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# taz.de -- Drogensüchtige in Coronakrise: Die Hotels wären frei
> Für Drogenabhängige ist das Coronavirus lebensbedrohlich.
> Hilfseinrichtungen versuchen zu verhindern, dass sich die Lage
> verschlechtert.
Bild: Drogensüchtiger in einem Druckraum in Frankfurt/ Main
Frankfurt taz | Die Restaurants sind leer, Bars vergittert, Bordelle
geschlossen. Das Vergnügungsviertel im Frankfurter Bahnhofsviertel liegt
dieser Tage aufgrund der [1][Coronakrise] weitestgehend brach – nur die
offene Drogenszene der Stadt ist weiterhin sichtbar, prägt das ansonsten
menschenleere Straßenbild.
Für die Menschen in der Szene spitze sich die Lage zu, schreiben einige
Angestellte der Integrativen Drogenhilfe (IDH) nun in einem offenen Brief,
der einem Hilferuf gleicht. „Menschen werden auf der Straße sterben“, hei�…
es. Man befürchte, dass sich das Coronavirus „wie ein Lauffeuer im
Bahnhofsviertel und darüber hinaus verbreiten“ könne, wenn nicht sofort
gehandelt werde.
Nicht nur im Frankfurter Bahnhofsviertel, auch bundesweit sind
drogenkonsumierende Menschen besonders gefährdet, einen lebensbedrohlichen
Krankheitsverlauf bei einer Corona-Infektion zu erleiden. Durch
Wohnungslosigkeit und den Konsum harter Drogen, oft durch Inhalation, ist
das Immunsystem geschwächt, Vorerkrankungen der Lunge sind keine
Seltenheit.
Der gesundheitliche Zustand vieler Konsumierender in Frankfurt sei
schlecht, schildert Angela Grünzel, eine der Initiator*innen des offenen
Briefs und Angestellte im Konsumraum der IDH. Einige Menschen hätten
tagelang nichts gegessen, vielen würde derzeit die Finanzierung wegfallen.
Im leeren Bahnhofsviertel fehle es den bis zu 400 Konsument*innen an Geld
durch Passant*innen und Flaschensammeln, auch Prostitution sei kaum mehr
möglich. In anderen Städten bricht der Verkauf von Zeitungen ein. Und auch
die Beschaffungskriminalität falle weg. All das führe nicht nur zu Frust,
sondern auch zu stetig wachsenden Gefahren für Gesundheit und Leben der
Konsumierenden.
## Engpässe bei der Schutzausrüstung
Die Integrative Drogenhilfe bietet im Frankfurter Stadtgebiet verschiedene
Anlaufstellen, Unterkünfte und Hilfen für drogenabhängige und wohnungslose
Menschen. Im Bahnhofsviertel betreibt sie etwa eine Einrichtung, in der
saubere Spritzen ausgegeben und ein hygienisches Umfeld für den
Drogenkonsum bereitgestellt wird. Medizinische Beratung wird ebenso
angeboten wie Getränke und ein Platz zum Ausruhen oder Aufwärmen. Wie sind
die Unterstützungseinrichtungen hier auf das sich schnell ausbreitende
Coronavirus vorbereitet? Welche Schritte unternehmen insbesondere die
deutschen Großstädte zurzeit?
Angela Grünzel berichtet der taz von Engpässen in der Versorgung mit
Infektionsschutz, wie etwa Schutzkleidung oder Plastikvorrichtungen im
Klientenkontakt. Die Abläufe der Konsumeinrichtung wären im Zuge der
Coronapandemie bereits verändert, es gäbe etwa eine strengere
Einlasskontrolle mit Sicherheitsabständen, mittlerweile wieder abgeschaffte
Wartelisten für die Toilette und eine verringerte Anzahl an Konsumplätzen
zum Infektionsschutz.
Die Maßnahmen würden zwar akzeptiert, bewirkten jedoch durch zeitweise
lange Wartezeiten auch einen verstärkten Konsum auf der Straße. Eine
Polizeistreife fordere per Lautsprecherdurchsage die bis zu 40
Konsumierenden vor der Einrichtung regelmäßig dazu auf, Abstand zu halten.
Die Konsumräume wurden von der Stadt Frankfurt mittlerweile mit
Plastikschutz ausgestattet, für Mund-zu-Mund-Beatmung wurden entsprechende
Masken angeschafft, die eine Übertragung des Virus verhindern sollen. Das
Gesundheitsdezernat suche zudem nach einer Unterbringung für auf Corona
positiv getestete wohnungslose Drogenabhängige und möglicherweise deren
Kontaktpersonen. Es sei allerdings nicht leicht, hier einen Vermieter zu
finden, der bereit sei, [2][diese Personengruppen unterzubringen], teilt
das Gesundheitsdezernat auf Anfrage der taz mit.
## Abhängige ins 4-Sterne-Hotel?
„Wir dachten schon so eher ans Radisson Hotel“, entgegnet Grünzel auf eine
Frage dazu und meint damit das leerstehende 4-Sterne-Hotel im Frankfurter
Westen. Statt einer Unterbringung bereits infizierter wohnungsloser
Drogenabhängiger fordert sie eine infektionssichere Unterbringung aller
Wohnungslosen.
Dem hält das Gesundheitsdezernat auf taz-Anfrage entgegen. „Es ist leider
auch nicht damit getan, ein leer stehendes Hotel zu mieten und zu glauben,
damit sei das Problem gelöst“, so das Dezernat. Die Einrichtungen für
Wohnungslose im Stadtgebiet hätten noch Platz, Einrichtungen der
Drogenhilfe für Substitutionspatienten würden etwa Lunchpakete verteilen.
Man beobachte stetig die Lage, so das Gesundheitsdezernat.
Drogen gibt es auf dem Markt derzeit noch, wie aus mehreren Großstädten zu
hören ist. Dies könnte sich jedoch in absehbarer Zeit ändern, weil die
Grenzen dicht sind. Drogenhilfen in ganz Deutschland befürchten steigende
Preise und eine Zunahme gefährlicher Streckmittel. Aufgrund der
wegfallenden Finanzierung fordert etwa die Aidshilfe den barrierefreien
Zugang zu Substitutionsprogrammen, auch für Menschen ohne
Krankenversicherung.
In Hamburg ist ein solches Angebot bereits geschaffen worden. Die
Substitutionsambulanz Drob Inn in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs
bietet seit Montag einen niedrigschwelligen Zugang zu Substitution durch
Methadon, auch für Menschen ohne Krankenversicherung.
## Geschlossene Grenzen = mehr gestreckte Drogen
Urs Köthner hält das für unabdingbar. Der Geschäftsführer des Vereins
Freiraum macht akzeptierende Drogenarbeit in Hamburg, betreibt auch
Konsumräume. „Es rächt sich jetzt, dass wir kein Drug Checking haben“, so
Köthner und meint damit Tests im Labor, um Abhängige vor besonders
gefährlichen, weil verunreinigten Präparaten schützen zu können. Mehr
gestreckte Drogen auf dem Markt könnten bald zunehmend zu Problemen führen,
etwa zu Überdosierungen, schweren Gesundheitsbeschwerden oder
unkontrolliertem Entzug. Eine unbürokratische Substituierung müsse deshalb
bundesweit her, forder Köthner, auch über Substitution für
Kokainkonsument*innen müsse dringend gesprochen werden.
Auch Köthners Verein mangelt es mittlerweile an Schutzausrüstung. „Heute
hätte ich die Einrichtung geschlossen, wenn die Lieferung nicht gekommen
wäre“, sagt er im Gespräch mit der taz am Montag. Es gebe Engpässe in der
Versorgung mit Infektionsschutz, wie Masken und Schutzanzüge. Der direkte
Kontakt zu Gästen der Einrichtungen würde damit erschwert, auf Dauer sei
man auf weitere Lieferungen angewiesen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.
„Wir befinden uns gerade in einer relativen Entspannung auf Krisenniveau“,
sagt Astrid Leicht, Geschäftsführerin des Berliner Fixpunkts, der taz. Auch
sie berichtet von einem eingeschränkten Betrieb ihrer Angebote für
Drogenabhängige in der Hauptstadt, man beschränke sich vor allem auf die
Unterstützung eines infektionssicheren Konsums, etwa durch
Spritzenautomaten in der Stadt oder durch Konsumräume. Medizinische
Unterstützung oder gar soziale Arbeit sei derzeit nicht möglich. Auch hier
sei die mangelhafte Ausstattung etwa mit Schutzmasken oder
Desinfektionsmittel der Grund.
Der Fixpunkt hofft auf eine baldige Unterstützung durch entsprechenden
Infektionsschutz, die Einrichtung wurde in Berlin wie in Hamburg als
systemrelevant eingeordnet. Sofern die Unterstützung jedoch ausbleibt,
müsse mit weiteren Einschränkungen gerechnet werden. Astrid Leicht und ihr
Team werde sich jetzt „sortieren und vorbereiten auf die nächste
Eskalation, dafür sind wir noch nicht optimal aufgestellt“.
## „Die Situation ist hausgemacht“
Bei allen schlechten Nachrichten: In den Drogenszenen in Frankfurt, Berlin
und Hamburg sind bisher keine Corona-Infektionen bekannt. Mitte März habe
sich ein erster Infektionsverdacht als falsch herausgestellt, lediglich die
mutmaßlich infizierte Person sei in Quarantäne gekommen.
Angela Grünzel aus Frankfurt hofft durch die Coronakrise auf eine
grundlegende Debatte über die Drogen- und Suchtpolitik in Deutschland. „Die
Situation ist hausgemacht“, sagt sie. Dass Drogen illegal sind und
Konsument*innen und Süchtige damit kriminalisiert werden, räche sich in
solchen Krisenzeiten. „Die Prohibitionspolitik gehört abgeschafft, denn sie
hat die Leute in die Verelendung getrieben“, so Grünzel.
9 Apr 2020
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## AUTOREN
Kevin Culina
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