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# taz.de -- Zahl der Toten durch Corona: Über Sterblichkeit
> Deutschland scheint die Epidemie im Griff zu haben. Zahlen anderer
> Ländern lassen vermuten, dass viel mehr Menschen an Covid-19 sterben als
> bekannt.
Bild: Mehr Tote, als statistisch zu erwarten gewesen wären: Transport einen Co…
Berlin taz | Die Zahlen, die das Robert-Koch-Institut [1][am Donnerstag
veröffentlicht hat,] klingen gut. Weitere rund 3.800 Menschen, schätzt das
Institut, sind in Deutschland von einer Corona-Infektion genesen. Insgesamt
stieg die Zahl damit nicht nur erstmals auf über 100.000 wieder Gesunde.
Zudem sinkt die Menge der akut Infizierten weiter. Sie liegt nun unter
45.000, so wenig wie zuletzt Ende März. Im Laufe des April war sie
zwischenzeitlich auf rund 65.000 gestiegen.
Dass dennoch längst nicht alles wieder gut ist, erkennt man am Blick auf
die Todeszahlen. 215 Menschen sind laut Robert-Koch-Institut am Mittwoch an
Covid-19 gestorben. Eine Zahl, die sich seit gut einer Woche mit
Ausschlägen nach oben und unten Tag für Tag wiederholt. Insgesamt sind
jetzt bereits mehr als 5.000 Todesopfer in Deutschland zu beklagen.
Im internationalen Vergleich ist das immer noch sehr wenig. Doch es ist
fraglich, ob das so bleiben wird, da sich Bund und Länder auf eine
weitgehende [2][Lockerung der Coronamaßnahmen] geeinigt haben. „Ich
bedauere es sehr zu sehen, dass wir dabei sind, diesen Vorsprung vielleicht
zu verspielen“, [3][warnte etwa Christian Drosten, der Virologe] von der
Berliner Charité am Mittwoch im NDR-Podcast. Und er [4][verweist auf ein
Phänomen], das mittlerweile in vielen anderen Ländern deutlich sichtbar
wird: die sogenannte Übersterblichkeit.
Der Begriff taucht in den letzten Tagen zunehmend in der Diskussion um die
Auswirkungen des Coronavirus aus. Er beschreibt anhand statistischer
Berechnungen, wie viele Menschen in einem bestimmten Zeitraum mehr sterben,
als üblicherweise aufgrund der Zahlen aus der Vorjahren zu erwarten gewesen
wäre.
Und diese Zahlen sind tatsächlich dramatisch, wie [5][eine Recherche der
New York Times zeigt]. Deren anschauliche Grafiken belegen, dass die
Mortalität in zehn untersuchten Ländern deutlich gestiegen ist. Offenbar
führt die Corona-Epidemie dort zu deutlich mehr Todesfällen als bisher
bekannt.
## 60 Prozent mehr Opfer in Spanien
Für Spanien wurde zum Bespiel errechnet, dass vom 9. März bis zum 5. April
19.700 Menschen mehr gestorben sind, als statistisch zu erwarten gewesen
wäre. Nach den offiziellen Angaben des Landes wurden im gleichen Zeitraum
aber nur 12.400 Covid-19-Tote gemeldet. Das legt die Vermutung nahe, dass
es tatsächlich 60 Prozent mehr Corona-Opfer gab, die aufgrund fehlender
Diagnosen aber nicht in der offiziellen Zählung auftauchten.
Noch dramatischer sind die Zahlen für die eh schon hart vom Coronavirus
getroffene Stadt New York. Dort starben zwischen Mitte März und Mitte April
viermal mehr Menschen als für die Jahreszeit üblich. Zu den für diesen
Zeitraum offiziell genannten 13.240 Covid-19-Toten müsste man laut New York
Times nochmal rund 4.000 hinzurechnen. Bei solchen Zahlen scheint der
englische Fachbegriff für Übersterblichkeit mehr als angebracht. Er lautet
„excess deaths“.
Wie bei Statistiken üblich muss man natürlich auch diese Zahlen mit
Vorsicht genießen. So ist es möglich, dass die Übersterblichkeit zumindest
zu einem gewissen Teil nicht durch unentdeckte Covid-19-Fälle zu erklären
ist, sondern auch durch Nebeneffekte des Lockdowns, wie etwa [6][die
britische Times kürzlich vermutete].
## Beispielloser Anstieg in Großbritannien
Die Financial Times kam [7][am Mittwoch aufgrund von Zahlen des Büros für
nationale Statistik jedoch auch für das Vereinigte Königreich zu einer
dramatischen Hochrechnung]. Selbst bei konservativer Schätzung, so die
britische Zeitung, müsse man von über 41.000 Covid-19-Toten in
Großbritannien ausgehen. Das ist mehr als doppelt so viel wie die
offiziellen Zahlen. Der aktuelle Anstieg der Mortalität sei „beispiellos“
und deutlich stärker ausgeprägt als in einer üblichen Grippesaison, werden
Fachleute zitiert.
Damit könnte auch das bisher vielfach von Kritikern der Lockdown-Maßnahmen
genannte [8][Argument hinfällig sein: die Behauptung], dass durch das neue
Coronavirus auch nicht mehr Menschen ums Leben kommen als durch eine
übliche Grippe.
Bisherige Zahlen ließen diese Argumentation durchaus zu. So zeigen etwa
[9][die Kurven des „European mortality monitoring“] (Euromomo), dass es
europaweit auch während der Grippewellen rund um den Jahreswechsel
2016/2017 sowie im Frühjahr 2018 eine deutlich sichtbare Übermortalität
gab. Anhand solcher Statistiken wurde zum Beispiel berechnet, dass die
letzten beiden Grippewellen in Deutschland je über 20.000 Todesfälle
verursacht hatten, obwohl nur maximal 1.600 Fälle durch Laboranalysen
bestätigt waren.
[10][Die Ausschläge der Euromomo-Kurven] der letzten Wochen zeigen jedoch
derart steil nach oben, dass klar ist: Durch Covid-19 werden die bisherigen
Höchstzahlen übertroffen. Der Rekordwert lag bisher in der zweiten Woche
des Jahres 2017. Für hatte Euromomo errechnet, dass durch eine Grippewelle
europaweit knapp 14.000 Menschen starben als erwartet. Für die 15. Woche
dieses Jahres wurde schon eine Übersterblichkeit von 19.000 angegeben. Ein
Wert, der laut Euromomo sogar noch steigen dürfte, da noch nicht alle Daten
asu den letzten Wochen komplett sind.
Die Übersterblichkeit sei „sehr substanziell“, schrieb das [11][Euromoma in
seinem am Donnerstag veröffentlichten Bulletin]. Sie treffe vor allem die
über 65-Jährigen, sei allerdings auch bei den 15- bis 64-Jährigen sichtbar.
Unter den 24 bei Euromomo aufgeführten Ländern gibt es große Unterschiede.
Besonders extreme Übersterblichkeiten gibt es demnach in Italien,
Frankreich, Spanien, der Schweiz, Belgien, Holland und Großbritannien.
Aber auch in Schweden, das wegen seiner Laissez-Faire-Politik von vielen
Kritikern der Lockdown-Maßnahmen gelobt wird, steigt die Übersterblichkeit.
Sie liegt hier mittlerweile ebenfalls auf Rekordhöhe. In den Nachbarländern
Norwegen und Dänemark, die sehr rigide Regeln erlassen hatte, ist hingegen
kein Ausschlag nach oben zu erkennen.
## Bisher kein Effekt in Deutschland sichtbar
Für Deutschland gibt es bisher keine aktuellen Zahlen zur
Übersterblichkeit. Zwar veröffentlichte das Bundesamt für Statistik
kürzlich eine erste [12][Sonderauswertung zu ersten Sterbefallzahlen des
Jahres 2020]. Darin heißt es, dass „aktuell noch keine Hinweise auf eine
Übersterblichkeit durch Covid-19“ erkennbar seien. Allerdings wurden für
diese Analyse auch nur die Zahlen bis zum 15. März ausgewertet. Bis dahin
gab es laut Robert-Koch-Institut gerade mal 12 bestätigte Corona-Tote in
Deutschland. Einen statistisch sichtbaren Effekt konnte die Epidemie da
also noch gar nicht haben.
Aktuelle Zahlen findet man – erneut bei Euromomo – nur für die Bundesländ…
Hessen und Berlin. Diese Kurven lassen bisher keinerlei Anstieg erkennen.
Warum das so ist, lässt sich mit letzter Sicherheit nicht erklären.
Vielleicht hat Deutschland schlichtweg Glück gehabt. Wahrscheinlich lag es
aber auch an den vergleichsweise früh erlassenen Kontaktbeschränkungen, die
aber jetzt weitgehend aufgehoben werden.
Die Auswirkungen dieser Lockerungen werden sich bei den Infiziertenzahlen
erst in ein bis zwei Wochen niederschlagen, bei der Zahl der Todesopfer
dürfte es einen Ausschlag wohl frühestens Mitte Mai geben.
Der Virologe Drosten ist aufgrund der hohen Übersterblichkeit in Ländern
wie Großbritannien schon jetzt äußert beunruhigt. „Uns wurde dies vor allem
durch frühe und breit eingesetzte Diagnostik erspart“, [13][twitterte
Drosten]. „Verspielen wir diesen Vorsprung nicht.“
23 Apr 2020
## LINKS
[1] https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4
[2] /Kampf-gegen-Corona-Epidemie/!5676349&s=merkel+lockerung/
[3] https://twitter.com/ChariteBerlin/status/1253067350762496001
[4] https://twitter.com/c_drosten/status/1252601814891069440
[5] https://www.nytimes.com/interactive/2020/04/21/world/coronavirus-missing-de…
[6] https://www.thetimes.co.uk/article/coronavirus-record-weekly-death-toll-as-…
[7] https://www.ft.com/content/67e6a4ee-3d05-43bc-ba03-e239799fa6ab
[8] https://www.mimikama.at/allgemein/corona-krise-euromomo-warnt-vor-fehlinter…
[9] https://www.euromomo.eu/graphs-and-maps/
[10] https://www.euromomo.eu/graphs-and-maps/
[11] https://www.euromomo.eu/bulletins/2020-16/
[12] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbef…
[13] https://twitter.com/c_drosten/status/1252601814891069440
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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