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# taz.de -- Die Wahrheit: Dauergeil im Hausarrest
> Das gute alte Rein-raus-Spiel in Zeiten der Pandemie: Der Lockdown macht
> das Leben für Singles alles andere als leicht.
Bild: Es brennt … es brennt … unter der Bettdecke
Es scheint, als reckten sie allenthalben schon ihre blassen Köpfchen aus
dem Erdreich, um uns verwöhnte Mittelschichtler mit all ihrer Sinnlichkeit
zu kitzeln und tief in den Rausch des Verlangens zu ziehen –
Spargelstangen! Doch hier wie überall gilt es, geduldig noch ein paar
Wochen zu warten, bis der berüchtigte Spargelurin endlich wieder warm durch
unsere Lenden schießt. Warten wie ein Heroinabhängiger auf die nächste
Spritze oder sogar wie ein (männlicher) Single auf den nächsten Schuss!
Denn sie sind, so darf man wohl sagen, die verlorene Generation: Inmitten
des Infektionsgeschehens samt aller Eindämmungsmaßnahmen, in der das
Mitleid der Mitmenschen so wohlfeil zu haben ist wie eine
AstraZeneca-Impfung, gibt es eine Gruppe verzweifelter Seelen, an die fast
niemand denkt, der sich zum Beispiel abends genüsslich einen runterholt:
die Singles! Während Pärchen in der Pandemie immer fester
zusammengeschweißt werden, nachts besonders an der einen Stelle, liegen
Menschen ohne feste Beziehung in der Regel bis zum Morgengrauen wach –
dauergeil im Hausarrest!
„Singles sind genauso viel wert wie andere Menschen, auch wenn sie nicht
dieselbe Ausstrahlung haben, nicht die emotionale Intelligenz und nicht die
Figur“, sagt beispielsweise entschuldigend Winfried Stork (37),
IT-Beauftragter aus Heilbronn, der nebenberuflich der Deutschen
Singles-Front vorsteht.
„Wir sind halt bloß einsam, gerade jetzt in der Coronazeit, wo uns alles
verboten wird, was das Leben einst lebenswert machte, zum Beispiel
Volkshochschulkurse oder sehnsüchtigen Blickes im Eiscafé rumzusitzen.“
Storks Stimme bricht. „Weil es uns Hoffnung gab, Hoffnung, H-o-f-f-n-u-n-g,
versteht ihr denn nicht?“, beginnt der ungeschlachte Mann im Trainingsanzug
von Boss jetzt hemmungslos drauflos zu weinen.
## Ewige Einsamkeit
Tatsächlich kommen Singles im Lockdown achtmal seltener dazu, jemandem den
Pyjama abzustreifen, den Pulli hochzuschieben oder das Höschen
runterzuziehen als vor der Pandemie. „Aber das war schon selten genug“,
beschwert sich Stork und betont von Seiten der Singles vor allem die ewige
Einsamkeit wie auch die leicht gestiegenen Depressions- und Suizidraten des
letzten Jahres. „Die Politik“, sagt der hagere Enddreißiger, „richtet si…
weiterhin an einem konservativen Familienmodell aus, in dem es anscheinend
jede Nacht ‚zur Sache geht‘ und ignoriert unsere Not komplett.“ Und die
scheint groß zu sein, wie überall zu hören ist.
„An manchen Tagen ist der einzige, mit dem ich rede, der Vogel; also der,
hihi, in meinem Kopf“, sagt beispielsweise Kirsten Boje (42),
Mitorganisatorin der Münsterländer Ü40-Bewegung, die sich in den Kopf
gesetzt hat, die Rechte der Singles auch in der Pandemie umfassend zu
schützen. „Ich denke manchmal fast, das Singledasein sei ansteckend“, sagt
die kleine, anstrengend wirkende Frau leise, „aber die machen das, schätze
ich, eher mit 5G-Strahlung oder so – und jetzt hau ab, Systempressefuzzi!“
Andere jedoch nehmen das Heft selber in die Hand so wie Leon (34) und seine
Romina (28) die ihre Schach-Freundschaft kurzerhand in eine
„Schach-Freundschaft with a Benefit“ umwidmeten. „Geil“, stöhnt Leon h…
„astreines Patt“, juchzt Romina, und weil beide immer das Fenster ihres
Schlafzimmers weit offen lassen, hat auch die Nachbarschaft etwas von dem
„Stellungskrieg“, den die sich die beiden seither Nacht für Nacht liefern.
„Wir haben im Homeoffice ja sonst nichts zu tun“, jubiliert Romina, während
sie Leons „König“ im Endspiel mit geübter Hand in Bedrängnis bringt.
## Freudloses Lachen
Nicht jeder und jede ist freilich begeistert, quasi allabendlich Material
unter die Ohren gerieben zu bekommen, das unter normalen Umständen gewiss
49 Cent pro Minute kosten würde (aus dem Netz der Deutschen Telekom).
„Meine Nachbarn über mir …“, kichert errötend Virginie (23), eine lebha…
Studentin der Religionswissenschaft aus München, die sich der
Singles-Bewegung „Don’t forget us!!“ angeschlossen hat, „… wären ehe…
Cent! Den ganzen Tag: Ah, ah, ah, ah! Und die ganze Nacht dann: Aaaahhh!
Ooooouuuuu-aaaaaaaaarrrgggghhhh!“ Virginie lacht freudlos.
Denn die bittere Wahrheit ist: In Deutschlands Betten herrscht Hochbetrieb,
teils sogar Schichtbetrieb! „Was in Deutschlands Volkswirtschaft gerade
wieder zusammengeknattert wird, geht auf keine Kuhhaut. Aber nur, weil da,
vor dem Kamin, noch ein von Sexlust benommenes anderes nacktes Pärchen
liegt“, zeigt sich der Chefökonom der Deutschen Bank, Dr. Rüdiger
Lovenhöter, überzeugt. „Ansonsten: You can call me the Doctor of Love,
angenehm.“ Wir verschwinden mal kurz „auf eine Zigarette“ in seinem Büro.
Ansonsten aber richten die oben irgendwie erwähnten Singles den Appell an
die Politik, sie nicht zu vergessen, nicht wie die ganzen letzten Male,
sich doch bitte mal wieder zu melden, es kann auch nur ganz kurz am Telefon
sein, aber sie bitte nicht wieder total vergessen, weil, mit der
Enttäuschung wollen sie nicht länger leben, und das sagen sie, nachdem sie
all ihren Mut zusammengenommen haben, hier jetzt mal ganz klar.
13 Apr 2021
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
## TAGS
Sex
Singles
Pandemie
Annalena Baerbock
Kolumne Die Wahrheit
Familie
Homeoffice
Schwerpunkt Coronavirus
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