| # taz.de -- Einkommenseinbußen durch Corona: Wie Länder in Europa Bürgern he… | |
| > Europas Staaten ergreifen unterschiedliche Maßnahmen gegen die | |
| > wirtschaftlichen Folgen. Es regt sich Unmut. | |
| Bild: Essensausgabe in Rom: Ist genug für alle da? | |
| ROM/MADRID/LONDON/WIEN taz | Es waren etwa 20 Personen, die sich am | |
| vergangenen Donnerstag mit ihren gut gefüllten Einkaufswagen an den Kassen | |
| eines großen Supermarkts in Palermo präsentierten, mit der trockenen | |
| Auskunft, sie dächten gar nicht daran zu zahlen: „Wir haben kein Geld.“ Am | |
| Ende scheiterte ihr offensichtlich organisierter Plünderungsversuch am | |
| Einsatz von Polizei und Carabinieri, doch nicht nur Italiens | |
| Sicherheitsbehörden schreckten auf. | |
| Drohen dem Land jetzt soziale Unruhen? Diese Frage warf der | |
| Inlandsgeheimdienst in einem Papier für die Regierung auf. In Palermo zum | |
| Beispiel hat sich auf Facebook die Gruppe „Rivoluzione nazionale“ | |
| zusammengefunden, mit mehr als 2.500 Mitgliedern. Sie propagiert offen | |
| subversiv den Sturm auf die Supermärkte. Die Polizei reagiert jetzt mit | |
| starker Präsenz vor den Discountern der Hauptstadt Siziliens. | |
| Leoluca Orlando, der Bürgermeister von Palermo, warnte davor, dass „hier | |
| kriminelle Schakale Wut in Gewalt umwandeln“. Wen er meinte, war allen | |
| klar: Cosa Nostra. Orlando setzte gleich nach: „Wir müssen denen, die | |
| Hunger leiden, lebensnotwendige Güter geben, wir müssen es sofort tun, ohne | |
| bürokratische Hindernisse.“ | |
| Dass [1][die Coronapandemie nach dem Lockdown] schnell soziale Sprengkraft | |
| entfalten kann, ist auch bei der Regierung in Rom angekommen. Beppe | |
| Provenzano, Minister für den Süden, warnt ebenfalls, aus den Sorgen der | |
| Bürger könne schnell „Wut und Hass“ entstehen, vorneweg in den „fragile… | |
| Zonen des Landes. | |
| ## Einkaufsgutscheine für Notleidende | |
| Am Samstagabend verkündete Ministerpräsident Giuseppe Conte, die Kommunen | |
| erhielten umgehend 400 Millionen Euro, um notleidenden Menschen | |
| Einkaufsgutscheine auszuhändigen oder sie direkt mit | |
| Lebensmittellieferungen zu versorgen. Denn die Regierung hatte zwar für | |
| Arbeitnehmer und Selbstständige ein erstes Hilfspaket geschnürt, doch es | |
| erreicht bei weitem nicht alle. | |
| Für Arbeitnehmer ist zunächst für die Dauer von neun Wochen eine großzügige | |
| Regelung des Kurzarbeitsgelds vorgesehen. Selbstständige, die wegen des | |
| Lockdown nicht mehr arbeiten können, erhalten pro Monat 600 Euro, Steuern | |
| und Abgaben werden gestundet. Das alles nützt jedoch denen nichts, die | |
| bisher offiziell in den Beschäftigtenstatistiken gar nicht auftauchen, weil | |
| sie schwarz gearbeitet haben. | |
| Italiens Statistisches Amt Istat schätzt die Zahl der Schwarzarbeiter auf | |
| 3,7 Millionen, 80 Prozent von ihnen leben in Süditalien. Ob die Kassiererin | |
| im kleinen Lebensmittelmarkt oder der Mann hinter dem Tresen der | |
| Espressobar, ob die Erntehelferin oder der Maurer auf der Baustelle: Sie | |
| können jetzt keine Hilfe beantragen, weil sie vorher offiziell nichts | |
| verdient haben. | |
| 400 Millionen Euro seien jedoch viel zu wenig, um dieses Problem zu lösen, | |
| beklagen viele Bürgermeister. „Für ein paar Tage“ reiche diese Zuwendung, | |
| erklärt Antonio Decaro, zur Regierungspartei PD gehörender Bürgermeister | |
| von Bari und zugleich Vorsitzender des italienischen Städte- und | |
| Gemeindetags. Wenigstens sei jetzt aber Soforthilfe „mit null Bürokratie“ | |
| möglich, der aber deutlich weitreichendere Maßnahmen folgen müssten. | |
| Die beiden Regierungsparteien, das Movimento 5 Stelle (M5S) und die Partito | |
| Democratico (PD), haben sich im Grundsatz schon darauf geeinigt, dass die | |
| Grundsicherung jetzt zur „Notstands-“ oder auch zur | |
| „Quarantäne“-Grundsicherung ausgebaut werden muss. Die Rede ist von bis zu | |
| zehn Millionen Begünstigten vor allem aus dem Heer der prekär und schwarz | |
| Beschäftigten. Für April hat die Regierung ein weiteres Notstandsdekret mit | |
| 25 Milliarden Euro angekündigt. Etwa 6 Milliarden sollen auf die Ausdehnung | |
| der Grundsicherung entfallen. | |
| ## Spanien: Entlassungen verboten | |
| Die Höhe des spanischen Hilfspaketes ist noch schwindelerregender: 200 | |
| Milliarden Euro – 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – umfasst das | |
| Programm, das die spanische Regierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez | |
| aufgelegt hat. Neben Krediten für Unternehmen, [2][die durch den | |
| Covid-19-Alarmzustand] in Schwierigkeiten geraten, beinhaltet es auch | |
| soziale Maßnahmen. | |
| Solange der Alarmzustand anhält, dürfen Energieversorger und Wasserwerke | |
| säumigen Kunden weder Strom, Gas noch Wasser abstellen. Das gilt auch für | |
| das Telefon. Mittlerweile wurden Entlassungen untersagt: Unternehmen können | |
| nur noch Kurzarbeit einreichen oder Angestellte zeitlich begrenzt bis zum | |
| Ende des Ausnahmezustands arbeitslos melden. Einen Anspruch auf | |
| Unterstützung hat auch, wer noch nicht lange genug eingezahlt hat. | |
| Wer Alte oder Minderjährige pflegen muss, hat das Recht auf | |
| Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Selbstständige, die 75 | |
| Prozent ihres Einkommens oder mehr verlieren, bekommen leichteren Zugang zu | |
| Arbeitslosengeld von mindestens 950 Euro pro Monat. Durch regionale | |
| Hilfsprogramme können etwa in Madrid Selbstständige mit bis zu 3.200 Euro | |
| Unterstützung rechnen. Die Bedingungen dafür sind allerdings noch nicht | |
| klar. Die Zentralregierung wird zusätzliche 600 Millionen Euro an die | |
| Regionalverwaltungen überweisen. | |
| Wer durch die Krise 40 Prozent seiner Einkünfte oder mehr verliert, kann | |
| die Ratenzahlung seines Wohnungskredits aussetzen, ohne zwangsgeräumt zu | |
| werden. Eine ähnliche Regelung für Mieter scheiterte am Einspruch des | |
| sozialistisch geführten Wirtschaftsministeriums. | |
| ## Großbritannien: Gehalt vom Staat | |
| Auch Großbritanniens Finanzminister Rishi Sunak versucht mit einem | |
| Sonderprogramm von umgerechnet fast 73 Milliarden Euro [3][die Folgen der | |
| Coronakrise für britische Arbeitnehmer] abzufedern. Das | |
| „Coronavirus-Job-Bewahrungsprogramm“ läuft rückwirkend ab dem 1. März f�… | |
| drei Monate und übernimmt 80 Prozent aller Gehälter jener, die ihren Job | |
| wegen der Pandemie nicht mehr ausüben können. Die Obergrenze beträgt | |
| monatlich 2.500 Pfund, fast 3.000 Euro. Auch die Sozialabgaben trägt der | |
| Staat. Insgesamt könnte dies 20 Milliarden Euro kosten. | |
| Wem wegen der Krise der Job gekündigt wurde, dem steht die gleiche Hilfe | |
| zu, egal ob Vollzeit-, Teilzeit- oder Null-Stunden-Vertrag. Das Krankengeld | |
| von rund 105 Euro wöchentlich wird nicht mehr ab dem dritten Krankheitstag | |
| gezahlt, sondern ab dem ersten. | |
| Die bis zu 5 Millionen Selbstständigen mit einem Jahreshöchstumsatz von | |
| knapp 56.000 Euro können einmalige Beihilfen von 80 Prozent der normalen | |
| Einnahmen beantragen, zunächst für drei Monate. Die Gelder fließen | |
| allerdings frühestens Ende Juni, bis dahin muss Sozialhilfe beantragt | |
| werden. | |
| Der Satz hierfür wurde erhöht, ebenso das Wohngeld. Der Staat wird nun bis | |
| zu 30 Prozent der für eine Region kalkulierten Durchschnittsmiete abdecken. | |
| Hilfen gibt es auch, wenn man seine Gemeindesteuer nicht zahlen kann; ein | |
| Sonderetat von umgerechnet 1,8 Milliarden Euro soll den Gemeinden helfen, | |
| Dienstleistungen unter anderem für Obdachlose zu finanzieren. | |
| ## Österreich: Flexibilisierte Kurzarbeit | |
| In Österreich wächst die finanzielle Last für die Regierung. Am Montag | |
| verkündete [4][Bundeskanzler Sebastian Kurz] in einer Pressekonferenz, dass | |
| besonders gefährdete Gruppen, nämlich Ältere und Menschen mit | |
| Vorerkrankung, nach Hause geschickt werden müssen. Wenn Homeoffice nicht | |
| möglich ist, wird der Staat die Gehaltszahlung übernehmen. | |
| Seit Beginn der [5][Beschränkungen für das Geschäfts- und Sozialleben] | |
| haben sich über 170.000 Arbeitnehmer zusätzlich arbeitslos gemeldet. Sie | |
| bekommen die gesetzlichen Leistungen. Die Regierung appelliert aber an die | |
| Unternehmer, von Kurzarbeit Gebrauch zu machen. | |
| Die wegen Corona flexibilisierte Variante erlaubt Arbeitgebern, ihre Leute | |
| für zwei Monate nach Hause zu schicken. Wenn sie im dritten Monat 30 | |
| Prozent arbeiten, ist die Bedingung von mindestens 10 Prozent | |
| Arbeitsleistung erfüllt. Der Staat zahlt Pauschalsätze, die auch die | |
| Sozialversicherung abdecken. Dafür ist 1 Milliarde Euro vorgesehen. | |
| Komplizierter gestaltet sich der Härtefonds für Kleinunternehmer und | |
| Einpersonenbetriebe. Schon dass mit der Abwicklung die ÖVP-dominierte | |
| Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) beauftragt wurde, sorgt für Kritik. | |
| Auch die Kriterien für die Ausschüttung von maximal 6.000 Euro über drei | |
| Monate sind verbesserungswürdig, meint Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), | |
| der Nachbesserungen einfordert. | |
| Nach der bisherigen Regelung gehen Selbstständige, die nebenbei Teilzeit | |
| arbeiten, leer aus. Wer mit seinem Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze von | |
| 460,66 Euro überschreitet und seinen Betrieb erst 2020 gegründet hat, | |
| bekommt nichts. | |
| 30 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
| Reiner Wandler | |
| Daniel Zylbersztajn | |
| Ralf Leonhard | |
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