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# taz.de -- Gewalt gegen Unis in Kolumbien: Auf der Abschussliste
> Die Uni-Dozentin Sara Fernández überlebt nur knapp ein nächtliches
> Attentat. Weil sie den Friedensvertrag mit den Farc begrüßt, hat sie
> viele Feinde.
Bild: Bogotá im November: Studierende protestieren gegen die hohe Polizeigewal…
Bogotá taz | Es ist zwei Uhr morgens und die Uni-Dozentin Sara Fernández
liegt schlafend im Bett, als sie den Messerstich in ihrer linken Brust
spürt. Sie wacht auf und sieht den Angreifer, stößt ihn weg. Der Mann fällt
zu Boden, das Messer auch. Bevor sie ihn packen kann, flieht er über den
Balkon.
Noch in derselben Nacht, es ist der 4. März, kommt die 49-Jährige ins
Krankenhaus. Das Messer durchbohrte ihre Lunge. Dreimal wurde Sara
Fernández seitdem operiert. Ein Lungenflügel war kurz davor, zu
kollabieren. Bis auf ihren Lebensgefährten und eine Schwester durfte sie
niemand besuchen. Seit zwei Wochen ist Fernández aus dem Krankenhaus
entlassen und in einer staatlichen Wohnung mit Personenschutz
untergebracht.
Ihre Geschichte erzählt deshalb ihre gute Freundin María Rocío Bedoya der
taz. Bedoya ist Anwältin und Vizepräsidentin von Asoprudea. Das ist die
Vereinigung der Dozent*innen der öffentlichen Universidad de Antioquia in
Medellín, in deren Führungsgremium auch Fernández ist.
Die Mitglieder der Vereinigung kämpfen seit Monaten für den Erhalt der
öffentlichen Unis: „Wir sind unterfinanziert, müssen immer mehr
Dienstleistungen anbieten, externe Beratungsaufträge annehmen“, sagt
Bedoya. „Das entspricht nicht unserem Auftrag.“ Für Bedoya und ihre
Mitstreiter*innen sind die [1][maroden öffentlichen Unis und Schulen] eine
Folge der neoliberalen Politik, die unter der Regierung von Präsident Iván
Duque auch an den Hochschulen stärker bemerkbar geworden ist.
## Hassfigur für Ultrarechte
„Ich bin besessen von dem Recht auf öffentliche Bildung und
Gesundheitswesen, der Idee, dass der Staat den Zugang zu Bildung
garantieren muss“, sagt Sara Fernández mit leiser, aber bestimmter Stimme
in einem der Audios, die sie noch aus dem Krankenhaus der taz schickt. Sie
ist Sozialarbeiterin, promovierte in sexueller und reproduktiver
Gesundheit.
Seit über zwanzig Jahren engagiert sie sich für Menschenrechte. Sie ist
nicht nur als Verfechterin der öffentlichen Unis bekannt, sondern auch
lateinamerikaweit als Feministin, die sich [2][gegen Gewalt gegen Frauen]
einsetzt. Ebenso für die Rechte von Indigenen – und für die Erfüllung des
Friedensabkommens mit der Farc-Guerilla, das Duques Vorgänger Juan Manuel
Santos Ende 2016 gegen zum Teil erhebliche Widerstände durchgesetzt hat.
Als Unterstützer*innen des Friedensvertrages machen sich die Dozent*innen
in Kolumbien Feinde. Zwei Tage vor dem Attentat auf Sara Fernández hingen
auf einmal an den Wänden der Uni-Gebäude [3][Flugblätter mit
Morddrohungen]. Man wollte die unterwanderten Gremien der Uni von Menschen
„reinigen“, die zu subversiven Gruppen gehörten, zur „kommunistischen
Plage“, sich für den „illegitimen Frieden von Santos“ einsetzten. Darauf
standen die Namen mehrerer Dozent*innen und Studierenden.
Auch der Name von Fernández’ Dozent*innen-Vereinigung Asoprudea stand auf
der Liste. Unterzeichnet war die Morddrohung von den Autodefensas
Gaitanistas de Colombia (AGC), einem paramilitärischen Drogen-Kartell. Das
bezeichnete das Flugblatt einen Tag später [4][als Fälschung].
## Gewalt auch von der Polizei
Doch das macht die Lage an der Universidad de Antioquia nicht weniger
bedrohlich. „Die Bedrohung kommt nicht von außen, sondern von innen“,
glaubt Dozentin Rocío Bedoya. „Die Universität ist genauso polarisiert wie
das ganze Land.“ Nach dem Attentat auf ihre Freundin erzählten ihr
Menschenrechtsgruppen von der extrem rechten Gruppe Agora, die es an der
Universität gebe. „Wir gehen davon aus, dass diese mit dem Esmad
zusammenarbeitet.“ Das ist die Anti-Aufstands-Einheit der Polizei, die bei
Demonstrationen im Einsatz ist.
Wegen der Krise der öffentlichen Bildung hat es in Kolumbien seit Monaten
immer wieder Proteste gegeben. Die öffentlichen Universitäten, die
Studierenden, Dozent*innen und Rektor*innen waren die treibende Kraft
dahinter. Höhepunkt war am 21. November 2019: Da begann eine weitgehend
friedliche Streikwelle gegen die Regierung, wie sie das Land bislang noch
nicht erlebt hatte.
Die berüchtigte Anti-Aufstands-Einheit der Polizei Esmad ging mit großer
Brutalität vor, mit Tränengas und Wasserwerfern. Sinnbildlich dafür der Tod
des Schülers Dilan Cruz: Ein Polizist schoss ihm aus [5][kurzer Distanz in
den Kopf]. Er starb. Präsident Iván Duque, der die Demonstrationen vorab
stigmatisiert hatte, lenkte nach wochenlangen Protesten ein und rief einen
nationalen Dialog aus. Geändert hat sich seitdem kaum etwas.
Im Gegenteil. In Medellín beispielsweise hat der neue Bürgermeister Daniel
Quintero, der vielen als moderner Hoffnungsträger galt, im Februar ein
Protokoll verkündet, das dem Esmad den Zutritt auf den Campus erlaubt. Er
sieht in der Uni den Rückzugsort für militante Vermummte, die auf Demos
Sprengsätze werfen. Die Leitung der Universidad de Antioquia protestierte
scharf. Schließlich hatten in der Vergangenheit solche Einsätze auf dem
Campus zu Schäden und vor allem vielen verletzten Unbeteiligten geführt.
## Appell vom Krankenbett
Sara Fernández appellierte [6][aus dem Krankenbett in einem Video]: „Bitte
ziehen Sie den Esmad aus der Uni zurück. Fassen Sie die Uni nicht an. Sie
ist ein heiliger Ort.“ Das Attentat auf sie sei ein Attentat auf die
öffentliche Uni gewesen. „Die große Gefahr ist, dass wir zu einem
faschistischen Regime werden“, sagt Sara Fernández. Denn es werde immer
schwieriger, anderer Meinung zu sein, den laizistischen Staat zu
verteidigen, die soziale Ungerechtigkeiten anzusprechen. Und vor allem: Der
Staat schützt seine Bürger*innen nicht.
Laut der Bildungsgewerkschaft Fecode sind in Kolumbien in den letzten
dreißig Jahren über 1000 Dozent*innen und Lehrer*innen ermordet worden.
2019 wurden mehr als 970 bedroht, 14 ermordet. 2020 waren es bereits 270
Bedrohte, eine Lehrerin wurde ermordet. Sara Fernández’ Attentäter fassten
die Nachbarn, als er über den Balkon flüchtete. Sie hatten Fernández
Hilferufe gehört. Ein 18-jähriger Auftragskiller, sauber gekleidet und mit
frischem Haarschnitt. Er ist jetzt verhaftet. „Jetzt ist die
Herausforderung zu beweisen, wer dahintersteckt“, sagt María Rocío Bedoya.
## Die Uni hat Rechtsbeistand angeboten
Seit dem Attentat hat sich die Stimmung an der Universidad de Antioquia
verändert. „Ich will nicht, dass diese Menschen ihr Ziel erreichen: uns
alle zum Schweigen zu bringen, die wir kritisch denken“, sagt Rocío Bedoya.
„Aber die Folgen sind schon zu spüren.“ Kolleg*innen seien nicht mehr zur
Arbeit gekommen, nicht mehr zu den Treffen der Vereinigung, weil sie Angst
hätten. „Die psychologische Wirkung war sehr heftig.“
Die Uni habe angeboten, Bedrohten Rechtsbeistand zu stellen und sie zur
Staatsanwaltschaft zu begleiten. Vonseiten des Staats gibt es keine
Unterstützung. Die Anträge auf Personenschutz würden regelmäßig abgelehnt,
kritisiert die regionale Lehrer*innen-Vertretung.
Der Rektor der Universidad de Antioquia hat zumindest zugesichert, dass er
alle Dozent*innen und Studierenden unterstützen werde, die wegen der
Bedrohung die Uni wechseln oder zeitweise ins Ausland gehen wollen.
Fernández will diesen Schritt tun, auch Bedoya wollte drei Monate das Land
verlassen, um Abstand zu bekommen. „Ich hatte schon die Einladung einer
europäischen Uni – aber das Coronavirus hat meine Pläne durchkreuzt.“
22 Apr 2020
## LINKS
[1] /Regierungsbildung-in-Kolumbien/!5299754
[2] /Getoetete-Frauen-in-Lateinamerika/!5666531
[3] https://twitter.com/alexflorezh/status/1234493479776026629
[4] http://autodefensasgaitanistasdecolombia.org/agc2/2020/03/02/comunicado-fal…
[5] /Protestbewegung-in-Kolumbien/!5640614
[6] https://www.youtube.com/watch?v=6Oa85weSnL4
## AUTOREN
Katharina Wojczenko
## TAGS
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Bildung
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