| # taz.de -- Sanktionierung von Asylbewerbern: Ein großes Fragezeichen | |
| > Asylbewerbern, die nicht mit Behörden kooperieren, wird das Geld gekürzt. | |
| > Ein Gutachten zweifelt nun die Rechtmäßigkeit solcher Sanktionen an. | |
| Bild: Das Landesamt für Einwanderung in Berlin | |
| Freiburg taz | Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags (WD) stellt | |
| Leistungskürzungen gegen Asyl-Antragsteller infrage. Die Bundesregierung | |
| könne bisher nicht belegen, dass solche Sanktionen ihren Zweck erfüllen, | |
| Mitwirkungspflichten durchzusetzen. Dies sei nach dem Hartz-IV-Urteil des | |
| Bundesverfassungsgerichts vom November 2019 aber erforderlich. | |
| Grundsätzlich haben auch Asylsuchende und abgelehnte Antragsteller Anspruch | |
| auf das Existenzminimum. Das hat das Bundesverfassungsgericht 2012 | |
| festgestellt. Die Leistungen mussten damals um rund 40 Prozent erhöht | |
| werden und liegen nun fast auf Hartz-IV-Niveau. | |
| Seitdem werden aber Kürzungen vermehrt als Druckmittel eingesetzt. Schon | |
| lange können Leistungen reduziert werden, wenn abgelehnte Asylantragsteller | |
| nicht ausreisen, obwohl sie es könnten. Das Gleiche gilt, wenn sie | |
| [1][Abschiebungen] erschweren, indem sie zum Beispiel nicht an der | |
| Passbeschaffung mitwirken. | |
| Das Bundessozialgericht hat die entsprechende Sanktionsform (Paragraf 1a | |
| Asylbewerberleistungsgesetz) in einem Grundsatzurteil 2017 als | |
| verfassungskonform eingestuft. Das Existenzminimum dürfe unterschritten | |
| werden, wenn die Betroffenen ihr „missbräuchliches Verhalten“ jederzeit | |
| ändern könnten. Geklagt hatte ein Mann aus Kamerun, der seit 2004 | |
| ausreisepflichtig war, aber in keiner Weise kooperierte und deshalb nur | |
| reduzierte Leistungen erhielt. | |
| ## Letztlich muss Karlsruhe entscheiden | |
| 2019 wurden die Gründe für Leistungskürzungen auf Betreiben von | |
| Innenminister Horst Seehofer (CSU) stark erweitert. Nun wird auch die | |
| Verletzung von Mitwirkungspflichten im Asylverfahren sanktioniert, etwa | |
| wenn ein Asylantrag zu spät gestellt wird oder wenn wichtige Unterlagen | |
| zurückgehalten werden. | |
| Die Leistungen werden nun aber nicht mehr auf das „unabweisbar Gebotene“ | |
| gekürzt. Vielmehr müssen Ernährung, Unterkunft, Heizung sowie Gesundheits- | |
| und Körperpflege gesichert bleiben. Gekürzt wird im Wesentlichen das | |
| „soziale Existenzminimum“, etwa Kosten für Kommunikation, Kultur und | |
| Verkehr. | |
| Die neue Diskussion über die Sanktionen für unkooperative Asylantragsteller | |
| ist eine Folge des [2][Hartz-IV-Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus | |
| dem November 2019]. Damals akzeptierte das Gericht, dass | |
| Mitwirkungspflichten von Hartz-IV-Empfängern mit Leistungskürzungen bis zu | |
| 30 Prozent durchgesetzt werden. Der Gesetzgeber dürfe dies für geeignet | |
| halten, Arbeitslose dazu zu bringen, an der Überwindung ihrer | |
| Hilfebedürftigkeit mitzuwirken. Für die Erforderlichkeit einer | |
| 60-prozentigen Kürzung oder für die völlige Streichung fehlten dagegen | |
| Forschungsergebnisse. | |
| Der WD hat nun geprüft, inwiefern diese Entscheidung auf Sanktionen gegen | |
| Asylantragsteller übertragbar sind. Er kam zum Schluss, dass eine direkte | |
| Übertragung nicht möglich ist, auch weil bei Geflüchteten keine Kürzungen | |
| bei Ernährung, Unterkunft und Ähnlichem möglich sind. Letztlich sei ein | |
| neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts erforderlich. | |
| Der WD hält aber zumindest den Grundgedanken des Karlsruher Urteils für | |
| übertragbar. Danach müsse sich der Gesetzgeber auch hier Erkenntnisse über | |
| Nutzen der Sanktionen verschaffen. Die bisherigen Verweise der Regierung | |
| auf die Bundesländer ließ der WD nicht gelten, schließlich handele es sich | |
| um ein Bundesgesetz. | |
| Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke, die das Gutachten in Auftrag gegeben | |
| hatte, kommentiert: „Die Koalition muss jetzt schnell handeln, um die | |
| verfassungswidrigen Leistungskürzungen abzuschaffen.“ | |
| 14 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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