des schwarzen Schafs der
Familie mit solch trockenem Humor durchzieht und es sich nicht einrichtet
in seinem gemachten Oberschichtsnest. Etwa als sein Cousin bei einem
Empfang erklärt, die Engländer müssten im Land bleiben und Ägypten vor der
„roten Gefahr“ beschützen: „Politik hin oder her, das war zu viel. Was d…
genau passierte, weiß ich nicht mehr; es kam zu Streit und zu
Handgreiflichkeiten, und ich sagte, dass er sich mit seiner amerikanischen
Demokratie ‚den Hintern abwischen‘ solle. Ich fand mich auf der Straße
wieder. Eigenartigerweise bester Dinge.“
Ram macht es sich nicht leicht, weder mit den Frauen noch mit der Politik.
Er durchschaut, was falsch läuft mit sich, dem auf Ausbeutung der Fellachen
gegründetem Reichtum seiner Familie und seinem Land. Er ist aber zu schwach
und träge, etwas daran zu ändern.
Rams Freund Font ist immerhin konsequent und zieht einen Gemüsekarren durch
Kairo, statt sich dem System zu unterwerfen. Weil das niemand glaubt, fährt
Ram mit seinem Kumpel Jameel in dessen Auto zu Font. „Jameel war
schockiert, einen seiner alten Schulfreunde auf der Straße zu sehen. Und
ich konnte ihn nur mit Mühe davon abhalten, Font so viel Geld anzubieten,
dass dieser damit gleich den ganzen Rest seines Lebens hätte bestreiten
können. Font hätte Jameel nur bespuckt und mir wahrscheinlich eine
reingehauen.“
31 May 2018
## AUTOREN
Christopher Resch
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