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# taz.de -- Leichte Sprache in Corona-Zeiten: „Regeln müssen verstanden werd…
> Informationen über Corona zugänglich machen für jede*n: Das ist derzeit
> eine Aufgabe der Hildesheimer Forschungsstelle Leichte Sprache.
Bild: Was ist denn nun noch erlaubt? Hamburger Polizistin wacht zu Pferde über…
taz: Frau Maaß, Frau Rink, haben Sie gerade mehr zu tun [1][wegen Corona]?
Christiane Maaß: Wir haben gleich viel zu tun. Es sind aber andere
Aufträge, die sich nach vorne schieben.
Was genau kommt da so alles auf Ihren Tisch?
Isabel Rink: Es ist das ganz breite Spektrum. Einerseits das, [2][was alle
wissen müssen]: Wie kann ich eine Ansteckung vermeiden? Wo kommt jetzt mein
Gehalt her? Die wichtigsten FAQ, sozusagen. Aber gerade für die Personen,
die bisher noch nicht recht mitgenommen wurden aufgrund ihrer
Kommunikationsbeeinträchtigung: Wenn ich eine Verdolmetschung brauche – wie
mache ich das mit [3][Zoom]? Also die Bedienung von Videotelefonie.
Maaß: Es sind ja gesellschaftliche Regeln neu hinzugekommen: Man kann jetzt
bestraft werden für Dinge, die vor kurzem noch erlaubt waren. Und dass so
etwas kommuniziert wird, ist natürlich wichtig – auch in sprachlichen
Formen, die schnell verstanden werden.
Es gibt [4][Leichte Sprache] und Einfache Sprache – was ist der
Unterschied?
Maaß: Beide Varianten sind gegenüber dem Standard deutlich verständlicher.
Einfache Sprache ist näher dran an diesem Standard, Leichte Sprache ist
maximal verständlich: Das sind Texte, die sich auch an Menschen mit
Kommunikationsbehinderungen richten. Wenn wir dagegen eine Kommunikation
zwischen Experten und Laien haben, wo sich also Fachleute an Nichtfachleute
wenden, dann versuchen sie einfache Sätze zu nutzen, Nominalphrasen zu
vermeiden, Fachwörter einzuführen und zu erläutern – da sind wir im Bereich
der Einfachen Sprache. Die ist aber für Menschen mit
Kommunikationseinschränkung meist noch nicht leicht genug zu verstehen; das
reicht nicht, wenn es barrierefrei sein soll.
In wessen Auftrag handeln Sie – oder tun Sie das auch auf eigene
Initiative?
Rink: Sowohl als auch. Beauftragt werden wir etwa vom Wort & Bild Verlag,
der die Apotheken Umschau herausgibt.
Die gibt an, sie biete, „als erstes deutschsprachiges Gesundheitsportal
[5][Informationen rund um die Gesundheit in Einfacher Sprache]“ online an.
Rink: Es gibt aber auch die [6][Task Force Barrierefreie Kommunikation und
Corona]: Das ist ein Verbund von Dolmetschenden und Übersetzenden, die
zunächst ehrenamtlich tätig sind, weil die Not gerade sehr groß ist. Denn
es birgt ja konkrete Risiken, wenn wir bestimmte Menschen nicht erreichen –
was die Politik gerade nicht macht, weil sie es nicht auf dem Schirm hat.
Die Task Force nimmt also eine Mittlerposition ein: einerseits hin zu den
Menschen, die barrierefreie Kommunikation brauchen; andererseits hin zum
Robert-Koch-Institut, hin zu den Bundesministerien.
Stichwort Nicht-auf-dem-Schirm-haben: Kommen die, für die Sie Ihre Arbeit
machen, nicht besonders leicht unter die Räder?
Maaß: Wir sprechen von Menschen, die, wenn sie die Informationen nicht
bekommen, sehr konkret in Gefahr geraten und alle anderen um sie herum
ebenso. Das ist von einer ganz anderen Dramatik, als wenn es, sagen wir:
„nur“ um eine Wahl geht. Natürlich wollen die Menschen auch politisch
partizipieren können – aber ihre Gesundheit zu schützen, ist gerade ein
ganz grundlegendes Interesse. Darin müssen wir sie unterstützen. Die
Durchschnittsbevölkerung kann, wo nötig, nachfragen. Aber die Menschen, um
die es in unserer Arbeit geht, können sich nicht einfach ein bisschen mehr
anstrengen, um etwas doch noch zu verstehen. Wir müssen einen großen
Schritt auf sie zugehen.
Und manches der [7][Textproduktion im Zusammenhang] mit Corona überfordert
ja auch Menschen ohne besonderen Bedarf – die niedersächsische
Allgemeinverfügung wurde schon als wirr bezeichnet …
Maaß: Wenn wir diesen Gedanken einen Schritt weitertragen, heißt das doch:
Wenn solche Informationen in klarer Form zur Verfügung stehen, werden sie
auch nachgefragt; auch von Menschen, die nicht zur primären Zielgruppe
gehören. Weil sie Dinge gut auf den Punkt bringen.
Wissen Sie, wer die Früchte Ihrer Arbeit in Anspruch nimmt?
Maaß: Wir haben mal mit dem niedersächsischen Justizministerium
zusammengearbeitet, da ging es um verständlichere Rechtskommunikation,
unter anderem im Erbrecht. Ein Ergebnis war [8][eine Broschüre in Leichter
Sprache] – die ist zehntausendfach rausgegangen, und mehrfach wieder
aufgelegt worden. Daraus schließen wir, dass viele Menschen sehr froh
waren, diese Materie mal verständlich dargestellt zu bekommen.
Erfahren Sie in diesen Zeiten mehr Unterstützung der Politik?
Rink: Wir waren unlängst im Bundesgesundheitsministerium, und das weitet
gerade seinen Blick; man hat verstärkt auf dem Schirm, dass es im Bereich
Gesundheitskompetenz großen Bedarf gibt. Dazu wurde ein Aktionsplan
herausgebracht mit 15 Empfehlungen. Eine davon war die verständliche
Aufbereitung von Gesundheitsinformationen.
Maaß: Es brauchte aber nicht erst Corona, um bei dem Thema etwas zu
bewegen. Wir haben vorher schon bemerkt: Das Interesse am Bereich Health
Literacy – Gesundheitskompetenz – wächst. Weil man bestimmte Probleme nicht
in den Griff bekommt, wenn man nicht verständlich kommuniziert.
Rink: Es geht im Kern um vermeidbares Leid und vermeidbare Kosten. Das sind
die beiden Schlagworte, warum man sich damit befassen muss.
Gelegentlich wird [9][geradezu hämisch gesprochen] über die Leichte
Sprache.
Maaß: Es ist eine komplexe Lage. Leichte Sprache macht Inhalte
verständlich. Aber es gibt auch Texte in Leichter Sprache, die dazu
beitragen, dass man negativ über sie urteilt. Die sehr kindlich und in dem
Sinne auch asymmetrisch angelegt sind, dass sie die andere Seite in ein
Stigma reinschieben: „Kann nicht lesen, braucht solche Texte.“
Leichte-Sprache-Produzenten müssen darauf schauen, dass ihre Texte
akzeptabel sind. Andererseits ist Leichte Sprache ein Symbol: Dafür dass
bestimmte Gruppen anerkannt werden; und dafür muss man sie dann auch
erkennen. Wir stecken in einer Zwickmühle.
23 Apr 2020
## LINKS
[1] /!t5660746/
[2] /Corona-Infos-in-Leichter-Sprache/!5672911
[3] /Zoom-und-die-Corona-Krise/!5674593/
[4] /Politik/Deutschland/Leichte-Sprache/!p5097/
[5] https://www.wortundbildverlag.de/news/apotheken-umschaude-bietet-als-erstes…
[6] https://barrierefreiposten.de/barrierefreie-kommunikation-und-corona.html
[7] https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/erlasse-und-allgemeinverfuegung/vo…
[8] https://justizportal.niedersachsen.de/startseite/leichte_sprache/broschuren…
[9] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article181637056/Das-Parlament-Beila…
## AUTOREN
Alexander Diehl
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