# taz.de -- Datenschutz bei Corona-Soforthilfe: Wer Geld will, macht sich nackt | |
> Hamburg nutzt eine App, um bei Anträgen auf Soforthilfe die Identität | |
> festzustellen. Private Daten gehen damit an ein Wirtschaftsunternehmen. | |
Bild: Vor der ungewollten Weitergabe privater Daten schützt Hamburger Antragss… | |
HAMBURG taz | Kontodaten, IP-Adresse, die Personalausweisnummer, die | |
Meldeadresse und ein Handy-Selfie – sensible Daten, bei denen man gerne | |
selbst bestimmt, wem man sie zu welchen Zwecken weitergibt. Wer die vom | |
Staat zugesagte Nothilfe in Hamburg abrufen möchte, kann das nicht: Die | |
Antragsstellung erfordert seit vergangenem Wochenende die Nutzung einer | |
App. Deren Betreiber ist das Privatunternehmen Nect GmbH; die Daten | |
verbleiben bis zu 48 Monate auf ihren Servern. | |
Hamburg wählt diese Lösung, um Betrug zu verhindern. Mit digitalen Anträgen | |
sollten Solo-Selbstständige und kleine Unternehmen [1][schnell an die | |
Corona-Soforthilfen] von Bund und Ländern kommen. Doch Betrüger*innen haben | |
die Antragsportale der Förderbanken der Länder nachgebaut, um zu „phishen�… | |
also an die Daten der echten Antragssteller*innen zu kommen. In deren Namen | |
und mit veränderten Kontodaten stellten sie dann fingierte Anträge auf | |
Soforthilfen. Auch [2][in Hamburg gab es solche Betrugsversuche] – sie | |
wurden jedoch bemerkt, bevor das Geld ausgezahlt wurde. | |
Um sich vor diesen falschen Anträgen zu schützen, wurde die App | |
„SelfieIdent“ von Nect gewählt. Über Videos vom Ausweisdokument und eine | |
kurze Tonaufnahme samt Selfie soll das Programm die Identität der | |
Antragssteller*innen einwandfrei nachweisen. | |
Die Methode ist alternativlos – zumindest für die Betroffenen in Hamburg: | |
Ein Antragssteller berichtete der taz, dass er statt der Nutzung der App | |
persönlich mit seinem Ausweis zur Identifizierung habe vorbeikommen wollen. | |
Doch die Telefonauskunft der Förderbank IFB habe erklärt, dass das nicht | |
vorgesehen sei. Die Digitalisierung schreite nun einmal voran, das solle er | |
einsehen. | |
## Mehrere Beschwerden beim Datenschutzbeauftragten | |
Wie weit die App des privaten Betreibers Datenschutzbedenken rechtfertigt, | |
will die [3][Hamburger Datenschutzbehörde noch nicht kommentieren]: Man | |
habe keine Zeit gehabt, die App zu prüfen oder auch nur anzusehen. | |
Schließlich hatte die IFB vor der Entscheidung für die Software nicht | |
zunächst beim Datenschutzbeauftragten nachgefragt. | |
Beim öffentlichen IT-Dienstleister Dataport wagt man sich an eine erste | |
vorläufige Bewertung der App: „Die Datenschutzgrundlagen sahen auf den | |
ersten Blick ganz gut aus“, so Dataport-Sprecherin Britta Heinrich – sie | |
entsprächen der europäischen Datenschutzgrundverordnung und, ebenfalls | |
wichtig, die Server stünden in Deutschland. | |
Viele Bürger*innen scheinen sich dennoch nicht wohl damit zu fühlen, dass | |
sie für einen Antrag auf staatliche Fördergelder ihre persönlichen Daten an | |
ein Privatunternehmen geben müssen: Beim Hamburger Datenschutzbeauftragten | |
sind am gestrigen Mittwoch mehrere Beschwerden eingegangen. | |
Die Hamburger Finanzbehörde dagegen will von Beschwerden bisher nichts | |
gehört haben. Sie rechtfertigt den Einsatz der Nect-App: „Der Vorteil des | |
Robo-Ident-Verfahrens liegt in der sicheren, unkomplizierten, | |
nutzerfreundlichen Anwendung und der hohen Verarbeitungsgeschwindigkeit“, | |
wirbt die Behörde gleich in zwei Antworten auf taz-Fragen. Die App trage so | |
dazu bei, den Bewilligungsprozess möglichst kurz zu gestalten. Zudem | |
erfülle „die Nect GmbH alle derzeit in Deutschland gültigen | |
Datenschutz-Anforderungen“, auch als private Firma. | |
## Nach staatlichem Anbieter nicht gesucht | |
Ein staatlicher Anbieter, „der mit einer Vielzahl von Ausweisdokumenten | |
verlässlich arbeiten kann“, sei ihnen nicht bekannt, so der Sprecher. Allzu | |
intensiv nachgeforscht haben dürfte die Finanzbehörde dabei aber nicht – | |
zumindest bei Dataport, dem IT-Dienstleister der öffentlichen Verwaltung in | |
den fünf Nordländern und Sachsen-Anhalt, ist nichts über eine Anfrage der | |
Finanzbehörde oder der IFB Bank bekannt. | |
Dabei bietet Dataport auch eine eigene Möglichkeit zur Authentifizierung | |
von persönlichen Daten. Die Bürger*innen erhalten ein Servicekonto, mit dem | |
sie verschiedene Verwaltungsleistungen in Anspruch nehmen können. Grenzen | |
hat aber auch diese Leistung. So braucht man ab einer gewissen | |
Sicherheitsstufe der Datenabfragen [4][einen elektronischen Reisepass] – | |
den hat nicht jeder. Eine weitere Möglichkeit könnte im Elster-System | |
liegen, das von den Finanzbehörden für die Steuererklärung genutzt wird. | |
Ungewöhnlich ist es nicht, dass die IFB auf die Dienste von Dataport | |
verzichtet hat. Auch andere öffentlich-rechtliche Landesbanken mit | |
gesetzlichem Auftrag nutzen eher Dienstleistungen und Softwareangebote | |
privater Unternehmen. Auch in Bremen habe man über den Einsatz von Apps wie | |
in Hamburg schon nachgedacht, sagt Wirtschaftsbehörden-Sprecher Kai | |
Stührenberg. | |
## Andere Länder wählen teil-digitale Lösungen | |
Von Betrugsversuchen überwältigt fühlt man sich bisher in Bremen nicht. Es | |
gebe weniger Phishing-Versuche, auch, weil Bremen [5][erst später auf die | |
digitale Antragsstellung umgeschwenkt] sei. „Außerdem liest jeden Antrag | |
ein Mensch, da fallen Betrugsversuche schon auf“, so Stührenberg. | |
Schleswig-Holstein setzt auf eine nur teilweise digitale Lösung, um | |
Betrugsversuche zu vereiteln: Jeder Antrag muss zusätzlich manuell mit | |
Unterschrift versehen und dann eingescannt werden. Damit kommt es zu einem | |
sogenannten „Medienbruch“, der Nutzer muss also einen Bearbeitungsschritt | |
abseits des Rechners machen. „Ein Grund war, dass unseres Erachtens ein | |
medienbruchfreies, rein digitales Verfahren ein höheres Betrugsrisiko | |
birgt“, erklärt Harald Haase, Sprecher des Wirtschaftsministeriums. | |
Zudem erfolgt in Schleswig-Holstein eine automatische Überprüfung der | |
Steuer- und Kontonummern, um Mehrfachzahlungen an die gleiche IBAN zu | |
unterbinden. Auch Niedersachsen wählt diesen Weg – bisher seien dort so 17 | |
Antragssteller als mögliche Betrugsfälle auffällig geworden, teilt die | |
niedersächsische Wirtschaftsbehörde mit. | |
Für eine nur teildigitale Lösung spricht noch anderes. Neben den | |
Datenschutz- und Sicherheitsbedenken bringen digitale Anträge und die | |
Nutzung einer App noch andere Probleme mit sich: Was machen die | |
Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmer, die kein Smartphone besitzen – | |
oder jene, deren Betriebssysteme zu alt sind? Antworten auf diese Fragen | |
gibt die Hamburger Finanzbehörde nicht. „Aufgrund der aktuellen | |
Pandemie-Situation hat die IFB keinen Publikumsverkehr mehr“, erwidert sie | |
nur. | |
23 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Ansturm-auf-Hilfen-fuer-Kleinunternehmen/!5675598/ | |
[2] https://www.ifbhh.de/presse/meldung/betrugsversuche-bei-der-hamburger-coron… | |
[3] /Taetigkeitsbericht-vorgestellt/!5660004/ | |
[4] /Elektronischer-Reisepass/!5168587/ | |
[5] /!5678898/ | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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