| # taz.de -- Ex-Guerilleros in Kolumbien: Flucht statt Frieden | |
| > Ehemalige Kämpfer*innen der Farc-Guerilla fliehen aus ihrer Siedlung in | |
| > der Region Ituango. Es sei eine Zwangsvertreibung, sagen sie. | |
| Bild: Der ehemalige Farc-Kommandant Pastor Alape in Mutata, wo die Vertriebenen… | |
| Bogotá taz | Sie wollten sich ein neues Leben in der Siedlung Santa Lucía | |
| bei Ituango aufbauen. Vier Jahre haben sie es versucht. Doch jetzt sind die | |
| ehemaligen Farc-Guerilleros mit ihren Familien geflohen. Sie wollen nicht | |
| auch noch ermordet werden. | |
| Sogar das Fußballfeld, das die ehemaligen Farc-Kämpfer*innen angelegt | |
| hatten, haben sie abgebaut, das Baumaterial eingepackt, die Möbel, die | |
| Kleidung. Mit mehreren Lastwagen und Bussen fuhren sie etwa 300 Kilometer | |
| nach Mútata im heißeren Urabá. | |
| Der Umzug ist eine Zwangsvertreibung. Das sagt nicht nur Pastor Alape, | |
| früher einer der höchsten Guerilla-Anführer und jetzt Delegierter der | |
| Farc-Partei im Nationalen Wiedereingliederungsrat, der den Friedensprozess | |
| überwacht. Zwangsvertreibung ist auch das Wort, das kolumbianische Medien | |
| in ihren Berichten verwenden. | |
| „Es hörte einfach nicht auf“, sagt John Taborda. Der ehemalige Guerillero | |
| hat einen Teil seiner Kindheit in Ituango verbracht. Seine Eltern sind | |
| Bauern. Er hat Freunde und Familie im Dorf. Als er im Zuge des | |
| Friedensprozess aus dem Gefängnis freigelassen wurde, kam Taborda hierher | |
| zurück, leitete die Kooperative, mit der die Familien ihren Lebensunterhalt | |
| verdienen wollten: ein Glasfaserprojekt für Internetverbindung für ihre | |
| Siedlung und die Nachbar*innen in Ituango sowie ein Rinderprojekt für | |
| Fleisch und Milch. Dort fanden auch Menschen der umliegenden Gemeinden | |
| Arbeit. Doch damit ist Schluss. | |
| ## Im Machtvakuum kämpfen die Illegalen | |
| „Wir hatten einfach nicht mehr die Kraft, Widerstand zu leisten“, sagt | |
| Taborda. 280 waren sie, als sie vor vier Jahren ankamen. 97 Menschen, 74 | |
| ehemalige Gueriller@s und ihre Familien, sind jetzt in einer von langer | |
| Hand geplanten Aktion unter Polizei- und Armeeschutz geflohen. Seit 2017 | |
| waren elf Demobilisierte und dazu mehrere Familienmitglieder ermordet | |
| worden, zuletzt im Juni der 15-jährige Sohn einer ehemaligen Guerillera und | |
| zwei weitere Menschen. | |
| In Kolumbien herrscht fast vier Jahre nach dem [1][Friedensabkommen] | |
| zwischen Farc-Guerilla und Staat kein Frieden. Farc-Dissidenten, die | |
| niemals die Waffen niedergelegt haben oder aus Frust wieder in den | |
| Untergrund gingen, Paramilitärs und Drogenbanden kämpfen um die | |
| Vorherrschaft in den von der ehemaligen Guerilla verlassenen Gebieten. | |
| Der Staat hat es nicht geschafft, dort Infrastruktur und Präsenz | |
| aufzubauen. In dem Machtvakuum kämpfen die Illegalen – zum Leid der | |
| Bevölkerung. Es geht hauptsächlich um Drogenhandel. So auch in der Gegend | |
| um Ituango, wo unter anderem der Golfclan aktiv ist. | |
| Die Regierung hatte schon seit dem Frühjahr 2019 auf den Umzug gedrängt, | |
| schreibt die staatliche Agentur für Wiedereingliederung und Normalisierung | |
| der taz – aus wirtschaftlichen und Sicherheitsgründen. Ein Großteil der | |
| Demobilisierten in Santa Lucía war schon geflohen. Als im Dezember der Sohn | |
| ihres ehemaligen Kommandanten ermordet wurde, beschlossen die Übrigen: „Wir | |
| müssen hier weg, sonst massakrieren sie uns alle“, erinnert sich Taborda. | |
| ## Kein Neuanfang, ein Freiluftgefängnis | |
| Obwohl der Polizei- und Militärposten zuletzt bis auf 300 Meter | |
| heranrückten, ging das Morden weiter. Briefe mit Morddrohungen wurden unter | |
| dem Türspalt hindurchgeschoben, Vermummte klopften an und forderten die | |
| Bewohner*innen auf zu verschwinden. | |
| Die bewaffneten Gruppen kontrollierten auch seit Monaten die | |
| Verbindungsstraßen zwischen der Siedlung und dem Dorf Ituango. „Niemand | |
| konnte mehr zum Arbeiten oder zum Einkaufen ins Dorf fahren, ohne sich in | |
| Lebensgefahr zu begeben. Das hatte keinen Sinn mehr“, sagt Taborda. | |
| Selbst die nationale Wiedereingliederungsagentur und die | |
| Überwachungsmission der Vereinten Nationen seien aus Sicherheitsgründen | |
| nicht mehr zur Siedlung hinuntergekommen. Was ein Neuanfang sein sollte, | |
| wurde zum Freiluftgefängnis. | |
| „Die Regierung muss handeln, aufklären und Maßnahmen entwickeln, um das | |
| Leben und das Bleiberecht der Ehemaligen zu garantieren“, sagt der | |
| Farc-Delegierte Pastor Alape der taz. Er hatte die Kamerad*innen im Januar | |
| besuchen wollen – war aber nicht weiter als bis nach Ituango gekommen. „Die | |
| Autoritäten konnten meine Sicherheit nicht gewährleisten“, sagte Alape. Am | |
| Vortag war ein weiterer ehemaliger Guerillero ermordet worden, laut | |
| Regierung gab es auch Mordpläne gegen Alape. Für den Umzug war er vor Ort. | |
| ## Quarantäne hat alles verschlimmert | |
| Was er betont: „Es geht nicht nur um Militärpräsenz im Territorium, sondern | |
| um Zusammenarbeit der Institutionen. Die Regierung soll nicht mit einem | |
| Gewehr kommen, sondern Entwicklungspläne umsetzen und die illegalen | |
| Wirtschaftszweige bekämpfen.“ Ähnliches haben auch indigene Anführer in der | |
| Region Cauca immer wieder geäußert, ebenfalls ein Fokus des Mordens. | |
| Präsident Iván Duque kündigt nach Morden gebetsmühlenartig mehr | |
| Militärpräsenz an. | |
| Seit Unterzeichnung des Friedensabkommens wurden 221 ehemalige Gueriller*as | |
| umgebracht. Zählt man ihre Angehörigen dazu, sind es 235 Ermordete. Doch | |
| das Morden trifft auch andere, die sich engagieren. Allein in diesem Jahr | |
| wurden bisher nach Angaben des Friedensinstituts Indepaz schon 178 „Líderes | |
| sociales“ und Angehörige getötet. | |
| Es ist keine Besserung in Sicht, im Gegenteil. Während der Coronapandemie | |
| haben nicht nur die Morde an Frauen zugenommen. Laut eines kürzlich | |
| veröffentlichten [2][Berichts von Human Rights Watch] überwachen in weiten | |
| Teilen des Landes bewaffnete Gruppen die Quarantäne, stellen willkürlich | |
| Ausgangssperren auf und setzen sie mit Drohungen und Morden durch. | |
| Auch [3][Bürgerrechtler*innen] sind wegen der Quarantäne besonders in | |
| Gefahr. Am Sonntag startete die Plattform Defendamos La Paz (Lasst uns den | |
| Frieden verteidigen) deshalb eine Kampagne mit Titel [4][„Schweigen ist | |
| keine Option mehr“]. | |
| John Taborda und die anderen Vertriebenen sind in Mútata erst einmal in | |
| einer Siedlung anderer ehemaliger Farc-Kämpfer*innen untergekommen. Dort | |
| gibt es weder Telefonempfang noch Internet – auch hier will er daran | |
| arbeiten. Die Regierung hat in der Nähe 137 Hektar Grund gepachtet, wo die | |
| Demobilisierten neue Häuser errichten werden. Der Staat verhandelt, um das | |
| Land für sie zu kaufen. Es wäre eine Sensation, wenn das klappt. | |
| Bei aller Erleichterung klingt Taborda traurig. Der Kaffee, die Kochbananen | |
| und das Maniok, die sie nicht mehr ernten konnten, die Brücken und der | |
| Gesundheitsposten, von dem auch die Nachbargemeinden profitierten – das ist | |
| nur ein kleiner Teil dessen, was sie zurückgelassen hätten. „Wir haben | |
| Beziehungen in der Nachbarschaft aufgebaut, Vertrauen gewonnen“, sagt er. | |
| 29 Jul 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Farc-Rebellen-in-Kolumbien/!5356949 | |
| [2] https://www.hrw.org/es/news/2020/07/15/colombia-brutales-medidas-de-grupos-… | |
| [3] /Morde-in-Kolumbien/!5678156 | |
| [4] https://www.elespectador.com/colombia2020/pais/el-silencio-ya-no-es-opcion-… | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Wojczenko | |
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