| # taz.de -- Weltweite Folgen der Corona-Krise: Einmal ums Eck bitte | |
| > Die Corona-Pandemie verändert weltweit das Leben. Wir haben | |
| > Korrespondenten gebeten, um ihren Häuserblock zu gehen und ihre Eindrücke | |
| > zu schildern. | |
| Bild: Schlechte Nachrichten: Straßenverkäufer in Kigali, der Hauptstadt von R… | |
| ## Peking: Geschlossene Siedlungen und offene Restaurants | |
| Schon beim ersten Schritt ins Freie grüßt die Pekinger Frühlingssonne von | |
| einem smogfreien, strahlend blauen Himmel. Im Vorhof der eingezäunten | |
| Wohnsiedlung reden zwei Männer ausgelassen miteinander auf einer Parkbank. | |
| Junge Frauen in Yoga-Hosen und Schlbberpullis führen überzüchtete | |
| Mini-Hunde spazieren. | |
| Ist in [1][Chinas] 20-Millionen-Metropole wieder ganz normaler Alltag | |
| eingekehrt? | |
| Nicht wirklich. Das zeigt der Gang zum Pförtnerhäuschen, an dem zwei | |
| Wachmänner in schwarzer Uniform und eine in pink gekleidete Frau vom | |
| freiwilligen Nachbarschaftskomitee stehen. Sie kontrollieren rund um die | |
| Uhr, dass sich keine fremde Person Zugang zur Wohnsiedlung verschafft. Ob | |
| Verwandte, die eigene Freundin oder der Techniker: Niemand, der nicht hier | |
| wohnt, darf derzeit auf das Gelände. | |
| Auch nicht die zwei Lieferanten, die gerade auf dem Bürgersteig dutzende | |
| Pakete aufeinander schichten. Gut betuchte Pekinger benutzen derzeit | |
| exzessiv ihre Shopping-Apps, um nicht mehr das Wohngelände verlassen zu | |
| müssen: von Lunch-Boxen über Großeinkäufe bis hin zum morgendlichen | |
| Starbucks-Café. | |
| 150 Meter weiter befindet sich der nächstgelegene Supermarkt, der wie schon | |
| zum Höhepunkt der Krise auch heute regulär geöffnet hat. Am Eingang wartet | |
| ein Angestellter, der jedem Kunden die Körpertemperatur misst und Name | |
| sowie Handynummer notiert. | |
| Eine Ecke weiter erreiche ich die Hauptstraße, auf der seit Montag fast | |
| schon wieder Berufsverkehr zu herrschen scheint. Vornehmlich ältere Leute | |
| sind auf den Bürgersteigen unterwegs, um Besorgungen zu erledigen. Die | |
| meisten tragen nach wie vor Masken, wenn auch mittlerweile auffällig viele | |
| ihren Gesichtsschutz unter's Kinn geschoben haben – quasi ein | |
| heruntergenommenes Visier, das jederzeit wieder hochgefahren werden kann. | |
| Ohne Gesichtsmaske erhält ohnehin niemand Zutritt in geschlossene Räume. | |
| Etwa in die Restaurants, die sich in der nächsten Eckstraße zu einem guten | |
| Dutzend aneinanderreihen. Herrliche Gerüche spiegeln die regionale Vielfalt | |
| der chinesischen Küche wieder: angefangen mit kalten Liangpi-Nudeln aus | |
| Xi'an über gegrillte Lammspieße der Xinjiang-Region hin zum Restaurant für | |
| Sichuan Hotpot. Gut gefüllt sind sind die Läden noch nicht, ohnehin müssen | |
| die Betreiber die Hälfte ihrer Sitzplätze sperren. Doch noch vor wenigen | |
| Tagen war noch die komplette Geschäftsstraße geschlossen. Fabian | |
| Kretschmer, Peking | |
| In Peking bestehen keine Ausgangssperren und weitestgehende | |
| Bewegungsfreiheit, solange man die Stadtgrenzen nicht verlässt. | |
| In China bisher mit Corona infizierte und registrierte Personen: 81.171. | |
| Tote: 3.277 | |
| ## Wien: Keine Gesichtsmasken, aber gut gefüllte Regale | |
| Im Haus herrscht Totenstille. Der Schulhof ist verlassen. Keine | |
| Zwölfjährigen, die laut schreiend dem Fußball hinterher jagen, keine | |
| Mädchen, die sich im Hochsprung versuchen, kein Turnlehrer, der den | |
| 60-Meter-Lauf mit seiner Stoppuhr überwacht. | |
| Aus der Maria Lourdes Kirche nebenan ist hin und wieder Orgelmusik zu | |
| vernehmen, doch der Chor der Gläubigen bleibt aus. Vor dem Eingang zum | |
| Pfarrhof, wo sonst Dienstags Flüchtlinge und andere Bedürftige anstehen, um | |
| Lebensmittelspenden entgegenzunehmen, hängt ein Schild: die Warenausgabe | |
| sei bis auf Weiteres suspendiert. Ein für den 17. März angekündigter | |
| Vortrag über „Biblische Frauen im Alten Testament“ ist auf den 28. April | |
| verschoben. | |
| Die Ruckergasse zählt zu den wichtigen Durchzugsstraßen des Bezirks. Sie | |
| ist kaum noch befahren. Statistiken sprechen von fünf Prozent des üblichen | |
| Verkehrsaufkommens. Die Busstation, wo der 7A und der 15A halten, ist | |
| verlassen. Im Bus, der pünktlich daherkommt, sitzen nicht mehr als drei | |
| Fahrgäste – in gehörigem Abstand voneinander. Die wenigen Fußgänger, die | |
| das Trottoir bevölkern, sind allein und eiligen Schrittes unterwegs. Wohl | |
| auch der klirrenden Kälte geschuldet, mit der sich der Frühling einstellt. | |
| Mundschutz trägt so gut wie niemand. Selbst die Kassiererinnen im | |
| Supermarkt verzichten auf Atemschutz. Sie tragen aber Gummihandschuhe und | |
| bitten um bargeldlose Zahlung. Die Panikkäufe sind vorbei, die Regale | |
| gefüllt. Nur Klopapier und Seife sind immer schnell ausverkauft. Manche | |
| halten sich an die Aufforderung, für die ganze Woche einzukaufen, andere, | |
| vor allem ältere Leute, nehmen den Einkauf als willkommenen Vorwand, um das | |
| Haus zu verlassen. Mit einer Flasche Wein und ein paar Süßigkeiten kämpfen | |
| sie gegen die Einsamkeit an. | |
| Der kleine Park mit Spielplatz und Sandkiste ist durch ein Vorhängeschloss | |
| versperrt. Für alle, die noch nichts begriffen haben, sind Schaukel und | |
| Kletterturm zusätzlich mit Plastikbändern als No-go-Gebiete markiert. Die | |
| Tageszeitungen in der Trafik warten mit den neuesten Pandemie-Schlagzeilen | |
| auf: „Corona-Party: FPÖ-Politiker feierte mit!“ Ralf Leonhard, Wien | |
| In [2][Österreich] sind Lokale, Geschäfte und Schulen geschlossen. Es | |
| bestehen Ausgehbeschränkungen. | |
| [3][Infizierte Personen: 4.791, Tote: 25.] | |
| ## Canberra: Viel Platz und die Angst vor Chinesen | |
| Dick ist wütend. Zum ersten Mal in den 23 Jahren, die ich meinen Nachbarn | |
| kenne, zeigt dieser Urtyp des stoischen australischen Mannes Emotionen. Ich | |
| treffe ihn unten beim Zaun – aus sicherer „sozialer Entfernung“ natürlic… | |
| Dick und ich – wir haben ein Riesenglück. Wir wohnen im australischen | |
| „Busch“, auf großen bewaldeten Grundstücken, nördlich der Hauptstadt | |
| Canberra. Kängurus gibt es viele, Menschen keine. Außer eben Dick und seine | |
| Frau Tina (Namen geändert). Aber die wohnen 400 Meter weit weg. So weit | |
| springt kein Virus. | |
| Erst vor ein paar Wochen hatte ich diese Isolation noch verflucht. Damals, | |
| als gigantische Waldbrände drohten, unser Paradies in Schutt und Asche zu | |
| legen. Der Himmel war Rot vom Inferno hinter dem Horizont, als Dick und ich | |
| uns in seiner Garage zu einem Bier trafen. Während ich zuvor in zunehmender | |
| Panik Testament und Lebensversicherung in den feuerfesten Tresor gelegt | |
| hatte, schaute Dick im Fernsehen ein Rugbyspiel. Der Mann war so „cool“ wie | |
| sein Bier. | |
| Heute glüht er vor Wut. Es ist aber nicht die Regierung, die ihn in Rage | |
| bringt, weil die sich trotz eskalierender Corona-Krise weigert, das Leben | |
| in Australien auf Eis zu legen. Es ist auch nicht die höhnische Empfehlung | |
| von Premier Scott Morrison an 20.000 von den Fluglinien gefeuerte Menschen, | |
| sie könnten sich einen Job im Einzelhandel suchen. Nein, es sind die | |
| Panikkäufe, die Dick wütend machen. „Kein Klopapier, kein Fleisch“, wette… | |
| er nach dem Besuch im Einkaufszentrum. Als sich Tina zu uns stellt, geht’s | |
| richtig los. „Die Asiaten sind Schuld. Sie fahren in Bussen an und räumen | |
| alles leer. Dann exportieren sie das Essen nach China.“ | |
| Das Gerücht von den „plündernden Chinesen“ (ja, Chinesen, denn „die seh… | |
| alle gleich aus“) hält sich in Australien so hartnäckig wie ein | |
| SARS-CoV-2-Virus an einem Bierglas. Doch weder das Boulevard-Radio, das bei | |
| Millionen Australiern in der Küche plärrt, noch die Hetz-Blätter aus dem | |
| Hause Murdoch haben bisher einen Beweis für die „gelben Horden“ gebracht. | |
| Fremdenhass als Ablenkung von politischer Inkompetenz hat eine lange | |
| Tradition in Australien. Zuletzt bei den Buschfeuern. Konservative | |
| Kommentatoren machten da „wahrscheinlich islamistische Terroristen“ für die | |
| Feuer verantwortlich. | |
| Nachbarin Tina glaubt bis heute an diese Mär. | |
| Wieder zu Hause. Im Fernsehen wiederholt ein Arzt die Warnung vieler seiner | |
| Kollegen. „In 14 Tagen erleben wir hier, was Italien heute erlebt, wenn wir | |
| das Land nicht sofort stilllegen“. | |
| Zeit, nochmals Testament und Lebensversicherung zu prüfen. Und Zeit für ein | |
| Bier. Urs Wälterlin, Canberra | |
| Im australischen Bundesstaat New South Wales sind alle nicht essenziellen | |
| Geschäfte geschlossen. Schulen bleiben geöffnet. | |
| [4][Infizierte Personen: 2.136, Tote: 8.] | |
| ## New York: Vogelzwitschern und die große Pleitewelle | |
| Statt der Musik aus Ghettoblastern, statt des Lärms von Motoren, die | |
| stundenlang im Parkmodus laufen, und statt Gesprächsfetzen, die in Telefone | |
| hineingeschrieen werden, höre ich einen Vogel zwitschern, der auf dem | |
| obersten Ast des Baums vor meinem Fenster sitzt. Kein Flugzeug dröhnt durch | |
| den strahlend blauen Himmel über Harlem. | |
| Eine Straße weiter, wo ich öfter Capuccino getrunken habe, hängt jetzt das | |
| Schild „closed“ in Schaufenster. Das Café war noch in der Anlaufphase. Die | |
| Betreiber hatten es wochenlang renoviert. Angesichts eines möglicherweise | |
| monatelangem Stillstands haben sie aufgegeben. Auch der Salon, wo ich mir | |
| im Sommer die Fussnägel lackieren lasse, ist geschlossen. Aber in seinem | |
| Schaufenster steht, dass er wieder eröffnet, so bald die Krise vorbei ist. | |
| An den Türen der drei Kirchen, an denen ich vorbei gehe, hängt der Hinweis: | |
| Bis auf Weiteres geschlossen. Nur die Armenspeisung funktioniert noch. Das | |
| Essen wird am Eingang ausgeteilt. Niemand kommt mehr in den | |
| Gemeinschaftsraum der Kirchen. | |
| Auf dem Malcolm X Boulevard habe ich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. | |
| Normalerweise sind an Frühlingstagen wie diesem die Terassen der Cafés | |
| rappelvoll. Jetzt sind die breiten Bürgersteige fast menschenleer. Die | |
| wenigen Passanten begrüßen sich gegenseitig, aber sie gehen sich aus dem | |
| Weg. Im Eingang des Kleider-Discountladens hat ein Obdachloser einen | |
| Schlafplatz eingerichtet. | |
| Vor dem Drogeriemarkt verkauft ein fliegender Händler die Produkte, die im | |
| Inneren der Geschäfte schon seit Wochen ausverkauft sind. Masken und vor | |
| allem Hand-Desinfektionsmittel und Latex-Handschuhe. Vor dem Supermarkt | |
| stehen Absperrgitter. Zwei Männer in Uniform lassen nur jeweils fünf | |
| Personen herein. Ich stelle mich nicht in die Warteschlange. Sie ist zu | |
| lang und die Wartenden stehen zu dicht gedrängt. Dorothea Hahn, New York | |
| Seit Sonntag gilt in [5][New York] eine Ausgangbeschränkung. Nur | |
| „unverzichtbare Beschäftigte“ dürfen die Straßen betreten. | |
| [6][Infizierte Personen: 46.168, Tote: 582.] | |
| ## Småland: Der kranke Nachbar und die Klopapierfabrik | |
| „Hej, Birgitta, Husten“? Die Nachbarin vom Haus gegenüber, die gerade zwei | |
| Mülltüten in die grüne Tonne wirft, schaut mich erst fragend an. Dann | |
| versteht sie: „Ach so. Nein, alles Bestens. Hier sind wir doch sicher! Zu | |
| uns kommt kein Virus rein.“ Und nach einer nachdenklichen Pause fährt sie | |
| fort: „Åke hätten wir nicht rauslassen dürfen.“ | |
| Die Sache mit Åke hat uns einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Der älteste | |
| Bewohner unseres 16-Häuser-Dorfs im südschwedischen Småland wurde kurz nach | |
| Weihnachten operiert und sollte sich danach in einer Pflegeeinrichtung | |
| erholen. Kurz. Aus kurz wurde lang und länger. Letzte Woche meldete die | |
| Lokalzeitung erste Corona-Verdachtsfälle unter dem Personal der | |
| Einrichtung. Am Samstag dann eine vorläufige Entwarnung: die bisherigen | |
| Tests sind negativ. Aber Åke hört sich gar nicht gut an am Telefon. Alles | |
| ist jetzt hermetisch abgeriegelt. Keine Besuche möglich. Åke hatte gehofft | |
| Ostern wieder zu Hause zu sein. Das wird wohl nichts werden. | |
| „Verdammter Mist“, wirft Birgitta den Deckel der Mülltonne zu. „Hör mal, | |
| ich will morgen früh in die Stadt fahren und diese Rentnerstunde testen. | |
| Brauchst du was?“ Ein Supermarkt hat vor ein paar Tagen eine neue Regelung | |
| eingeführt. Eine zusätzliche Stunde Öffnungszeit, von 7 bis 8 Uhr, ist für | |
| „Risikopersonen“, speziell 70-plus, reserviert worden. | |
| „Nein, danke. Ich brauche nichts.“ – „Kein Klopapier?“, lästert Birg… | |
| „Hast du gemerkt, der Güterzug ist jetzt bestimmt doppelt so lang.“ Ja, das | |
| stimmt. In der Papierfabrik im nächsten Ort wird Toilettenpapier | |
| produziert. Derzeit fährt man wegen der explodierten Nachfrage | |
| Sonderschichten. | |
| Die ersten Kraniche sind da, Vögel bauen in aller Eile ihre Nester fertig, | |
| Schneeglöckchen, Krokusse und Leberblümchen blühen. Die Ableger für neue | |
| Stachelbeersträucher sind prima angegangen und trotz mancher derber | |
| Frostnächte wollen Forsythien und Rhabarber nicht mehr länger warten. | |
| Frühling! Reinhard Wolff, Småland/Schweden | |
| In Schweden sind Versammlung mit mehr als 500 Menschen untersagt. Höhere | |
| Gymnasialklassen machen Fernunterricht. | |
| [7][Infizierte: 2.059, Tote: 33] | |
| ## Moskau: Die leere U-Bahn und die starken Männer | |
| Reisende schossen im Minutentakt aus den Schwingtüren, Fischschwärmen | |
| gleich. Sie bogen um die Ecke, ohne den Schwarm zu verlassen. | |
| In den vergangenen Tagen ist es anders geworden. Langsamer, ruhiger und | |
| überschaubarer geht es an der Metrostation Leninskij Prospekt zu. Noch | |
| immer gibt es Reisende, sie folgen jedoch einem anderen Takt und lassen | |
| sich von der Masse nicht mehr mitziehen.Nur noch ein Drittel der früheren | |
| Passagiere nutzt zurzeit die Metro. | |
| Ich bilde mir ein, die dünn besetzten Züge würden nicht mehr so viel Lärm | |
| machen. Vorher erschütterte jeder Zug die Fundamente der Häuser. Jetzt | |
| wirkt die Verkehrsader wie entschleunigt. | |
| Die Bäckerin klagt darüber, dass sie nur noch knapp ein Drittel von den | |
| warmen Piroggen absetzt. Wie soll das weitergehen, fragt sie. | |
| Die Berufsschule, die für das Gastgewerbe ausbildet, ist geschlossen. Die | |
| Schülerinnen und Schüler sorgten immer für einen lebendigen Geräuschpegel. | |
| Bis mindestens Mitte April wurden auch sie ausgesperrt. | |
| Die Schornsteine des Heizkraftwerks glänzen in der Sonne, sie stoßen Dampf | |
| aus wie eh und je. In der Seitenstraße stellt die Apotheke die letzten | |
| Lieferungen in ungeöffneten Kartons ins Schaufenster: Infusionsbestecke aus | |
| Berlin sei es, ist dem Aufdruck zu entnehmen. „Noch etwas | |
| Desinfektionsmittel?“, ruft die Apothekerin, die eine neue Lieferung | |
| erhalten hat. | |
| Die Apotheke bietet auch Schutzmasken an, knappe Ware auch in Russland. | |
| Inzwischen tragen einige Moskauer schon die bläulichen Gesichtsmasken. Man | |
| fällt damit jedoch auf. | |
| Viele Passanten machen sich lustig. Angsthase? Feigling? Bist Du etwas | |
| Besseres als wir? Verraten die Blicke. Vor allem Männer reagieren so. Die | |
| Warnung zum Nachbarn Abstand zu halten hat sich bei der niedrigen | |
| Infektionsquote in Moskau noch nicht durchsetzen können. | |
| In der Poliklinik um die Ecke werden die Patienten schon am Eingang | |
| sortiert. Mit Maske und Fieberpistole verbreitet die Krankenschwester gute | |
| Stimmung. Klaus-Helge Donath, Moskau | |
| In [8][Moskau] sind Schulen, Theater und Sporteinrichtungen geschlossen. | |
| Für alle Menschen über 65 Jahren ist häusliche Isolation angeordnet. | |
| [9][Infizierte: 495, Tote: 1] | |
| ## Kigali: Geschlossene Märkte und leere Geldautomaten | |
| Nicht einmal eine Stunde nachdem Ruanda am Samstagabend eine Ausgangssperre | |
| verhängt hat, strömen im mittelständischen Wohnbezirk Remera in der | |
| Hauptstadt Kigali die Menschen noch ein letztes Mal auf die Straßen. Vor | |
| den Supermärkten, die nur eine Stunde später schließen sollten, stauen sich | |
| die Autos. Familienväter schieben Einkaufswagen zwischen den Regalen | |
| entlang, ein seltsamer Anblick, da Einkäufe in der Regel von Frauen | |
| erledigt werden. Die Männer laden Milch und Saft sowie Dosenkonserven ein – | |
| haltbare Produkte, die sonst in Afrika eigentlich nicht sehr gefragt sind, | |
| weil es auf den Märkten alles frisch und billiger ist. Doch genau diese | |
| Märkte sind nun geschlossen, ebenso Bäckereien und Metzger. Die Folge: | |
| Tiefkühltruhen mit den gefrorenen Hähnchen und Fischfilets werden emsig | |
| leer geräumt, an der Brottheke liegt nur noch ein vertrocknetes Baguette. | |
| Unterschwellige Panik macht sich breit. Dies merkt man vor allem vor den | |
| Bankautomaten, wo sich in Afrika eigentlich nur selten Warteschlangen | |
| bilden. An diesem Abend stehen dort die Menschen bis auf die Straße. Die | |
| meisten Automaten spucken bereits nach wenigen Kunden kein Geld mehr aus: | |
| leergeräumt. Viele Leute fluchen, hasten zu den Autos, um ihr Glück bei der | |
| nächsten Bank zu suchen. Die Agenten der Telekommunikationsfirmen, die | |
| mobile Geldtransfers via Handy anbieten, tummeln sich zu Dutzenden neben | |
| den Bankautomaten. Die Regierung hat die Leute aufgefordert, auf | |
| Bargeldzahlungen zu verzichten, um die Ansteckung durch Geldscheine zu | |
| vermeiden. So kommt es, dass die meisten Menschen die Bargeld-Bündel bei | |
| den Mobile-Money-Agenten wieder einzahlen. Doch auch da werden die Reserven | |
| knapp: Ein junger Agent mit der gelben Weste eines Telekom-Konzerns zeigt | |
| auf eine Umhängetasche voller Scheine. So viel Cash habe er noch nie | |
| gesehen, strahlt er. Sein virtueller Kredit auf seinem Handy sei jedoch | |
| aufgebraucht, er könne keine Überweisungen mehr tätigen. Simone | |
| Schlindwein, Kigali | |
| In Ruanda besteht eine Ausgangssperre, die Grenzen und der Flughafen sind | |
| geschlossen. | |
| [10][Infizierte: 36, Tote: 0] | |
| ## Bochum: Ein Spaziergang auf der Partymeile | |
| Das Virus springt mich schon im Hausflur an. Gleich drei Zettel hat die | |
| Hausverwaltung aufgehängt: Der Heizungsableser, der sonst jedes Frühjahr | |
| die digitalen, kryptisch blinkenden Messgeräte an den Heizkörpern anschaut | |
| und mit dem ich immer ein nettes Schwätzchen halte, kommt nicht. Ich soll | |
| die Werte per Mail schicken, schreibt der Vermieter – und bittet in rot: | |
| Wegen der „aktuellen gesundheitlichen Situation“ solle ich doch bitte sein | |
| „Büro nicht aufsuchen“. | |
| Im Bochumer Stadtteil Ehrenfeld dann gähnende Leere. Auf der Straße ist | |
| kaum ein Mensch zu sehen. Das am Sonntagnachmittag verkündete Kontaktverbot | |
| funktioniert: Kommt mir doch mal jemand entgegen, weichen wir uns im weiten | |
| Bogen aus. Komisch, wie schnell ich mich an die Ansteckungsgefahr gewöhnt | |
| habe – und andere schon fast unterbewusst als virale Gefahr betrachte. | |
| Der Spielplatz hinter dem Bochumer Schauspielhaus ist mit rot-weißem | |
| Flatterband abgesperrt. Am Vordereingang des Theaters ein riesiger, | |
| beleuchteter „Hinweis wegen Coronavirus“: Auf Beschluss der Stadt „keine | |
| Veranstaltungen bis 19.04.2020“, steht da schon seit einer Woche, und: | |
| „Bleiben Sie gesund!“ Warum ausgerechnet der 19. April, denke ich wie jedes | |
| Mal, wenn ich vorbeigekommen bin – obwohl ich natürlich weiß, dass das Ende | |
| der Schulferien das Hoffnungsdatum markieren soll, nach dem die Infektionen | |
| mit SARS-CoV-2 ihren Höhepunkt überschritten haben könnten. | |
| Völlig leer ist die Partymeile des Ruhrgebiets, das Bermudadreieck. Hier, | |
| wo sonst bei schönem Wetter Tausende draußen sitzen, kommen mir genau zwei | |
| Menschen entgegen. Verlassen und dunkel liegen Szenekneipen wie | |
| „Freibeuter“, „Mandragora“ oder „Zacher“ vor mir. An ihren Türen | |
| informieren manche langatmig über „die Situation“, andere setzen auf ein | |
| cooles „We're closed“. | |
| Essen zum Mitnehmen bieten nur noch das vietnamesische „Hatoky“, das „Taj | |
| Mahal“ und der „Pizzaman“. Der bittet per Aushang darum, auf jeden Fall | |
| telefonisch zu bestellen und den Laden nicht zu betreten. Auf dem Rückweg | |
| bekomme ich trotzdem gute Laune: Menschen, die ich nicht kenne, winken vom | |
| Balkon, ich winke zurück. Vielleicht stärkt das Virus Zusammenhalt und | |
| Solidarität? | |
| Punkt 21 Uhr werden wir dennoch zusammenkommen. Denn seit letzter Woche | |
| legen manche Nachbar*innen jeden Abend Grönemeyers Liebeserklärung an | |
| Bochum auf, singen laut mit. Sie applaudieren, reden, halten Kontakt, | |
| muntern sich auf. Auch ich werde gleich die „4630 Bochum“ auf den | |
| Plattenteller legen. Und heute Abend den Verstärker laut aufdrehen. Andreas | |
| Wyputta, Bochum | |
| In Bochum besteht das bundesweit gültige Kontaktverbot für mehr als zwei | |
| Menschen. Nur Lebensmittelgeschäfte, Apotheken sowie Drogerien, Bau- und | |
| Gartenmärkte sind geöffnet. | |
| [11][Infizierte: 30.150, Tote: 130] | |
| 25 Mar 2020 | |
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| [1] /Corona-in-China/!5668754/ | |
| [2] /Wien-in-Zeiten-der-Corona-Krise/!5672113/ | |
| [3] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
| [4] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
| [5] /Corona-in-den-USA/!5673184/ | |
| [6] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
| [7] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
| [8] /Corona-in-der-Ex-Sowjetunion/!5672999/ | |
| [9] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
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| [11] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
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