# taz.de -- Kontaktbeschränkung im Alltag: In Bewegung bleiben | |
> Wegen Corona darf sich keiner mehr frei bewegen. Aber was darf wer wo und | |
> mit wem? | |
Bild: Polizei im Görlitzer Park, Berlin: Wer keinen Sport macht wird geräumt | |
Auf der Spitze des Kreuzbergs im Berliner Viktoriapark sitzt am | |
Mittwochnachmittag ein Dutzend Menschen und verhält sich aus | |
epidemiologischer Sicht ganz hervorragend. Die Parkbesucher*innen, allein | |
und in Zweiergrüppchen, hocken verteilt auf den Stufen des Kriegerdenkmals, | |
das über dem Park thront. Sie halten Abstand zueinander, selbst diejenigen, | |
die zu zweit sitzen und sich unterhalten. | |
Bis gegen 17 Uhr zwei Männer in Polizeiuniform den Hügel hoch schreiten. | |
Schulter dicht an Schulter bauen sie sich oben auf. „Sie verlassen sofort | |
diesen Ort oder Sie zahlen eine Strafe von 25.000 Euro“, brüllt einer von | |
ihnen. „Wieso?“, fragt eine junge Frau. „Es ist doch erlaubt, zu zweit | |
rauszugehen.“ Der Polizist antwortet: „Nein. Sie müssen zu Hause bleiben. | |
Raus dürfen Sie nur zum Joggen. Rumlungern ist nicht.“ | |
In Berlin ist es jetzt verboten, im Park zu sitzen. Und nicht nur dort. | |
Seit dieser Woche gelten in Deutschland Regeln, die sich noch vor einem | |
Monat kaum jemand hätte vorstellen können. Der Staat hat die Freiheit der | |
Bevölkerung so umfassend eingeschränkt wie nie zuvor in der Geschichte der | |
Bundesrepublik. Dieser Einschnitt ist grundsätzlich gut begründet – es geht | |
schließlich darum, die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Ob die | |
konkreten Maßnahmen verhältnismäßig sind, lässt sich aber pauschal schwer | |
beantworten – je nach Bundesland fallen die Verbote nämlich unterschiedlich | |
hart aus. | |
Die meisten Länder setzen im Kern die Richtlinie um, auf die sich die | |
Kanzlerin und die Ministerpräsident*innen am vergangenen Sonntag geeinigt | |
hatten. Die Schulen bleiben zu, Restaurants und viele Geschäfte mussten | |
schließen, Menschen dürfen sich höchstens zu zweit treffen und müssen einen | |
Sicherheitsabstand einhalten. Ihr Zuhause dürfen die Bürger*innen aber | |
jederzeit verlassen. Auch, um einfach nur im Park zu sitzen. | |
„Nach unserer Einschätzung ist nicht das Verlassen der Wohnung die Gefahr. | |
Die Gefahr ist der enge unmittelbare soziale Kontakt“, sagte | |
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zur Begründung. Er sei überzeugt, | |
dass Kontaktverbote im Vergleich zu einer Ausgangssperre „für die | |
Unterbrechung von Infektionsketten verhältnismäßiger, zielgerichteter und | |
besser zu vollziehen“ sind. | |
## Sport und Bewegung | |
Sechs Länder sehen das anders. Sie haben Verordnungen erlassen, denen | |
zufolge prinzipiell niemand sein Zuhause verlassen darf. Wer doch rausgeht, | |
muss im Falle einer Polizeikontrolle einen guten Grund vorbringen. Als | |
Beispiele listen die Verordnungen Arbeit, Einkaufen oder „Sport und | |
Bewegung“ auf – letzteres wahlweise mit der Familie oder WG. In Bayern und | |
Sachsen darf darüber hinaus niemand dabei sein, in Berlin, Brandenburg, | |
Sachsen-Anhalt und dem Saarland höchstens eine Person. | |
Ob Ausnahmen gelten, die nicht auf den Beispiellisten stehen, ist | |
Auslegungssache. In der Praxis führt das oft zu Verwirrung – sogar bei | |
denen, die die Regeln umsetzen müssen. Das zeigt eine Nachfrage bei der | |
Pressestelle der Berliner Polizei am Montag: Ist es erlaubt, dass eine | |
Person einem Freund bei einem Umzug hilft? Die Antwort kommt am Mittwoch | |
schriftlich: „Soweit nur eine Person oder Freund einem anderen beim Umzug | |
hilft, ist dies möglich.“ | |
Kurz danach ruft eine Beamtin an, sie bitte um Entschuldigung, es sei ein | |
Fehler unterlaufen. Es sei doch nicht erlaubt. Am Donnerstag ein weiterer | |
Anruf: Nach erneuter Rücksprache wolle sie klarstellen, dass ein einzelner | |
Freund doch beim Umzug helfen dürfe. | |
Und das Sitzen im Park? Kommt darauf an. Eine Sprecherin des rot-rot-grünen | |
Senats sagt auf Nachfrage: „Das dauerhafte Verweilen in Parkanlagen zum | |
Lesen von Büchern ist nicht vorgesehen, das Spazierengehen zum Schnappen | |
von frischer Luft und dabei auch das kurzzeitige Pausieren auf einer | |
Parkbank hingegen schon.“ | |
Warum Berlin hier härter vorgeht als die meisten anderen Länder? Es gehe | |
darum, dass möglichst viele Menschen „in ihrer eigenen Wohnung bleiben, um | |
die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und Infektionsketten zu | |
unterbrechen“. Gleiches Ziel, anderer Ansatz als zum Beispiel bei Armin | |
Laschet in Nordrhein-Westfalen. | |
Noch strenger hält man es in Bayern und Sachsen, wo es verboten ist, sich | |
beim Spaziergang auch nur mit einer einzigen Bekannten zu treffen – ob mit | |
oder ohne Sicherheitsabstand. Alleinstehende werden damit von allen | |
sozialen Kontakten abgeschnitten. Ein Sprecher des zuständigen sächsischen | |
Sozialministeriums sagt, dieser “eklatante Eingriff“ in die | |
Bewegungsfreiheit sei „natürlich bitter“ für Singles, aber nötig, um die | |
Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. „Die Leute haben zu Hause zu | |
bleiben. Es gibt eine extrem hohe Ansteckungsgefahr.“ | |
Wie in Berlin führt dieser Ansatz auch in Sachsen zu etlichen Unklarheiten. | |
So sind laut Allgemeinverfügung Sport und Spaziergänge nur „im Umfeld des | |
Wohnbereichs“ gestattet. Wie weit das Umfeld reicht, können die Behörden | |
aber nicht sagen. Die Folgen zeigen sich etwa am Cospudener See südlich von | |
Leipzig: Allein am Mittwoch stellte die Polizei dort 31 Verstöße fest. | |
Bußgelder bekamen unter anderem Menschen, die mehr als fünf Kilometer vom | |
See entfernt wohnen. | |
Später rückte die Polizei von der Fünf-Kilometer-Regel wieder ab. Es sei zu | |
„Irritationen aufgrund einer internen Handlungsorientierung“ gekommen, die | |
den Vorgaben der Landesregierung entgegenstehe. Sie bat öffentlich um | |
Entschuldigung. Wie weit die Menschen in Sachsen sich tatsächlich von ihren | |
Wohnungen entfernen dürfen, bleibt aber unklar. | |
Rechtlich stützen die Bundesländer ihre Verordnungen auf das | |
Infektionsschutzgesetz, das weitreichende Grundrechtseinschränkungen | |
erlaubt. Am Mittwoch hat der Bundestag extra eine Novelle durchgepeitscht, | |
damit dort auch die Einschränkung der Freizügigkeit erwähnt wird. Lea | |
Beckmann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte hält es aber weiter für | |
fraglich, ob durch dieses Gesetz auch weitgehende Ausgangsbeschränkungen | |
gedeckt sind. Unabhängig davon müsse in jedem Einzelfall geklärt werden, ob | |
die Grundrechtseinschränkung verhältnismäßig sei. „Allein auf der Parkbank | |
sitzen muss erlaubt sein“, sagt die Juristin. | |
Auch bei den Grünen, die in vier der besonders strengen Länder mitregieren, | |
sind viele nicht ganz glücklich mit den neuen Regeln. Der sächsische | |
Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann sagt, das SPD-geführte | |
Sozialministerium sei durch die unpräzisen Klauseln „über das Ziel | |
hinausgeschossen“. Hauptziel müsse sein, größere Menschenansammlungen zu | |
verhindern und somit die Infektionsketten zu unterbrechen. | |
Es gehe um „eine sehr sensible Grundrechtsmaterie“, so der | |
Grünen-Politiker. Er fordert daher eine Präzision der Verfügung. Die | |
Polizei müsse klar angewiesen werden, mit Augenmaß zu handeln. | |
Auch bei der in Berlin mitregierenden Linkspartei sind nach | |
taz-Informationen viele unzufrieden mit der Ausgestaltung der Verbote. Die | |
teils strengen und teils unklaren Formulierungen sind offenbar der | |
dringlichen Atmosphäre in der entscheidenden Senatssitzung geschuldet, in | |
der SPD-Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci auf Härte drängte. | |
## Was kann danach kommen? | |
Der Abgeordnete Niklas Schrader kritisiert vor allem den großen | |
Ermessensspielraum für die Polizei. „Da müssen wir nacharbeiten und eine | |
Änderung prüfen – spätestens wenn die Verordnung nach dem 5. April noch mal | |
verlängert werden sollte.“ Bis dahin müsse sich die Koalition sowieso | |
Gedanken machen, ob die Verordnung „richtig und nötig und verhältnismäßig… | |
ist und was danach kommen kann – sofern sich die Lage nicht noch einmal | |
„grundlegend“ verschlechtere. | |
Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hält zwar die | |
Parkbank-Regelung nach Berliner Art für „richtig“, sagt aber auch: „Uns … | |
von Anfang an wichtig, dass alle getroffenen Maßnahmen laufend überprüft | |
und mit einer Zeitschaltuhr versehen werden.“ Grundrechtseinschränkungen | |
müssten immer verhältnismäßig sein und andere Grundrechte schützen – etwa | |
das Recht auf körperliche Unversehrtheit für Personen, die noch nicht | |
infiziert sind. „Tun sie das nicht oder wäre der Zweck auch mit milderen | |
Mitteln zu erreichen, sind sie auch nicht länger zu rechtfertigen“, sagt | |
Kellner. | |
Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, die aktuellen Beschränkungen | |
mindestens zwei Wochen in Kraft zu lassen. In einigen Ländern gelten sie | |
wie in Berlin zunächst bis Anfang April, in manchen wie Bremen und NRW bis | |
nach den Osterferien. Wo besonders strenge Regeln gelten, müssen sich die | |
Menschen also weiterhin vor der Polizei in Acht nehmen. Und manchmal auch | |
vor eifrigen Mitbürgern. | |
So wie in München, wo laut Polizeibericht ein Anrufer am Dienstagabend die | |
110 wählte. Aus einer Wohnung in Schwabing sei Musik zu hören, meldete er. | |
Die Polizei schickte eine Streife und traf auf zwei Nachbarinnen, die im | |
selben Haus wohnen und den Abend gemeinsam verbrachten. Die Frauen | |
erhielten zwei Anzeigen: eine wegen dem Infektionsschutzgesetz und eine | |
wegen dem Betäubungsmittelgesetz. Gekifft haben die beiden nämlich auch | |
noch. | |
27 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
Sarah Ulrich | |
Bert Schulz | |
Tobias Schulze | |
Doris Akrap | |
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