Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ende des Zweiten Weltkriegs am 2. Mai: Sieg über Fanatismus und F…
> An den Wänden stehen Durchhalteparolen. Die Berliner suchen Schutz in
> U-Bahnhöfen. Am 2. Mai 1945 erobert die Rote Armee die Hauptstadt
> Nazideutschlands.
Bild: Sowjetsoldaten ziehen am 1. Mai 1945 durch Berlin. Aus den Fenstern hä…
In den frühen Morgenstunden des 2. Mai 1945 hängt eine dichte Staubwolke
tief über der Stadt. Sie schimmert bald orangefarben, bald zitronengelb.
„Wie eine Staubwolke in der Sahara, wenn der Schirokko weht“, erinnert sich
Johannes Hentschel. Seine Augen beginnen zu tränen, der Sand knirscht
zwischen den Zähnen. Seit Tagen haben sich Qualm und Staub über dem
Stadtinnern ausgebreitet, aus den Trümmerlandschaften Berlins in die Luft
gewirbelt. So dicht, dass selbst mittags das Sonnenlicht kaum mehr
durchdringt.
Um die Reichskanzlei herum ist es ruhig an diesem Morgen. Hentschel hört
Gefechtslärm nur aus der Ferne. Noch ist die „Zitadelle“, wie der innerste
Verteidigungsbereich rund um die Reichskanzlei im Regierungsviertel genannt
wird, nicht von der Roten Armee erobert. „Es krachte von Zeit zu Zeit.
Gewehrfeuer, gelegentlich Granatwerfer, ab und zu eine Leuchtrakete oder
der Schein einer Leuchtpistole. Aber keine schweren Geschütze. Keine
Stalinorgeln, keine rumpelnden Panzer. Keine Flugzeuge. Dauernd flogen
Stockenten in geschlossener Formation vorüber, wie Messerschmitts.“
In der Nacht hatte eine große Gruppe von Leuten aus dem inneren Zirkel der
Naziführung unter Leitung von SS-Brigadeführer Wilhelm Mohnke den
Führerbunker verlassen und den Ausbruch gewagt. Es sind zwanzig Männer und
vier Frauen. Mohnke führte unter anderem die Sekretärinnen und die
Diatköchin Hitlers durch U-Bahnschächte Richtung Norden. Doch dann werden
sie gestoppt. „Auf die Russen waren wir gefasst; auf die BVG allerdings
nicht“, erzählt Mohnke im Sommer 1974 den Journalisten Uwe Bahnsen und
James P. O’Donnell. Hundert Meter vom Bahnsteigende des U-Bahnhofs
Friedrichstraße entfernt, stößt die Gruppe auf ein eisernes Schott, das von
zwei Männern der Berliner Verkehrsbetriebe bewacht wird. Die Forderung
Mohnkes, das Schott zu öffnen, lehnen sie ab.
„Mit großem Pflichteifer erklärten sie uns, das Schott werde jeden Abend,
nachdem der letzte Zug durchgefahren sei, geschlossen, um den Tunnel vor
Wassereinbrüchen aus Bomben- und Granatenlöchern in der Decke zu sichern –
wir befanden uns direkt unter der Spree. Zwar sei der Zugbetrieb
eingestellt, aber sie hätten eben ihre Anweisungen, denen sie folgen
müssten.“ Mohnke dreht um.
Cheftechniker Hentschel ist der letzte Mensch, der den Führerbunker an
diesem Morgen verlässt. Auch er hat seine Erinnerungen den beiden
Journalisten aufs Band gesprochen. Man kann darüber rätseln, was Hentschel
dazu gebracht hat, den Flug von Enten mit dem von deutschen Jägern zu
vergleichen, als er sich knapp dreißig Jahre später an diesen Morgen
erinnerte. Auf einem vor dem Krieg gedruckten Werbeplakat hatte es
geheißen, die Messerschmitt-Jäger und -Zerstörer der Bayerischen
Flugzeugwerke „siegen und schützen Deutschland“. Die in großer Zahl
produzierten Messerschmitts waren eine von den alliierten Piloten
gefürchtete Waffe. Eine Zeit lang sah es so aus, als würden die
Messerschmitts den Kampf um England für sich entscheiden.
Die deutsche Luftwaffe hat aber inzwischen längst die Lufthoheit auch über
Berlin verloren. Es fliegen keine Messerschmitts mehr oben im Himmel, nur
noch Enten. Cheftechniker Hentschel hat entweder aus alter Gewohnheit in
der cool-militaristischen Diktion der Nazijahre diesen Vergleich gewählt –
oder er war sich der Ironie seiner Metapher bewusst. Zum ersten Mal hatten
die Sirenen die Berliner am 1. September 1939 vor Luftangriffen gewarnt.
Seit 1943 griffen die Bomber regelmäßig an. Tagsüber waren es die Flugzeuge
der United States Army Air Force, nachts die Maschinen des Bomber Command
der Royal Air Force. Viele Nächte verbrachten die Berliner seitdem in
Luftschutzkellern.
Seit dem 20. April, als Hitler im Führerbunker zum letzten Mal Geburtstag
feiert, wird die Berliner Innenstadt von sowjetischer Artillerie
beschossen. Gegen 12 Uhr mittags heulen die Sirenen Panzeralarm. Am
nächsten Morgen fliegen amerikanische Luftwaffenverbände den letzten
strategischen Bombenangriff auf Berlin. Zwei Tage später fährt auch die
letzte U-Bahn-Linie nicht mehr.
Am Vormittag des 2. Mai 1945, einige Stunden nach dem Flug der
Entenformationen über die verlassene Reichskanzlei, ordnet General Helmuth
Weidling die sofortige Einstellung jeglichen Widerstands an. Weidling hat
den Tod des „Führers“ abgewartet, der ihn vor wenigen Wochen aufgrund eines
Missverständnisses erst zum Tod verurteilt, dann zum Befehlshaber des
Verteidigungsbereichs von Berlin ernannt hat. Seinen Kapitulationsbefehl
leitet Weidling mit der Nachricht vom Verrat Hitlers ein: „Am 30. April hat
sich der Führer selbst entleibt und damit uns, die wir ihm die Treue
geschworen hatten, im Stich gelassen. Jede Stunde, die ihr weiterkämpft,
verlängert die entsetzlichen Leiden der Zivilbevölkerung Berlins und
unserer Verwundeten. Im Einvernehmen mit dem Oberkommando der sowjetischen
Truppen fordere ich euch auf, sofort den Kampf einzustellen.“
## 800 Sowjetpanzer zerstört
Für viele zeitgenössische Beobachter ist an diesem Tag der Zweite Weltkrieg
in Europa vorbei, auch wenn vereinzelt in Berlin noch bis zum 4. Mai
gekämpft wird und das Deutsche Reich erst am 8. Mai kapituliert. Die Rote
Armee hatte die Reichshauptstadt in relativ kurzer Zeit eingenommen. Die
Führungsriege des nationalsozialistischen Deutschland war tot oder aus der
Stadt geflohen.
Stefan Doernberg zweifelt nicht daran, dass der Krieg in diesen Stunden zu
Ende geht. 21 Jahre alt ist der Leutnant der Roten Armee am 2. Mai 1945.
Zehn Jahre zuvor hat er Berlin verlassen, weil sein Vater Jude und
Kommunist war. Jetzt fährt Doernberg zusammen mit dem Adjutanten von
General Weidling im Lautsprecherwagen durch die Straßen Berlins und liest
dessen Befehl vor. Kurz zuvor hat Stefan Doernberg diesen selbst mit einer
Schreibmaschine abgetippt und sich über die merkwürdige Ausdrucksweise des
Generals gewundert. Als Doernberg durch die Straßen der durch die
Häuserkämpfe noch stärker als zuvor zerstörten Stadt fährt, beginnt die
Nachkriegszeit.
Die von der NS-Propaganda bis zuletzt proklamierte große „Schlacht um
Berlin“ hat nicht stattgefunden, meinten Bahnsen und O’Donnell dreißig
Jahre später. „Die ausgebluteten deutschen Kampftruppen, die unerfahrenen
Volkssturm- und Alarmeinheiten, schlecht bewaffnet und munitioniert, waren
überhaupt nicht in der Lage, den Eliteverbänden Marschall Schukows eine
Schlacht zu liefern.“ Trotzdem starben schätzungsweise Hunderttausend auf
beiden Seiten im Häuserkampf; 800 Panzer soll die Rote Armee bei der
Eroberung Berlins eingebüßt haben. Stalin trieb seine Generäle an. Er
wollte den schnellen Erfolg, um den 1. Mai auch als Sieg über
Nazideutschland feiern zu können.
Der Befehl zu Verteidigung Berlins hatte diese Schlacht vorab als ein
Heldenstück beschrieben, in dem eine spezifisch deutsche Mischung aus
„Fanatismus und Fantasie“ am Ende siegen würde. Der „Kampf um Berlin“ …
nicht in offener Feldschlacht ausgetragen, sondern ein Straßen- und
Häuserkampf werden, kündigte der „Grundsätzliche Befehl für die
Vorbereitung zur Verteidigung der Reichshauptstadt“ vom 9. März an.
Der Kampf müsse „mit Fanatismus, Fantasie, mit allen Mitteln der Täuschung,
der List und Hinterlist, mit vorbereiteten und aus der Not des Augenblicks
geborenen Aushilfen aller Art auf, über und unter der Erde geführt werden.“
Dem Feind dürfe keine Minute Ruhe gegönnt werden, „er muss sich in dem
engmaschigen Netz der Widerstandsnester, Stützpunkte und
Verteidigungsblocks verzehren und verbluten“. Verlorenes Terrain müsse
sofort wieder erobert werden. „Voraussetzung für eine erfolgreiche
Verteidigung Berlins ist jedoch, dass jeder Häuserblock, jedes Haus, jedes
Stockwerk, jede Hecke, jeder Granattrichter bis zum Äußersten verteidigt
wird!“ Dieser Befehl bleibt bis zu Weidlings Kapitulation in Kraft. Die
Klügeren unter den Verteidigern Berlins, unter denen sich einige Tausend
Mann des „Volkssturms“, Kinder, Jugendliche, ältere Männer befinden, halt…
sich nicht daran.
Am 22. April erscheint die erste von acht Ausgaben der Zeitung Der
Panzerbär. So heißt das jeweils vier Seiten starke „Kampfblatt für die
Verteidiger Groß-Berlins“. Die Titelzeile an diesem Tag lautet: „Adolf
Hitler: Berlin bleibt deutsch!“ Sieben Tage später, in der letzten Ausgabe,
heißt es unter der Überschrift „Heroisches Ringen“, „bei Tag und Nacht�…
würden „neue Eingreifkräfte herangeführt“.
Aus dem Führerhauptquartier gibt das Oberkommando der Wehrmacht bekannt:
„In dem heroischen Kampf der Stadt Berlin kommt noch einmal vor aller Welt
der Schicksalskampf des deutschen Volkes gegen den Bolschewismus zum
Ausdruck.“ Es wird aber auch gemeldet, dass im inneren Verteidigungsring
der Feind vom Norden her in Charlottenburg und von Süden her über das
Tempelhofer Feld eingedrungen sei. „Am Halleschen Tor und am Alexanderplatz
hat der Kampf um den Stadtkern begonnen.“ Die Berliner werden außerdem
darüber informiert, dass die Alliierten die Donau überquert haben: „An der
Donau brach der Feind in Regensburg und Ingolstadt ein. Zwischen Dillingen
und Ulm setzten die Amerikaner ihren Vorstoß nach Süden fort.“
## Ein fernes, aber ein reales Ziel
Ein Kommentar erklärt den Panzerbär-Lesern unter der Überschrift „Der
längere Atem“, dass man zwar den Krieg verloren habe, aber trotzdem nicht
aufgeben solle: „Zu verlieren haben wir nichts mehr. Wir haben alles
verloren und würden durch Kapitulation uns selbst, unsere Zukunft, Frau und
Kind preisgeben. Wohl aber haben wir die Chance, uns zu behaupten und einst
dann Existenz, Familienleben und unseren sozialen Staat wieder aufzubauen,
in dem wir einen noch größeren Wohlstand erreichen werden, als wir ihn vor
diesem Krieg bereits genießen konnten. Das ist ein fernes, aber ein reales
Ziel.“
Das kann man als Programm für die Nachkriegszeit lesen, an dem [1][sich
viele Nationalsozialisten erfolgreich orientierten]. Das sogenannte
Wirtschaftswunder, unter anderem durch die Arbeit von Millionen von
Zwangsarbeitern vorbereitet, gibt ihnen recht. Ein halbe Million Menschen
musste während des Kriegs Zwangsarbeit in Berlin leisten. Am Ende des
Kriegs befinden sich immer noch viele in der Stadt.
Warum wird überhaupt in der Stadt gekämpft? Weil sich die Befehlshaber der
Wehrmacht nicht gegen ihren Oberbefehlshaber Hitler durchsetzen können.
Generaloberst Heinrici von der Heeresgruppe Weichsel, die eine Front 70
Kilometer östlich von Berlin halten soll, wird am 19. April die Stadt
unterstellt. „Heinrici, der eine Schlacht in Berlin unter allen Umständen
vermeiden wollte, versuchte nun, die in der Stadt noch verfügbaren,
kampfkräftigen Truppen aus dem Verteidigungsbereich herauszubringen und in
die östlichen Schutzstellungen zu verlegen. Das gelang ihm aber nur zu
einem Teil“, schreiben Bahnsen und O’Donnell. Am 22. April, dem Tag, als
die erste Panzerbär-Ausgabe erscheint, wird die Verteidigung Berlins dem
Befehl Hitlers unterstellt.
Im Tagebuch des Ordonnanzoffiziers Walter Kroemer von der Panzerdivision
Müncheberg heißt es am 25. April: „Die Division baut am Alex wieder ab.
Rückmarsch unter Fliegerangriffen zum Halleschen Tor. Schwere Verluste. An
den Häuserwänden Aufschriften: ‚Die Stunde vor Sonnenaufgang ist die
dunkelste Stunde‘ und ‚Wir gehen zurück, aber wir siegen‘.“
Einen Tag später haben sowjetische Truppen der 1. Belorussischen Front
unter Marschall Schukow und der 1. Ukrainischen Front unter Marschall
Konjew die Stadt vollständig eingeschlossen. Der Bericht des Oberkommandos
der Wehrmacht meldet: „Im Südteil der Reichshauptstadt toben schwere
Straßenkämpfe in Zehlendorf, Steglitz und am Südrand des Tempelhofer
Feldes. Im Osten und Norden leisten unsere Truppen, tapfer unterstützt von
Einheiten der Hitlerjugend, der Partei und des Volkssturms, am Schlesischen
und Görlitzer Bahnhof sowie zwischen Tegel und Siemensstadt erbitterten
Widerstand. Auch in Charlottenburg ist der Kampf entbrannt.“
## Nein, der war es nicht
In Zehlendorf wird Diplomlandwirt Georg Schulze am selben Tag von den
Sowjets zum Bezirksbürgermeister ernannt und mit der Wiedererrichtung der
Verwaltung beauftragt. Da die Soldaten der Roten Armee viele Uhren rauben,
wird im Bezirk Zehlendorf nun täglich morgens um 8 Uhr die Kirchenglocke
geläutet. Sie gibt auch das Ende der anfangs auf die Zeit von 18 bis 8 Uhr
festgesetzten nächtlichen Ausgangssperre an. Während in der Stadtmitte noch
gekämpft wird und Zehntausende von Berlinern in Kellern, Bunkern und unter
anderem in den beiden unterirdischen Bahnhöfen am Potsdamer Platz Schutz
gesucht haben, verteilen anderswo bereits Sowjetsoldaten Brot an die
Bevölkerung.
Soldaten der Roten Armee vergewaltigen vor und nach dem 2. Mai viele
Berlinerinnen. Leonard Buchow, 1925 geboren, damals Panzersoldat der Roten
Armee, erinnerte sich später: „Es war sicher so, dass es zu
Vergewaltigungen kam. Noch vor dem Überqueren der Oder wurde uns ein Befehl
Schukows vorgelesen, in dem es hieß, mit Zivilisten muss man human umgehen.
Auf Vergewaltigungen und Plünderungen stand die Erschießung. Ich hatte
immer Mitleid mit Frauen, die geschändet wurden: mit Russinnen, Polinnen,
Jüdinnen und anderen. Diese unglücklichen Frauen hatten die Misshandlungen
der Besatzer zu ertragen. Ihr Schmerz und ihre Scham machen es notwendig,
dass man das nicht vergisst.“
Hertha von Gebhardt berichtet in ihrem Tagebuch, das sich im Landesarchiv
Berlin befindet, von einer Vergewaltigung. Ein sowjetischer Soldat hat Frau
K. mitgenommen. „Jemand ist zur nahen Kommandatur gelaufen und hat
Beschwerde geführt. Ein Offizier kommt, erwischt den Mann, der eben Frau K.
zurückgebracht hat, fragt sie: War es der? Der Mann ist zu Tode
erschrocken, er weiß, es kann nunmehr ihn das Leben kosten. Frau K., ohne
mit der Wimper zu zucken, sagt: Nein, der war es nicht. – Er hat vielleicht
auch Frau und Kind zu Hause, meint sie nachher, soll ich ihn da ums Leben
bringen?“
## Anna hisst die Rote Fahne
Am 30. April werden auf dem Reichstag Rote Fahnen gehisst, eine davon von
Anna Wladimirowa Nikulina. Die Majorin hat gehört, dass die Deutschen die
Federn für ihre Betten in rote Bezüge füllen. Auf ihre Weisung wird roter
Stoff requiriert, die Federn sind den Eigentümern zurückzugeben. Sie hisst
ihre rote Fahne auf dem Dach des Reichstags, während im Keller noch
gekämpft wird. Den internationalen Kampftag der Arbeiterklasse und den Sieg
gegen den Nationalsozialismus feiern Soldaten der Roten Armee tags darauf
auf dem Wörther Platz, der ab 1947 Kollwitzplatz heißt.
Aber nicht nur dort und nicht nur an diesem Tag wird der Sieg gefeiert: „Im
Park wurden Tische aufgestellt, mit einem Eimer wurde Wein aus der Kellerei
einer Weinfabrik geholt, die in der Brunnenstraße lag“, erinnerte sich
Leonard Buchow. „Diese Kellerei hatten wir schon drei Tage zuvor entdeckt,
als wir eine Schlange Berliner mit Eimern sahen. In dem dunklen Keller
begegneten sich russische Soldaten und Deutsche. Aus den Riesenfässern
floss der Wein, die Menschen liefen knöchelhoch im Wein. Solche Beispiele
der ‚friedlichen Zusammenarbeit‘ gab es öfter.“ Hertha von Gebhardt schr…
dazu in ihr Tagebuch: „Die Plünderung der Geschäfte hat eingesetzt. Es
plündern keineswegs die Russen – vielleicht diese da und dort auch –,
sondern im wesentlichen die Volksgenossen.“
Am 8. Mai wird im Standesamt von Charlottenburg die erste Ehe nach
Kriegsende geschlossen. Das Brautpaar hat wegen der rassistischen
Nürnberger Gesetze vorher nicht heiraten können.
## Verkehrsregeln beachten!
Am 4. Juli 1945 rücken die westlichen Alliierten als Besatzungsmächte in
Berlin ein, James O’Donnell ist als Journalist dabei. Zwei Wochen zuvor hat
die Polizei bei einer ihrer ersten großen Razzien gegen den schwarzen Markt
429 Personen verhaftet. Der Schlag trifft die Schwarzhändler in der Mulack-
und der Gormannstraße in Mitte. Ebenfalls im Juli dringt der
Polizeipräsident von Berlin in einer Bekanntmachung darauf, die
Verkehrsregeln zu beachten. Damit sind insbesondere Fußgänger und
Fahrradfahrer angesprochen, die mehrheitlich regellos die Fahrbahn
benutzen, wie es in der Chronik der Stadt heißt.
James Preston O’Donnell wurde am 30. Juli 1917 in Baltimore, Maryland
geboren. Er studierte in Harvard und begann als Journalist zu arbeiten. Als
die Vereinigten Staaten in den Krieg eintraten, diente er im U.S. Army
Signal Corps, also bei den Fernmeldern. Wenige Wochen nach Kriegsende wurde
er aus dem Militärdienst entlassen und zum Chef des Deutschlandbüros von
Newsweek ernannt.
Der 4. Juli 1945 ist ein heißer, schwüler Tag. O’Donnell soll die Umstände
von Hitlers Tod erforschen und über das Schicksal von Eva Braun
recherchieren. Noch am Tag seiner Ankunft verschafft er sich Zugang zum
Führerbunker, indem er den beiden wachhabenden Sowjetsoldaten zwei
Schachteln Zigaretten zusteckt. „Mit Taschenlampen suchten wir den Weg
hinunter in den Führerbunker. Unten stand der Fußboden zum Teil unter
Wasser; Ratten huschten umher. An den Wänden und Decken sah man
Brandspuren. In den engen Zimmern und Gängen lagen überall noch Akten,
Dokumente, Formulare und andere Schriftstücke herum; dazwischen rostige
Pistolen, Bücher, Schallplatten, Flaschen, Gläser.“
Als er aus dem Bunker wieder ans Tageslicht steigt, hat O’Donnell einen
Stapel Papiere unter dem Arm und ein Thema gefunden, das ihn bis ins Alter
nicht loslässt. Zusammen mit dem deutschen Journalisten Uwe Bahnsen, der
1934 in Hamburg geboren wurde, interviewt er viele der Überlebenden aus dem
Bunker in der Wilhelmstraße. Die beiden Journalisten fügen die Gespräche
mit der Entourage des Führers zu einem detaillierten Bild zusammen. Ihr
Buch „Die Katakombe. Das Ende in der Reichskanzlei“ erscheint 1975.
## Stadtbahn und Mauerfall
Vier Jahre später, im Januar 1979, veröffentlicht James O’Donnell in
Reader’s Digest einen Artikel über „Die Geisterzüge von Berlin“. Er wid…
sich darin der Geschichte der Berliner S-Bahn. 1870 begann der Bau, nur
zwölf Kilometer Strecke sollten anfangs entstehen. In den 1920ern sind auf
dem Schienennetz der Stadtbahn 700 elektrische Züge unterwegs, die an jedem
Werktag 1,7 Millionen Fahrgäste befördern.
Während des Zweiten Weltkriegs fährt die Stadtbahn scheinbar unaufhaltsam
weiter, bis die Rote Armee am 21. April 1945 das letzte intakte Kraftwerk
der Stadt besetzt. Jetzt werden die Tunnels von Stadt- und U-Bahn zu den
letzten Zufluchtsorten vieler Innenstadtbewohner, von denen manche über
Tage hinweg, in der Dunkelheit der Bahnhöfe auf Gleisen sitzend, ausharren.
Die „Gruppe Ulbricht“ ist im Windschatten der Roten Armee in Berlin
eingetroffen und nimmt bereits am 2. Mai 1945 ihre Tätigkeit auf.
Vier Jahre später hat im Osten Deutschlands die Sozialistische
Einheitspartei Deutschlands unter Walter Ulbricht das Sagen. Bald aber
wollen die Sowjets ihn wegen seiner nicht nur ideologisch, sondern objektiv
falschen Politik stürzen. Ulbricht, meint das Moskauer Politbüro, versteht
die Unterschiede zwischen Russland und dem ökonomisch weiterentwickelten
Deutschland nicht. Statt die vorhandenen gesellschaftliche Produktivkräfte
sich entfalten zu lassen, lässt Ulbricht kollektivieren und dekretieren.
Man hat schon beschlossen, dass Ulbricht abgesetzt werden soll, als ihm die
aufständischen Arbeiter von der Stalinallee ironischerweise zu Hilfe
kommen. Bis Ulbricht die Mauer bauen lässt, haben 2,6 Millionen Menschen
den antifaschistischen Staat der Arbeiter und Bauern verlassen. Mindestens
eine Million von ihnen sind mit der S-Bahn nach Westberlin geflohen,
schreibt James O’Donnell.
Seine Hommage an die Berliner Stadtbahn aus dem Jahr 1979 schließt der
Historiker und Journalist mit einer Vision: „Neulich träumte ich vom Ende
der Berliner Mauer. Es war im Jahr 1989. Überall erschienen Ost- und
Westberliner in hellen Scharen und rissen sie nieder. Schüler bepflanzten
die ganzen 165 Kilometer mit Linden und Eichen. Pfiffige Händler
schlängelten sich durch die fröhliche Menge und verkauften Steine zum
Andenken. Wie gelangten so viele Menschen so schnell an die Mauer? Mit der
S-Bahn, versteht sich.“
2 May 2020
## LINKS
[1] /Aufarbeitung-Nachkriegszeit/!5296803
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
8. Mai 1945
Groß-Berlin
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Schwerpunkt Tag der Befreiung
Medien
Schwerpunkt Tag der Befreiung
Schwerpunkt Tag der Befreiung
8. Mai 1945
Schwerpunkt Tag der Befreiung
Schwerpunkt Tag der Befreiung
Schwerpunkt Tag der Befreiung
Schwerpunkt Tag der Befreiung
Kriegsende
Historikerstreit
Schwerpunkt Flucht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Der „Spiegel“ verklärt eigene Geschichte: Nicht sagen, was war
Zum 75. Jubiläum stellt sich der „Spiegel“ als Hort des hehren Journalismus
dar, der Nazis enttarnte und Antisemiten bekämpfte. War das so?
Mein Kriegsende 1945: „Ich wurde sehr schnell erwachsen“
Zeitzeugen erinnern sich (Teil 15): Edith Kiesewetter sah auf den Straßen
überall Leichen. Sie erlebte, dass Unrecht mit Unrecht vergolten wurde.
Mein Kriegsende 1945: „Er wollte bloß Wasser“
Zeitzeugen erinnern sich (Teil 13): Helga Thieme hatte die Bombenangriffe
auf Dresden überlebt. Dann kam die Rote Armee ins Dorf Grünberg.
Ende des Dritten Reichs vor 75 Jahren: Jeder bestiehlt jeden
Von Hitlers Tod bis zur Kapitulation: Der Historiker Volker Ullrich
schildert in seinem Buch „Acht Tage im Mai“ die letzte Woche der
NS-Diktatur.
Richard von Weizsäckers Rede zum 8. Mai: Der Führer war’s
Bundespräsident Richard von Weizsäcker wurde gefeiert, als er 1985 über den
8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ sprach. Aber wer hat genau hingehört?
Kriegsende vor 75 Jahren: Hurra, wir haben gewonnen!
In Deutschland gilt der 8. Mai heute als „Tag der Befreiung“. Doch der
Begriff birgt Tücken. Dabei geht es um mehr als nur um Wortklauberei.
Mein Kriegsende 1945: „Wir tanzten in Prag“
Zeitzeugen erinnern sich (Teil 6): Nikolaj Kurilenko, Rotarmist, hatte
gehofft seinen Bruder in Auschwitz zu finden.
Mein Kriegsende 1945: „Endlich die Deutschen bekämpfen!“
Zeitzeugen erinnern sich (Teil 2): Herbert Haberberg marschierte als
jüdischer Brigadist mit der britischen Armee in Deutschland ein.
Gespräch über Kriegsende vor 75 Jahren: „Die erste Teilung passierte 1945“
Der 8. Mai 1945 und das Erinnern: Ein Gespräch mit der ostdeutschen
Historikerin Silke Satjukow und dem westdeutschen Historiker Ulrich
Herbert.
Saul Friedländer über Erinnerungskultur: „Ich war ein Luftmensch“
Der Historiker und Shoah-Überlebende Saul Friedländer hatte lange panische
Angst vor Bindungen und Gefühlen. Ein Gespräch über Kitsch und Sprache.
Sammelband von Eike Geisel: Der Fremde ist eine Provokation
Erinnern sei in Deutschland die höchste Form des Vergessens, schrieb Eike
Geisel. Der Zusammenhang mit Fremdenhass lag für ihn auf der Hand.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.