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# taz.de -- Die Wahrheit: Und es hat Zoom gemacht …
> Pandemie der Liebe: Wenn’s im Homeoffice knistert und knattert,
> entwickeln sich ganz schnell Frühlingsgefühle der besonderen Art.
Bild: Sich näherzukommen, ist momentan zoomständlich
Yvonne Peters (26) staunt nicht schlecht, als sie die Schmetterlinge in
ihrem Bauch spürt, nur weil sie an den morgigen Arbeitstag denkt.
Insbesondere bei dem Gedanken an die Telefonkonferenz um elf Uhr und vor
allem einen ganz bestimmten Teilnehmer rührt sich in ihren Eingeweiden ein
ganzer Schwarm von Zitronenfaltern, Tagpfauenaugen und Schwalbenschwänzen.
Nicht viel anders geht es derweil Raymond Fraque (29), ihrem Kollegen aus
der Bilanzbuchhaltung, der normalerweise drei Schreibtische weiter sitzt
und seinerseits Yvonne mit stetig wachsendem Gefallen bei ihrer
mittäglichen Performance in der Telko beobachtet.
„Yvonne hat misch sofort Karussell gemacht, als isch sie das erste Mol
unfrisiert und ohne Lippenstift nebenher ihr Müsli schmatzong sah“,
schwärmt Fraque mit dem Bekenntnisdrang des Frischverliebten, während
Peters in den heimischen vier Wänden gluckst: „In dem Moment, als mir klar
wurde, dass sein süßer französischer Akzent nur gespielt ist, war’s um mich
geschehen!“
Raymond gesteht Yvonne abends über Whatsapp, dass zwar sein früh
verstorbener Vater Franzose war, er aber sonst deutschsprachig mitten in
Westfalen aufwuchs und die Sprache der Liebe nur aus dem Wörterbuch kennt;
Yvonne lacht sich kaputt. Nun haben sie ein gemeinsames Geheimnis. Die
Geschichte nimmt über Skype ihren Lauf, zwei Tage später sind die beiden
ein Paar. Fortan genießt man das Gefühl der Verliebtheit und dass man bei
den Telkos nun gemeinsam als starkes Team auftreten kann.
Peters und Fraque sind kein Einzelfall. Unzählige weitere Paare finden in
diesen Tagen über ihre Videokonferenz-Software zusammen, sei es Zoom oder
Jitsi. Dabei sind die elektronischen Tools zur Anbahnung von Liebe
mustergültig: Ständige Pannen machen gemeinsam lachen, einfrierende Bilder
lehren Aufmerksamkeit und Bescheidenheit, die dauernden Tonstörungen sind
praktische Übungen, einander genau zuzuhören – wer wünschte sich nicht so
einen Partner!
## Projektionsfläche für allerlei Sehnsüchte
Seit anderthalb Monaten nämlich arbeitet Deutschlands Mittelschicht im
Homeoffice. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich viele Kolleginnen und
Kollegen mit ganz neuen Augen sehen – mit den Kameraaugen ihrer
Smartphones, Laptops oder Heim-PCs. Diese liefern, wie viele Singles
erfreut feststellen, ein unvollständiges, verwischtes Bild des anderen:
ideal als Projektionsfläche für allerlei Sehnsüchte und gut gegen
Hautunreinheiten und andere kleine Schönheitsfehler. Kein Wunder, dass die
Liebe im Homeoffice aufblüht wie eine Orchidee.
Jüngste Opfer der grassierenden Amor-Epidemie: Viola Wingen und Petra
Buskup, beide tätig in der PR-Abteilung eines angesehenen Abfallentsorgers
und erst gestern zusammengekommen. „Es … Krrk … ging so … Krrkkkkk …
schnell!“, sagt Buskup (38) im Videotelefonat. „Ich fragte mich: Ist es die
… Krrrrrrkkrrkkk … Magie des Digitalen? Die Macht des Frühlings, der uns �…
Krrk … ‚Paarungszeit‘ signalisiert? Oder einfach nur … Krrrk … ihre
saustarke Wohnungseinrichtung?“
„Vor allem waren da: keine Kinder!“, sagt auf der anderen Seite Wingen
(34). Sie hatte Buskup bislang für eine alleinerziehende Mutter gehalten.
„Aber nicht nur das! Im Heimbüro war sie eine ganz andere Person:
herablassend gegenüber den anderen Kollegen, frech und vollkommen
selbstbewusst, jetzt, wo man nicht gleich sah, wie klein sie ist!“
Der verrückteste Zufall folgt jedoch: Beim Spähen in die Wohnung der
anderen entdeckten beide, dass sie Reproduktionen von Baselitz-Gemälden
hinter dem Schreibtisch hängen haben. „Baselitz, ich liebe Baselitz!“,
rufen Viola und Petra gleichzeitig in ihr Headset. „Und sie hatte das Bild
genau wie ich verkehrt herum aufgehängt!“ Als man sich später auch noch
gegenseitig „Computerliebe“ von Kraftwerk vorspielt, ist die Sache geritzt.
## Kritisch und total geil!
„Sicher“, bestätigt Diplompsychologe Arno Hapnitz von der Universität
Greifswald. „Wir modernen Menschen lieben heutzutage sowieso keine Menschen
mehr, sondern Schemata und Images. Wenn das überhand nimmt, wird es
kritisch – und, ehrlich gesagt, total geil!“
Dass die körperliche Liebe noch ein Weilchen auf ihre Erfüllung warten
muss, stört die Liebenden nicht, nährt ihre Sehnsucht, macht sie nur noch
geiler. Mit Bangen sehen viele von ihnen allerdings dem Ende der
Kontaktsperre und dem Neustart im Office entgegen. Wird die Kollegin, der
Kollege in leibhaftiger Form denselben Reiz ausstrahlen wie in der
elektronisch vermittelten Bürogemeinschaft? Und vor allem: Wird die
Begegnung mit dem Körper des oder der anderen eine Offenbarung oder ein
Schock?
„Warten wir’s ab“, sagt Petra Buskup trocken und zwinkert ins Ungefähre.
„Aber vielleicht …“, sagt Raymond Fraque auf seinem Balkon und blickt
sehnsüchtig in den Mond, „verabreden Yvonne und ich uns ja einfach mal auf
eine Pizza plus zehn, zwölf Bier – und schauen, was geht!“
29 Apr 2020
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
## TAGS
Homeoffice
Liebe
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